Türkei: Mit wem verhandelt die EU eigentlich?
- Türkei: Mit wem verhandelt die EU eigentlich?
- Panama reicht auch bis in die Türkei
- Ende der Visapflicht: Kommen die dann alle zu uns?
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Eine unvollständige Bestandsaufnahme der politischen Verhältnisse in der Türkei
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan entpuppt sich zunehmend als zwielichtige Gestalt: Seit kurzem sind familiäre und freundschaftliche Verflechtungen mit in den so genannten Panama-Papers genannten Personen bekannt. Außerdem wird Kritik laut an der massiven Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, der Repression gegenüber Oppositionellen, den offenbar haarsträubenden Bedingungen in den Flüchtlingslagern nahe der syrischen Grenze sowie am Kriegskurs der AKP-Regierung. Außerdem wird der Verdacht geäußert, die türkische Armee setze u.a. deutsche Waffen in den Kriegsgebieten ein. Zudem werden immer wieder Vorwürfe laut, die Türkei kooperiere mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) (Kooperation zwischen Türkei und IS: Neue Vorwürfe).
Die Liste der offenen Fragen ist lang
Der EU-Türkei-Deal ist derzeit in aller Munde. Ursprünglich gedacht, die Bürgerkriegsflüchtlinge z. B. aus Syrien von Europa fernzuhalten, kommen immer mehr Zweifel auf, dass die Türkei die zu diesem Zwecke investierten Milliarden aus der EU in Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden verwendet - und ihnen auch tatsächlich den versprochenen notwendigen Schutz gewährt. Von Schüssen an der Grenze zu Syrien auf Flüchtlinge ist die Rede - die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch konnte fünf Todesfälle aufgrund der Schüsse auf Flüchtlinge an der Grenze dokumentieren - von minderjährigen weiblichen Flüchtlingen, die aus den Lagern nahe der syrischen Grenze an türkische Männer verkauft werden, von Prostitution.
Genaues wissen wir allerdings nicht, denn die inländische Presse in der Türkei wird mehr oder weniger gleichgeschaltet, mittels Inhaftierung von missliebigen Journalistinnen und Journalisten, Enteignung von Medienbetrieben, die dann unter Staatskontrolle gestellt werden, und selbst ausländischen Medienleuten wird die Einreise in die Türkei verweigert, wie kürzlich dem ARD-Korrespondenten Volker Schwenck, der am Flughafen Istanbul festgesetzt und wieder nach Kairo abgeschoben wurde (Türkei: Regierung offenbar nicht kritikfähig).
Das gilt auch für die Situation in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei, wo die militärische Auseinandersetzung zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla PKK zunehmend eskaliert. Selbst die UNO schaltete sich jetzt angesichts des Verdachts ein, dass in der kurdischen Stadt Cizre 100 Menschen von türkischen Spezialeinheiten bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Glaubwürdige Berichte darüber seien "extrem alarmierend", sagte der Hohe Kommissar für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al Hussein.
Der kurdische Politiker Ali Atalan äußerte wiederholt den Verdacht, dass die türkische Armee bei den Operationen, die sich vorwiegend gegen die Zivilbevölkerung richten, deutsche Waffen einsetzt (Türkei: Militärischer Angriff auf Nusaybin). Auch das ist aufgrund der zwar nicht offiziell verhängten, aber praktisch durchgesetzten Nachrichtensperre schwer überprüfbar.
Oppositionelle leben gefährlich
Am vergangenen Freitag wurde in Istanbul der Prozess gegen Dündar und Gül fortgesetzt. Während einer Verhandlungspause wurde auf den Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet geschossen. Plötzlich rief jemand "Vaterlandsverräter", zog eine Pistole und schoss. Wagemutig ging Dündars Frau Dilek dazwischen. Dündar selbst blieb unverletzt, der Schütze wurde überwältigt. Ein Reporter des türkischen Fernsehsenders NTV wurde jedoch am Bein verletzt.
Ungeachtet des Vorfalls wurde Dündar zu 5 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt, Gül zu 5 Jahren. Der Vorwurf der Spionage wurde fallen gelassen, jedoch fordert die Staatsanwaltschaft 31 Jahre und für Gül 10 Jahre Haft. Erdogan tritt in dem Prozess als Nebenkläger auf.
Über den Schützen ist bis dato nichts bekannt. Auch nicht über seine Motive. Die sieht Dündar indes in dem aufgeheizten politischen Klima in der Türkei, insbesondere in der Stimmungsmache gegen seine Person und seinen Kollegen Gül, wofür er Erdogan persönlich verantwortlich macht - allerdings ohne dessen Namen zu nennen.
In so ziemlich jedem Artikel in deutschsprachigen Medien wird anlässlich des vereitelten Attentats auf Dündar auf den Mord an den armenisch-stämmigen Journalisten Hrant Dink verwiesen, der 2007 auf offener Straße in Istanbul erschossen wurde.