Tunesischer Webmaster zu Gefängnis verurteilt

Gestern wurde der Webmaster eines systemkritischen Online-Magazins trotz internationaler Mobilisierung in Tunis zu einer Haftstrafe von 28 Monaten verurteilt

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Mit 2 Jahren und 4 Monaten Gefängnis ist der 34-jährige Zouhair Yahyaoui, Webmaster und Gründer von tunezine.com, eigentlich noch "glimpflich" davon gekommen. Für die "Verbreitung falscher Nachrichten" und "betrügerischen Gebrauch von Kommunikationsmitteln" drohten dem unter dem Pseudonym "Ettounsi" (der Tunesier) am Web bekannt gewordenen Menschenrechtsaktivisten insgesamt 10 Jahre Haftstrafe.

Die tunesischen Autoritäten versuchten schon seit geraumer Zeit dem geheimnisvollen Ettounsi auf die Spur zu kommen und konnten ihn schließlich am 4. Juni an seinem Arbeitsplatz, einem Cybercafé in Tunis, ausfindig machen und verhaften. Die Mischung aus politischer Satire und gelebter Meinungsfreiheit in den beiden Foren von tunezine.com hatten gar nicht gefallen. Schon gar nicht Fragestellungen, wie "Ist Tunesien eine Republik, ein Königreich, ein Zoo oder ein Gefängnis?". Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen setzen sich für die sofortige Befreiung des "Cyberdissidenten" ein und wiesen ausdrücklich auf die bedenkliche Handhabung der Presse- und Meinungsfreiheit in Tunesien hin. Staatschef Zine el-Abidine Ben Ali, seit 1987 im Amt, ist für Reporter ohne Grenzen ein exemplarischer Unterdrücker der Pressefreiheit.

"Man wollte mit der Verurteilung Yahyaouis ein Exempel statuieren. Auch wenn das Urteil weniger streng ausgefallen ist, als es sich die Autoritäten gewünscht hatten. Die Anwesenheit internationaler Beobachter beim Prozess und die Angst vor der öffentlichen Meinung außerhalb Tunesiens haben das Schlimmste verhindert," erklärt Sophie Elwarda, französische Verlobte des verurteilten Webmasters und Pressesprecherin des eilig gegründeten Befreiungskomitees, im Gespräch mit Telepolis. Von der Verhaftung an bis zur Verhandlung am Donnerstag in einem Tribunal erster Instanz in Tunis scheinen Unregelmäßigkeiten an der Tagesordnung gewesen zu sein:

"Die Polizisten, die ihn verhaftet haben, waren in Zivil und haben für die anschließende Durchsuchung seiner Privatwohnung, wo sie sein Informatikmaterial beschlagnahmt haben, keine richterliche Genehmigung vorgewiesen. Seine Anwälte hat er erst eine Woche nach seiner Verhaftung zu Gesicht bekommen. Bei den Verhören ist er geschlagen und stundenlang an den Armen aufgehängt worden. Das Urteil wurde ohne vorangehendes Plädoyer der Anwälte gefällt. Wir wissen noch nicht, ob wir Einspruch erheben werden, denn das nächste Urteil könnte schlimmer ausfallen".

Mit den Verhören wollte man Yahyaoui dazu bringen, seine Informationsquellen und das Passwort zu seiner Site preiszugeben, um letztere blockieren zu können, berichten Reporter Ohne Grenzen (RSF).Yahyaoui selbst war bei der Verhandlung nicht anwesend - aus Protest gegen eine Justiz, "die sich den Machthabern unterordnet".

Beim Anklagepunkt "Verbreitung von falschen Nachrichten" handle es sich in Wirklichkeit keineswegs um "Nachrichten" im klassischen Sinne des Wortes, sondern vielmehr um reine Meinungsäußerungen zur politischen Situation in Tunesien, die im Tunezine-Forum gepostet wurden, wie in der Presseaussendung des Yahyaoui-Befreiungskomitees zu lesen steht. So wurden beispielsweise zum Referendum vom 26.Mai, das dem tunesischen Staatspräsidenten, Zine Ben Ali, durch eine Verfassungsänderung eine vierte Amtszeit genehmigt und nebenbei auch die Immunität in gerichtlichen Belangen garantiert hat, kritische Anmerkungen von anonymen Autoren getätigt, für die nun Yahyaoui zur Verantwortung gezogen wird.

Amnesty International erinnert daran, dass der Richter und Onkel Ettounsis, Mokhtar Yahyaoui, letzten Sommer seines Amtes enthoben wurde, nachdem er in einem offenen Brief an den Präsidenten die Unabhängigkeit der tunesischen Justiz angezweifelt hatte. Das von seinem Neffen gerade aus der Taufe gehobene tunezine.com war eines der ersten Medien gewesen, das diesen Brief veröffentlicht hatte.

"Wir befürchten, dass der Fall Zouhair Yahyaoui, nur ein weiteres Beispiel für die ungerechte Verhaftung eines Menschen ist, dessen einziges Vergehen darin besteht, sein Recht auf freie Meinungsäußerung friedlich ausgeübt zu haben.

Amnesty International

Allein im Laufe der letzten 6 Monate sind laut RSF in Tunesien ein Journalist zu einer Haftstrafe verurteilt, zwei Publikationen beschlagnahmt und zwei Tageszeitungen suspendiert worden. Wer auf das Internet ausweichen möchte, um an "unzensierte Informationen" heranzukommen, muss dies auf Umwegen tun. Tunezine.com wird von einem französischen Provider gehostet und ist derzeit von tunesischem Boden aus nur über Proxys oder Spiegel zugänglich. Die Tunesische Internetagentur ATI, zuständig für die Verwaltung und Kontrolle des Netzes und der Internetcafés, soll mit Filtermaßnahmen schnell zur Stelle sein. So wurde der Zugang zu ausländischen Medien, u.a. französischen, schon mehrmals gesperrt. Selbst das Abrufen von Mails auf Hotmail.com kann tagelang blockiert sein, berichtet Sophie Elwarda. Die Verbreitung von Tunezine.com war daher bislang auf nachbarschaftliche Solidarität angewiesen: Wer über einen Internetzugang verfügt - derzeit gibt es laut ATI 455.000 Internetnutzer - bringt die ausgedruckte Version unter die Leute.

"Wir Franzosen wissen wahrscheinlich besser über die politische Lage in Tunesien Bescheid, als die Tunesier selbst. Die offiziellen Medien schreiben, was die Regierung hören möchte. Aber ich denke, auch die meisten Touristen haben durchaus nicht den Eindruck, dass sie in einem Land urlauben, indem ein repressives Regime herrscht", beschreibt Sophie Elwarda ihre eigene Ernüchterung.

Mit der Verteilung von Tunesien-Postkarten am Pariser Flughafen Roissy Charles de Gaulle forderten RSF-Aktivisten letzten Mai die französischen Touristen dazu auf, "bei ihrem Rückflug nicht auf diejenigen zu vergessen, die bleiben und verfolgt werden", wie auf der Rückseite der Postkarte zu lesen stand. Doch nun gilt es die französischen Politiker wachzurütteln: Das Yahyaoui-Befreiungskomitee soll bereits Kontakte mit Jacques Chirac und dem Pariser Bürgermeister, Bertrand Delanoë, geknüpft haben, um deren Engagement zu erwirken.