UK Big Brother Awards 1999
Preise für die übelsten Verletzungen der Bürgerrechte.
London - Gestern Abend wurden die UK Big Brother Awards 1999 vergeben. Damit werden jene öffentlichen und privaten Organisationen "ausgezeichnet", die am meisten zur Zerstörung der Privatsphäre beigetragen haben. Den Hauptpreis erhielt wie schon im Vorjahr das Home Office (Innenministerium) unter Minister Jack Straw für die Summe seiner "Leistungen".
Eine illustre Runde hatte sich gestern an der London School of Economics (LSE) versammelt, um der Verleihung der UK Big Brother Awards 1999 beizuwohnen - von buntgefärbten Haarschöpfen der Brightoner SCHNews-Aktivisten bis zu ehrerbietigen Mitgliedern der Law Society. Ganz britisch locker begann die Zeremonie mit einem kurzen Ständchen einer Punk-Band. Simon Davies, Initiator der Veranstaltung und Leiter von Privacy International, sowie Steve Wright von der Omega Foundation moderierten die Zeremonie mit würzigen Bonmots. Die Absicht hinter dem Spektakel: "To name them and shame them", also die Übeltäter öffentlich zu benennen und zu beschämen und damit der guten Sache, der Erhaltung der Privatsphäre im öffentlichen und elektronischen Raum, Publizität zu verschaffen.
Den ersten Preis für lebenslange "Leistungen" erhielt das Home Office. Besonders berücksichtigt wurde hierbei der Neuentwurf für den "Interception of Communications Act" (vergleichbar der Telekommunikations-Überwachungsverordnung), aber auch die kontinuierlichen Anstrengungen dieses Ministeriums zur Förderung von Überwachungstechnologie (500.000 Überwachungskameras sind inzwischen in Großbritannien installiert), der Entzug von Rechten von Asylantragstellern und die weitreichenden Vollmachten, welche sich die Polizei bezüglich Lauschangriff und sogar Wohnungseinbruch verlieh.
Aber auch Jack Straw, der Innenminister, bekam eine persönliche Auszeichnung, als "schlimmster öffentlich Bediensteter". Besonders "gewürdigt" wurde die Förderung der Geheimhaltung in seinem Ministerium, die schon oben erwähnten gesetzgeberischen Anstrengungen seines Ministeriums und nicht zuletzt Herrn Straws persönlicher kompromissloser Einsatz, der sich nicht scheut, sich öffentlich über Asylantragsteller, "Zigeuner" oder alleinerziehende Mütter abfällig zu äußern. Frenetischer Jubel begrüßte die Verleihung des Preises an ihn, doch wie es der Natur des Ereignisses entspricht, war Herr Straw leider nicht persönlich anwesend, um den Preis - ein Stiefel, der auf einen Kopf tritt - entgegenzunehmen. Eine Freiwillige wurde gesucht und gefunden, welche die ehrenvolle Aufgabe übernahm, Jack Straw den Preis persönlich zu überreichen - oder es zumindest zu versuchen.
Als am meisten die Privatsphäre unterwandernde Firma bekam "Experian" einen Preis. Dieses Unternehmen, das mit finanziellen Informationen von Kreditkarten Handel treibt, hatte eine Kampagne ins Leben gerufen, um das Wählerregister mit ihren Datenbanken verbinden zu dürfen. In Großbritannien gibt es keine Meldepflicht und folglich kein Melderegister, so dass das Wählerverzeichnis die beste öffentliche Quelle für personenbezogene Informationen ist. Eines der Ergebnisse der Kampagne von Experian, welches die Demokratie nachhaltig schädigt, ist, dass sich Wähler aus Angst vor Missbrauch ihrer Daten nicht mehr einschreiben und folglich auch nicht mehr zur Wahl gehen.
Die schottische Grenzpolizei erhielt den Preis als "abscheulichste Regierungsorganisation" aufgrund ihres ausgiebigen Gebrauchs von DNA-Tests. Als "abstossendstes Projekt" wurde ein Preis an RACAL für das Projekt CLASSIC vergeben. Dabei handelt es sich um ein System zur Aufspürung von Menschen und Fahrzeugen in Brachland, das ursprünglich für die Grenzpolizei von Hong Kong entwickelt worden war und inzwischen an 31 Länder weiterverkauft wurde, darunter 10 NATO-Staaten.
Doch auch positive Gewinner gab es. Ausgezeichnet wurden:
- Duncan Campbell für seine Arbeiten über die NSA und Echelon
- Tony Bunyan für seine nimmermüden Aktivitäten mit Statewatch, insbesondere hinsichtlich der FBI/EU-Kooperation
- Clive Norris und Gary Armstrong für ihre beiden Bücher über CCTV ("Surveillance, Closed Circuit television and Social Control" und "The Maximum Surveillance Society")
- David Burke für seine Arbeit über die Implikationen des interaktiven Fernsehens, zusammengefasst in der Broschüre "Spy TV"
- Fleur Fisher für ihre Arbeit bezüglich des Schutzes von Patientendaten im nationalen Gesundheitssystem.
In einer kurzen Rede fasste Simon Davies auch zusammen, wie die Gewinner der letztjährigen Preise reagierten. Fazit: kaum, höchstens durch Ausbau der PR-Abteilung. Zumindest den enormen Publizitätsschub, welche die Überwachungsaktivitäten der NSA im Laufe des vergangenen Jahres erhalten haben, bezeichnete er als Anlass zur Hoffnung gebend. Das System ECHELON, dessen Existenz von Regierungsstellen bislang geleugnet worden war, werde nun im US-Kongress diskutiert.