UCK besiegt Carla del Ponte

Der UCK-Kommandant und ehemalige Kosovo-Premierminister Ramush Haradinaj wurde vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag freigesprochen. Triumphale Rückkehr nach Pristina

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Es war einer der kontroversesten Prozesse, die am Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag gelaufen sind. Am Donnerstag ging er mit einem Paukenschlag zu Ende. Der UCK-Kommandant Ramush Haradinaj (Händeschütteln mit dem Kriegsverbrecher) wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. In der Kosovo-Hauptstadt Pristina begannen Jubelfeiern auf den Straßen. Die serbische Öffentlichkeit ist dagegen zutiefst schockiert.

Der Prozess gegen Haradinaj war das erste Verfahren, das vom ICTY gegen einen der führenden Kommandanten der UCK geführt wurde. Er wird auch das letzte sein, denn neue Prozesse werden nicht mehr eröffnet. Nach der Anerkennung der unilateralen Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar durch die führenden westlichen Staaten (Kosovo: Sprung ins dunkle Ungewisse), wird das Urteil in Pristina nun als eine Bestätigung der Rechtmäßigkeit des Guerillakampfes zwischen 1997 und 1999 interpretiert. Der frühere UCK-Chef und heutige Kosovo-Premierminister Hasim Thaci erklärte am Donnerstag:

Das demonstriert ein weiteres Mal, dass der Krieg der UCK gerecht und in Übereinstimmung mit internationalen Konventionen geführt wurde.

Das Urteil ist dagegen eine schwere Niederlage für die langjährige Chefanklägerin des ICTY Carla Del Ponte. Zum Prozessauftakt gegen Haradinaj und zwei Mitangeklagte am 5. März vergangenen Jahres hatte sie noch gesagt, die Angeklagten seien zweifelsfrei für zahlreiche Verbrechen gegen serbische Zivilisten und albanische Gegner der UCK während des Krieges 1998 verantwortlich.

Die drei Männer vor ihnen sind angeklagt für Verbrechen – hässliche, grausame und brutale Verbrechen; Verbrechen wie Mord, Vertreibungen, Folter, Vergewaltigungen, Entführungen und Gefangennahme (…) Sie sollten in keinem Zweifel sein. Die Anklage wird zeigen, dass dieser Warlord mit seinem Leutnant und seinem Gefängniswärter Blut an ihren Händen haben. Es ist das Blut unschuldiger Zivilisten.

Carla Del Ponte

Sie warnte aber auch:

Um ganz offen zu sein: Es ist eine Anklage, die nur wenig Unterstützung erhielt, sowohl auf internationaler wie auf lokaler Ebene.

Carla Del Ponte

Prozess im Ausnahmezustand

Del Pontes Besorgnis bestätigte sich in den vergangenen Monaten. Der Prozess fand in einem unerklärten Ausnahmezustand statt. Abseits der Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit gelang es Strukturen der ehemaligen UCK die Arbeit der Anklagebehörde des ICTY effektiv zu blockieren. Das Hauptproblem der Anklage bestand dabei in der Schwierigkeit, Zeugen zur Aussage zu bewegen. Olga Kavran, die Sprecherin der Anklage, erklärte nach der Urteilsverkündigung:

Es gab ein Problem mit der Einschüchterung von Zeugen. Viele Zeugen erschienen unter Schutzmaßnahmen. 18 Zeugen mussten unter Androhung von Strafe (Subpoenas) durch das Gericht zur Aussage gezwungen werden.

Olga Kavran

Das Problem ist dabei seit langem bekannt. Bereits im vergangenen Oktober sagte Del Ponte in einem Interview: “Ich verliere im Prozess gegen Haradinaj links und rechts die Zeugen. Sie werden ernsthaft bedroht. Die Albanern sind in dieser Hinsicht schlimmer als die Serben.“

Nach Schätzungen wurden in den vergangenen Jahren mindestens neun potentielle Zeugen ermordet, die gegen Haradinaj hätten aussagen können. Fünf davon bereits 2001 und 2002, als Haradinajs Bruder Daut sich wegen mehrfachen Mordes vor einem UN-Gericht im Kosovo verantworten musste. Im Prozess selbst verweigerten eine Reihe von Zeugen die Aussage, weil sie sich bedroht fühlten.

Auch die Richter stellten in der Urteilsbegründung fest, dass die Zeugeneinschüchterung einen wichtigen Einfluss auf den Verlauf des Prozesses genommen habe.

Die Kammer traf auf bedeutende Schwierigkeiten, die Aussagen einer großen Anzahl von Zeugen sicherzustellen. Viele gaben Angst als den Hauptgrund an, warum sie nicht vor der Kammer erscheinen wollten, um auszusagen. In dieser Hinsicht gewann die Kammer den starken Eindruck, dass der Prozess in einer Atmosphäre stattfand, in der sich die Zeugen unsicher fühlten.

Aus dem Urteil

Zu einem Skandal war es in diesem Zusammenhang im vergangenen Herbst gekommen. Damals wurde bekannt, dass der Vize-Chef der UN-Mission im Kosovo (UNMIK), der US-amerikanische General Steven Schook, den Namen eines geschützten Zeugen bei einem Abendessen in Pristina an den Jugend- und Kulturminister in der Kosovo-Regierung und Haradinaj Vertrauten Astrit Haraqia weitergegeben hatte. Daraufhin machten sich Emissäre aus Pristina auf den Weg nach Oslo, um den dort abgetauchten Belastungszeugen von seiner Aussage abbringen. Nachdem die Affäre öffentlich wurde, musste Schook am 17. Dezember zurücktreten. Ihm war bereits im September von der UN-internen Untersuchungsbehörde UN Office of Internal Oversight Services (OIOS) vorgeworfen worden, eine „enge Beziehung“ zu Haradinaj unterhalten zu haben.

UNMIK unterstützt Haradinaj

Die Weitergabe der Identität eines geschützten Zeugens an Haradinaj nahe Kreise in Pristina durch den UNMIK-Vize war freilich nur der Höhepunkt einer intensiven Kooperation, die eine lange Vorgeschichte hat. Als Haradinaj Ende 2004 zum Premierminister des Kosovo gewählt worden war, galt er der internationalen Protektoratsverwaltung als vorbildlich. Als del Ponte im März 2005 ihre Anklageschrift veröffentlichte, drückte der damalige UNMIK-Chef Jessen Soren Petersen sein Bedauern aus.

Dank Ramush Haradinajs dynamischer Führung, starken Überzeugung und Vision ist Kosovo heute näher an der Erreichung seiner Wünsche den künftigen Status [Unabhängigkeit] zu erreichen als jemals zuvor. Ich bin persönlich traurig, dass ich nicht länger mit einem engen Partner und Freund arbeiten kann.

Jessen Soren Petersen

Erstaunlich ist dabei, dass Berichte westlicher Geheimdienste, die Haradinaj eine zentrale Rolle in der Organisierten Kriminalität im Kosovo zuschreiben, von UNMIK offenbar ignoriert wurden. Nur kurz vor Jessen Petersens öffentlicher Sympathiebekundung für Haradinaj wurde im März 2005 ein umfangreiches Dossier des Bundesnachrichtendienstes (BND) fertig gestellt. Hier heißt es unter anderem:

Die im Raum Decani auf Familienclan basierende Struktur um HARADINAJ Ramush befasst sich mit dem gesamten Spektrum krimineller, politischer und militärischer Aktivitäten, die die Sicherheitsverhältnisse im gesamten Kosovo erheblich beeinflussen. Die Gruppe zählt ca. 100 Mitglieder und betätigt sich im Drogen- und Waffenschmuggel und im illegalen Handel mit zollpflichtigen Waren. Außerdem kontrolliert sie kommunale Regierungsorgane.

BND-Dossier

Und außerdem:

Über die "key player" ("Multifunktionspersonen", wie z.B. HALITI, THACI, HARADINAJ und LLUKA) bestehen engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden OK [Organisierte Kriminalität]-Strukturen im Kosovo. Die dahinter stehenden kriminellen Netzwerke fördern dort die politische Instabilität. Diese OK-Strukturen haben kein Interesse am Aufbau einer funktionierenden staatlichen Ordnung, durch die ihre florierenden Geschäfte beeinträchtigt werden könnten. Die Organisierte Kriminalität schafft sich vielmehr ein geeignetes politisches Umfeld, was sich auch in der Verankerung einzelner OK-Akteure in der Politik darstellt.

BND-Dossier

Freilassung Haradinajs hat Signalfunktion

Die auch von anderen westlichen Geheimdiensten behauptete Verwicklung Haradinajs in die Kosovo-Mafia war nicht Gegenstand des Prozess in Den Haag. Dort wurde nur über Kriegsverbrechen verhandelt. Seine Rolle in der Organisierten Kriminalität wird dagegen von Nichtregierungsorganisationen im Kosovo problematisiert, die eine Signalwirkung fürchten. In einem Interview erklärt Avni Zogiani von der kosovo-albanischen Anti-Korruptionsgruppe ÇOHU:

In der Situation der totalen Straflosigkeit sagen die Leute natürlich: „Und warum nicht ich?“, „Ich hätte es so machen sollen wie sie“. Als Haradinaj Kandidat für das Amt des Premierminister wurde, habe ich gesagt, dass mein Sohn wahrscheinlich morgen zu mir sagen wird: Warum gehe ich überhaupt noch zur Schule? Ich kaufe mir eine Kalaschnikow und dann werde ich Premierminister. Das ist alles sehr bedauerlich. Und es ist besonders bedauerlich, weil die internationale Gemeinschaft hier war und alles unter ihrer Nase ablief. Sie können sich also vorstellen, wie enttäuscht die Zivilgesellschaft über die internationale Gemeinschaft ist.

Avni Zogiani

Nach der Freilassung Haradinajs ist es allerdings vor allem die serbische Öffentlichkeit, die schockiert reagiert. Premierminister Vojislav Kostunica sagte:

Diese Entscheidung des Haager Tribunals ist eine Verspottung der Gerechtigkeit und eine Verspottung der unschuldigen Opfer, die unter Haradinaj gelitten haben.

Vojislav Kostunica

Oliver Ivanovic, ein als gemäßigt geltender Sprecher der Kosovo-Serben, weist darauf hin, dass das Tribunal im Fall Haradinaj nicht nach dem Prinzip der Kommandoverantwortung geurteilt hat:

"Etwa 30 serbische Armee- und Polizeioffiziere wird derzeit vor dem ICTY auf der Grundlage der Kommandoverantwortung der Prozess gemach,t während das ICTY den selbst erklärten General Haradinaj freispricht.

Oliver Ivanovic

Der prowestlich orientierte serbische Präsident Boris Tadic hat bereits kurz vor der Urteilsverkündigung vor dem möglichen Konsequenzen eines Freispruchs gewarnt.

Wenn es zu einer solchen Entscheidung käme, würde das keine Gerechtigkeit schaffen. Sie würde nicht dazu beitragen, dass Serben und andere Nicht-Albanern im Kosovo in Zukunft ein friedliches und sicheres Leben führen können.

Boris Tadic