Tulsi Gabbard: Eine mehrgleisige Kult-Karriere
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USA: Was nicht zum Image von politischen Karrieren taugt, wird "gefaked" oder ausgelassen. Wie gut checken US-Medien und die Parteien hochrangige Kandidaten?
Man hört auch in Demokratien oft, dass man Politkern kein Vertrauen schenken sollte. Dass sich die US-amerikanische Wählerschaft nicht unbedingt darauf verlassen kann, dass die Wahlkampf-Kandidat:innen beider großer Parteien wirklich diejenigen sind, die sie vorgeben zu sein, mutetet allerdings schon etwas seltsam an.
Zwei Fälle sehr prominenter Politiker in den USA geben derzeit erstaunliche Exempel dafür ab, wie leicht es ist, mit ihrer öffentlichen Figur zu täuschen. Sei es durch Falschbehauptungen oder sei es durch Auslassung wichtiger Einflüsse – und das zu Zeiten, in denen es heißt, dass die Medienpräsenz derart ist, dass Kandidaten für hohe Ämter keinen unbedachten Satz sagen können, ohne dass er in die Öffentlichkeit kommt und "ausgeschlachtet" wird.
Dazu kommt doch noch das Auswahlverfahren in der Partei. Was wird da gecheckt?
Der aktuelle Fall des frisch gewählten Kongressabgeordneten der Republikaner aus New York, George Santos, legt offen: Die Republikanische Partei schert sich entweder nicht um den persönlichen Hintergrund ihrer Kandidaten oder sie ist nicht in der Lage, einen ordentlichen "Backgroundcheck" durchzuführen.
Auch die Demokraten sehen nicht genau hin. Wie sich am Fall der ehemaligen Kongressabgeordneten aus Hawaii, Tulsi Gabbard, die auch beim Wettbewerb um eine Kandidatur für das Präsidentenamt antrat, sichtbar wird.
George Santos: Gefakte Biografie?
George Santos Biografie liest sich wie ein Märchen im Stil des amerikanischen Traums. Als Sohn brasilianischer Einwanderer und der erste offen schwule Republikaner schaffte es Santos, einen Sitz im Repräsentantenhaus zu gewinnen.
Nach eigenen Angaben mauserte er sich vom Absolventen eines Community College in New York City zu einem "erfahrenen Wall-Street-Finanzier und -Investor", mit einem umfangreichen Immobilienportfolio und Schirmherr einer Tierrettungsorganisation.
Schade, dass nichts davon wahr ist, wie eine Untersuchung der New York Times nun zeigt, die anhand öffentlicher Dokumente und Gerichtsakten aus den Vereinigten Staaten und Brasilien die Behauptungen des 34-jährigen Santos im Wahlkampf überprüfte.
Citigroup und Goldman Sachs, die wichtigsten Wall-Street-Firmen in Santos' Biografie, erklärten, sie hätten keine Unterlagen, die bezeugen könnten, dass Santos jemals dort gearbeitet habe. Auch das Baruch College, an dem Santos nach eigenen Angaben seinen Abschluss gemacht haben soll, konnte keinen Eintrag bezüglich seiner Person feststellen.
Angesichts dieser Erkenntnisse ist es auch wenig überraschend, dass Santos Tierrettungsgruppe, "Friends of Pets United", wohl nicht existiert.
Zwar mangelt es dem Wahlkampfkandidaten nach eigenen Angaben nicht an Geld, doch das Geschäftsmodell seiner Firma Devolder gibt Rätsel auf. Santos beschreibt Devolder mal als "Familienunternehmen", das 80 Millionen Dollar an Vermögenswerten verwaltet, und ein anderes Mal als Beratungsunternehmen für die Kapitaleinführung, das als Bindeglied zwischen Investmentfonds und Investoren dient. Bisher möchte Santos allerdings die Identitäten seiner Kunden nicht preisgeben.
Weiterhin konnte die New York Times keine Angaben bezüglich seiner Immobilien finden, dafür aber mehrere strafrechtliche Anklagen wegen Scheckbetrugs in Brasilien. Der mutmaßlich größte Betrug, der Santos zugerechnet wird, basiert auf einer in Florida ansässigen Immobilienfirma namens "Harbour City".
Der einzige Kommentar kommt bisher von seinem Anwalt, Joe Murray, der behauptet, die New York Times versuche den "guten Namen seines Klienten mit verleumderischen Behauptungen zu beschmutzen".
Selbst Santos Homosexualität wird von der Presse derzeit infrage gestellt, da dieser anscheinend eine frühere Ehe mit einer Frau verheimlichte.
An sich ist das Skandal, der an die Substanz geht – aber ob er tatsächlich das Karierende für den republikanischen Abgeordneten bedeutet, ist offen.
Tulsi Gabbards Verbindungen zu einem pseudo-hinduistischen Kult
Ähnlich der Fall Tulsi Gabbard, der ebenfalls zeigt, dass die Offenlegung offensichtlicher Täuschung nicht mehr unbedingt ausreicht, um eine politische Karriere endgültig zu beenden. Eine patriotische Kriegsgegnerin mit militärischer Karriere – das war sehr guter Stoff für den Wahlkampf einer Kandidatin aus den Reihen der Demokraten.
Zu gut, um wahr zu sein. Vielleicht interessierte sich die Demokratische Partei deshalb so wenig für den persönlichen und politischen Hintergrund der US-Abgeordneten.
Allerdings interessierten sich die Medien (Disclaimer: Das gilt auch für den Autor dieses Textes) kaum für die Geschichten über Gabbards Verbindungen zu einem pseudo-hinduistischen Kult um einen Surfer-Guru und zum US-amerikanischen Ableger der Hindunationalistischen Partei (RSS).
Einst von Nancy Pelosi als aufsteigender Stern in der Demokratischen Partei bezeichnet, verblüffte Tulsi Gabbard Vertreter von Politik und Medien mit einer Wandlung von einer Kriegsgegnerin, die 2016 ihren Posten als "Vice-DNC-Chair" aufgab, um Bernie Sanders in seiner Präsidentschaftskandidatur zu unterstützen, zu einer rechten Kulturkämpferin.
Ihre Begründung, sie würde die Demokratische Partei verlassen, da diese von einer "elitären Kabale" regiert würde, entsprach ihrem Stil, der ihr viel Anhängerschaft einbrachte, populistischen Strömungen zu folgen – egal ob diese der rechten oder linken Seite des politischen Spektrums entspringen.
Doch genauerer Blick in ihren persönlichen Hintergrund mag erklären, warum sich die Ex-Demokratin am rechten Rand so wohlfühlt.
Wie die britische Internet-Zeitung The Independent nach einem Interview mit Tulsi Gabbards Tante im Oktober berichtete, zeichnet sich die Sekte um Chris Butler, namens "Science of Identity Foundation" (SIF), durch extrem islamophobe, homophobe und frauenfeindliche Lehren sowie durch die Verehrung ihres "gottgleichen" Gurus und dessen Füßen aus.
Schon Gabbards Eltern bekleideten wichtige Positionen in der Sekte. Ihr Vater, Mike Gabbard, diente der Sekte als Direktor einer ihren Schulen und als "Anti-Gayrights-Activist". In den frühen 1990er-Jahren gründete er die gemeinnützige Bildungsorganisation "Stop Promoting Homosexuality", inklusive der charmant betitelten Radioshow "Let's Talk Straight Hawaii".
Seine schwulenfeindliche Haltung gab Mike Gabbard kurzzeitig auf, als seine Tochter auf dem Demokratischen Ticket für den Kongress kandidierte. Laut ihrer Tante, Sinavaiana Gabbard, war die gesamte Karriere ihrer Nichte Tulsi Gabbard Ausdruck eines Strebens nach Macht in den Diensten ihres Gurus, deren Höhepunkt ihre Kandidatur für die Präsidentschaft im Jahr 2020 darstellt.
Immerhin: Als Tulsi Gabbard Abgeordnete auf dem Kapitol war, zählten mindestens fünf Anhänger Butlers zu ihrem Team, deren Anwesenheit Butler sicherlich einigen Einfluss garantiert haben muss.
Wie der Intercept berichtete, setzte sich Tulsi Gabbard stark für die Anerkennung der Hindu-Nationalistischen Regierung Indiens unter Modi ein. Das kann mehrere Gründe haben: Womöglich entspricht Modis muslimfeindliche Haltung schlicht ihrer eigenen Einstellung und sie fühlte sich als erste Abgeordnete hinduistischen Glaubens dazu berufen, radikale Führer der hinduistisch-nationalistischen Bewegung in Indien in ihrem Traum eines vom Islam befreiten Indiens zu unterstützen.
Eventuell wollte Tulsi Gabbard den größten Wunsch ihres Gurus erfüllen: Die offizielle Anerkennung seiner Sekte durch die Kongresspartei. Die Sekte hat gute Verbindungen zur Vorfeldorganisation der Modi-Partei BJP, der hindunationalistischen und islamfeindlichen Gruppe RSS. "Von der Annäherung 'seiner Abgeordneten' an Modi, heißt es, erhoffe sich der Religionsgründer Chris Butler ein besseres Standing", schrieb der österreichische Standard bereits im Dezember 2019.