Türkische Todeskommandos in Deutschland?
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Anzeichen für geplante Auftragsmorde an kurdischen und türkischen Oppositionellen in Europa verdichten sich. Deutschland scheint davon besonders betroffen zu sein
Kurz vor Weihnachten berichtete der armenische HDP-Abgeordnete Garo Paylan auf einer Pressekonferenz in Ankara über konkrete Mordpläne an kurdischen und türkischen Oppositionellen sowie an Journalisten, die nach Europa geflohen sind. Verschiedene Quellen hätten ihm von einer "Attentatsliste" berichtet, wird Paylan auch von ANF-News zitiert.
Ich habe Informationen erhalten, dass es aus der Türkei heraus operierende Auftragskiller gibt, die in Europa, vor allem in Deutschland, eine Aktion gegen türkeistämmige Vertreter der Aleviten und Armenier sowie Journalisten, Schriftsteller und Akademiker planen. (...) Ich rede von Todesschwadronen, die bewaffnete Attentate organisieren. Vor allem gegen Persönlichkeiten, die Aufsehen erregen werden.
Garo Paylan, HDP-Abgeordneter
Die Oberstaatsanwaltschaft in Ankara hat nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um Paylans Angaben zu prüfen. Paylan zufolge sind verschiedene Personen und Einrichtungen als Ziele identifiziert worden. Für eine direkte Beteiligung der türkischen Regierung gibt es zwar keine Belege, allerdings ist dies auch gar nicht notwendig.
In der türkischen Geschichte der letzten 50 Jahre gab es nämlich immer wieder ein informelles Zusammenwirken von einzelnen Geheimdienstagenten, Politikern, Militärs und Angehörigen der türkischen Mafia, dem sogenannten "tiefen Staat", die dann den tatsächlichen oder vermeintlichen Willen der Führung vollstrecken.
Nicht nur zahllose Morde an linken und kurdischen Aktivisten, sondern auch viele international bekannte Attentate stehen in diesem Zusammenhang. Dazu gehören das Papst-Attentat 1981 und der Mord an Abdi Ipekci, einem der damals bekanntesten türkischen Journalisten, zwei Jahre vorher - beide durch den "Grauen Wolf" Mehmet Agca - und die Morde am Cumhuriyet-Journalisten Mumcu, 1993, und an Hrant Dink 2007.
Sofern Attentäter gefasst wurden, wurde stets sehr schnell deutlich, dass sie nur die - oft durchgedrehten - Ausführenden waren, die eigentlich Verantwortlichen aber immer im Dunkeln blieben.
So ist ja auch bis heute nicht klar, wer eigentlich hinter dem Papst-Attentat stand. Eines der seltenen Schlaglichter auf diese Verhältnisse warf ein Verkehrsunfall am 3. November 1996 im westtürkischen Susurluk. Damals löste er in der Türkei ein politisches Beben aus und noch heute findet er hier und da in den Medien Erwähnung:
An jenem Sonntag rast ein schwarzer Mercedes SEL 600 über die Landstraße 565 von Izmir nach Bursa. Nahe der Stadt Susurluk rollt plötzlich ein unbeleuchteter Lastwagen von einer Tankstelle auf die Fahrbahn. Die schwere Limousine prallt in den Laster, der Kabeltrommeln geladen hat und wie ein Betonklotz auf der Straße steht. Im Wagen sterben zwei Männer und eine Frau, ein weiterer Mann überlebt verletzt.
Das Ergebnis der Unfallaufnahme löst in der Türkei ein politisches Beben aus. Denn in dem Mercedes saßen der Mafia-Pate Abdullah Çatli, der von Interpol gesucht wurde, ein ehemaliger Polizeioffizier, ein Parlamentsabgeordneter der Partei des Rechten Wegs, die mit Tansu Çiller zu dieser Zeit die Außenministerin stellt, und schließlich die Schönheitskönigin Gonca Us, eine ehemalige Geliebte eines Agenten des Geheimdienstes MIT.
Im Kofferraum des Wagens findet die Polizei zwei Maschinenpistolen, fünf Pistolen mit Schalldämpfern, Wanzen, einen gefälschten Zufahrtsausweis für das türkische Parlamentsgelände. Çatli hatte sechs Personalausweise bei sich, mit jeweils unterschiedlichen Namen, und einen Diplomatenpass, der ihn als Finanzinspektor auswies. Çatlis Waffenschein soll die Unterschrift des damaligen Innenministers getragen haben, in dessen Gesellschaft sich das Quartett zuvor im Badeort Kuşadasi vergnügt haben soll.
Der Spiegel, 21.02.2011
Im oben zitierten Spiegel-Bericht, erschienen vor knapp sieben Jahren, wird ausführlich über diesen "tiefen Staat" aus Ultranationalisten, Militärs, Politikern und Justiz in der Türkei berichtet, der auch über Verbindungen zu Netzwerken in Deutschland und anderen Ländern verfügt haben soll.
Damals wurde von Fahndern einer deutschen Sonderkommission im Zusammenhang mit den NSU-Morden eine Zeitlang eine Spur in Richtung Türkei verfolgt, sie wurde dann aber wieder fallengelassen, weil sie auf eine Mauer des Schweigens stießen.
Europäischen Sicherheitsbehörden ist Gefährdungslage bekannt
Gegenüber der Deutschen Welle präzisierte der eingangs genannte Paylan seine Aussagen zu den aktuellen Mordplänen an türkischen Oppositionellen in Europa. Diese Informationen habe er von einem ausländischen Geheimdienst bekommen, die Quelle könne er jedoch nicht preisgeben. "Ich kann jedoch sagen, dass diese Informationen verlässlich bestätigt wurden", so Paylan.
Europäische Sicherheitsbehörden nehmen die Aussagen Paylans ernst und leiteten entsprechende Sicherheitsmaßnahmen für besonders gefährdete Oppositionelle ein. Die Sicherheitsbehörden gehen den Hinweisen zwar nach, da ihnen die Gefährdungslage bekannt sei - auszuschließen sei nichts, heißt es aus Sicherheitskreisen - ein Killerkommando aus der Türkei höre sich allerdings abenteuerlich an.
Abenteuerlich stellen sich in der Tat die türkischen Netzwerke aus AKP-naher Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), den Osmanen Germania und dem türkischen Geheimdienst in Deutschland dar (siehe Erdogans gefährliches Netzwerk in Deutschland). ANF turkce veröffentlichte ein Foto aus dem Jahr 2016, auf dem Yılmaz İlkay Arın, UETD-Vorsitzender im Rhein-Neckar-Kreis, der AKP-Abgeordnete Metin Külünk und der Chef der "Osmanen Germania", Mehmet Bağcı bei einem gemeinsamen Essen zu sehen sind.
Im genannten Artikel wird ausführlich über die Verbindungen zwischen den dreien berichtet. Dabei soll die Firma von Yılmaz İlkay Arın als Geldwäsche-Einrichtung fungieren. Ein Blick auf die gigantischen Umsatzsteigerungen des Unternehmens legt solche Vermutungen nahe: Das Unternehmen wurde mit einem Kapital von 150.000 Euro und 720.000 Euro Umsatz im Jahr 2013 gegründet. Schon 2014 stieg der Umsatz auf 9 Millionen im Jahr 2014 und im Jahr 2016 auf bemerkenswerte 10.686.000 Euro.
ANF geht davon aus, dass über diese Firma u.a. Waffenkäufe für die Osmanen Germania gelaufen sind. Inzwischen ist die Website des Unternehmens "Arin Transporte GmbH" deaktiviert und unter den Telefonnummern des Unternehmens niemand erreichbar. Ein weiteres Foto von ANF zeigt den AKP-Abgeordneten Metin Külünk mit dem türkischen Mafiaboss Sedat Peker.
Auch Sedat Peker verfügt über Kontakte zu den ‚Osmanen Germania‘ in Deutschland, wahrscheinlich noch aus seiner Zeit, während er als Jugendlicher in Deutschland aufwuchs. Die deutsche Wikipedia schreibt zu Pekers Biographie u.a., dass er bereits in den 90er Jahren "wegen Schutzgelderpressung, Nötigung und Anstiftung zum Mord gesucht (wurde). Während dieser Zeit besuchten ihn angeblich ein Minister und ein Abgeordneter aus der 'Mutterlandspartei' und garantierten ihm für eine Gegenleistung, dass er nur eine kurze Freiheitsstrafe absitzen müsse ... Im Januar 2016 drohte er tausend Wissenschaftlern in der Türkei, die eine Petition unterzeichnet hatten (mit dem Aufruf, den Kurdenkonflikt im eigenen Land friedlich beizulegen), dass er in ihrem Blut baden werde. Zwei Wochen nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei schwor Peker dem Staatspräsidenten Erdoğan Loyalität".
Betrachtet man diese Netzwerke und die Summen an Geld, die dort unterwegs sind, sind die deutschen Sicherheitsdienste und die potentiellen Anschlagsopfer gut beraten, sich auf die Killerkommandos des "tiefen türkischen Staates" einzustellen.
Laut Focus sollen der regierungsnahe Journalist Cem Kücük im türkischen TV-Sender TGRT den türkischen Geheimdienst MIT dazu aufgerufen haben, drei bis vier Gülen-Anhänger im Exil zu erschießen, um die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen einzuschüchtern.
Dabei soll er auch Namen genannt haben. Ebenfalls laut Focus sollen bereits drei Auftragsmörder in Europa unterwegs sein. Wie man weiß, macht der türkische Präsident den im US-Exil lebenden Gülen und seine Anhänger für den Putsch im Juli 2016 verantwortlich.
Gerade der türkische Geheimdienst wird immer wieder mit Morden an türkischen oder kurdischen Oppositionellen in Verbindung gebracht. Hier sind vor allem die Morde an den drei kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris im Januar 2013 zu nennen, die in der Person des zwischenzeitlich verstorbenen Attentäters bereits einen Deutschland-Bezug hatten.
Amed Dicle, der im vergangenen Jahr ein Buch über die Friedensverhandlungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK veröffentlichte, schreibt in seinem Buch, dass im Rahmen der geheimen Oslo-Gespräche zwischen PKK, MIT und türkischen Regierungsvertretern immer wieder der Name "Ozan" auftauchte.
Die Identität von Ozan ist noch unklar, aber er soll es gewesen sein, der dem Pariser Attentäter telefonisch den Liquidierungsauftrag an den drei kurdischen Frauen 2013 gegeben haben soll. Fatma Adır‚ Mitglied der "Union der Gemeinschaften Kurdistans" (KCK), erklärte Ende Dezember gegenüber ANF: "Inzwischen ist klar, dass die Morde von Paris im Wissen und mit Zustimmung der politischen Führung vom MIT geplant, organisiert und angeleitet wurden."
Belege würden in Kürze veröffentlicht, heißt es, wie auch neue Erkenntnisse, die auf Aussagen der beiden von der PKK im August 2017 im Nordirak gefangen genommenen MIT-Agenten durch die PKK beruhen (siehe Türkischer Geheimdienst liefert Steilvorlage für Agententhriller).