UNO und Ukraine: Totalversagen oder Erfolg der kleinen Schritte?

Seite 2: Zur Wirksamkeit der UNO-Interventionen im Krieg in der Ukraine

Die Maßnahmen und begrenzten Möglichkeiten im UN-Sicherheitsrat – Blockade durch das Veto-Recht – und für die UNO-Vollversammlung – keine völkerrechtlich verbindliche Relevanz sicherheitspolitischer Beschlüsse – wurden bereits skizziert.

Daher sollen insbesondere die Vermittlungsbemühungen des UNO-Generalsekretariats genauer analysiert und eingeordnet werden. Hierzu äußerte der UN-Generalsekretär António Guterres während eines im zeitlichen Kontext der 77. UN-Vollversammlung durchgeführten Interviews seine eindeutige Einschätzung des russischen Angriffskriegs, sprach aber gleichzeitig auch die begrenzten Möglichkeiten der UN an:

Die russische Invasion war eine Verletzung der Charta der Vereinten Nationen und des internationalen Rechts, und wir haben klar zum Ausdruck gebracht, dass diese Tatsache dramatische Konsequenzen hat. Zugleich organisieren wir die humanitäre Hilfe für die Ukraine und umliegende Staaten. Und wir sind fest entschlossen, eine Lösung für die Ernährungskrise zu finden. Leider sind wir nicht in der Lage, diesen Krieg zu stoppen.

Hinsichtlich einzelner Maßnahmen des UN-Generalsekretariats sind also zunächst die Getreideexporte aus der Ukraine zu nennen. Russland und die Ukraine haben im Juli 2022 über die Vermittlung des UN-Generalsekretärs in der Türkei ein Abkommen unterzeichnet, das die Auslieferung von Millionen Tonnen Getreide aus den drei Häfen Odessa, Tschornomorsk und Juschne zukünftig ermöglichen sollte. Die Ukraine verpflichtete sich, den Seeweg von Minen zu räumen und Russland sagte u.a. zu, Transportschiffe mit landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine, wie z.B. Getreidetransporte, nicht anzugreifen.

Im Gegenzug unterzeichnete Guterres ein Memorandum, bei dem sich die UN verpflichtet, sich für den Export russischer landwirtschaftlicher Produkte sowie von Düngemitteln einzusetzen. Auch wenn diese Maßnahmen recht zögerlich begannen und auch Russland bereits schon wieder über die Blockade der Getreidelieferungen Andeutungen gemacht hat, zeigte sich hier, dass der UNO ein Verhandlungserfolg gelungen ist, der nicht nur für die Ukraine, sondern auch für andere von Hunger betroffene Weltregionen eine große Bedeutung hat.

Die UNO will des Weiteren in diesem Zusammenhang ein Koordinationszentrum einrichten, um die Umsetzung der vertraglichen Vereinbarungen zu überwachen.

Ein weiteres Vermittlungsprojekt der Vereinten Nationen in der Ukraine bezieht sich auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja, das bereits mehrfach mit schwerer Artillerie und Raketen beschossen wurde. Um eine nukleare Katastrophe zu vermeiden, wurde das seit März von der russischen Armee besetzte AKW immer wieder abgeschaltet.

Der russische Vertreter im UN-Sicherheitsrat, Wassili Nebensja, warf während einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats vom 23.8.2022 der Ukraine vor, das AKW fast täglich zu beschießen und eine nukleare Katastrophe in Kauf zu nehmen. Die Ukraine hingegen beschuldigte das russische Militär, für den Beschuss verantwortlich zu sein.

Die Untergeneralsekretärin der Vereinten Nationen, Rosemary DiCarlo, rief beide Staaten auf, jegliche militärische Aktivität, um das Kernkraftwerk einzustellen und einer Expertengruppe der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) die Inspektion des AKWs zu ermöglichen. Inzwischen hat bekanntlich die IAEA-Expertengruppe das größte Atomkraftwerk Europas besucht und einen umfassenden Bericht vorgelegt. Dieser Bericht verweist auf die gefährliche Situation in Saporischschja. Der Generaldirektor der IAEA, Rafael Grossi, warnte im Juli 2022 vor dem UN-Sicherheitsrat, als er dort die Einschätzung des IAEA-Experten-Teams vortrug:

Wir spielen mit dem Feuer und etwas sehr, sehr Katastrophales könnte passieren.

Grossi forderte eine entmilitarisierte Schutzzone um das AKW herum. Guterres betonte, dass sich russische und ukrainische Streitkräfte verpflichten müssten, weder vom Werksgelände aus noch in Richtung des Werksgeländes militärische Aktivitäten zu entwickeln. Inzwischen fand allerdings erneuter Beschuss des AKW-Geländes statt, für den sich wiederum beide Seiten verantwortlich machten.

Die russische Regierung zeigte zunächst ihr Desinteresse hinsichtlich weiterer Vermittlungsangebote der UN. So verweigerte Putin wochenlang dem UN-Generalsekretär eine Begegnung. Nicht einmal telefonieren wollte er mit ihm. Erst im April fand eine Begegnung im Kreml statt, wo die russische Regierung Guterres deutlich machte, dass sie nicht an Friedensverhandlungen oder einem Friedensplan interessiert seien.

Man könne aber über humanitäre Angelegenheiten sprechen. Im Zuge dieser Gespräche erreichte Guterres den Abzug der letzten ukrainischen Kämpfer aus dem Stahlwerk Asow in Mariopol, was allerdings dann auch den Russen die vollständige Kontrolle über die Stadt ermöglichte.5

Guterres setzte ein weiteres Zeichen und forderte des Weiteren zu Beginn der Generaldebatte der 77. UN-Vollversammlung, dass den Ölunternehmen, die während des Kriegs in der Ukraine zusätzliche Gewinne erzielt hätten, eine Übergewinnsteuer abgezogen werden sollte.

Auch dies wäre m.E. sicherlich eine sinnvolle Maßnahme, würde allerdings ebenfalls nicht den Krieg in der Ukraine eindämmen helfen.

Der Krieg in der Ukraine tobt – trotz der UNO-Vermittlungsbemühungen – weiter, Menschen werden getötet, Infrastruktur zerstört und die Umwelt massiv belastet. Eine weitere Eskalation ist möglich. Ein nuklear ausgetragener Krieg ist nicht ausgeschlossen. Der Welt fehlt immer noch ein handlungsfähiges friedenspolitisches Organ, das diese Destruktion beenden könnte.

Fazit: Nur erfolgreich im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten

Die UNO ist noch immer ein Ort, an dem über Verletzungen des Völkerrechts, wie dem russischen Überfall auf die Ukraine, öffentlich diskutiert werden kann. Hierdurch wird durch die Behandlung der militärischen Aggression im UN-Sicherheitsrat und in der UN-Vollversammlung eine kritische Weltöffentlichkeit hergestellt. Möglicherweise ist diese symbolische Handlung im Kontext einer Weltöffentlichkeit derzeit noch die wichtigste Funktion der Vereinten Nationen zumindest aus der Sicht des Westens in Bezug auf den Krieg in der Ukraine.

Allerdings machte die UN-Generaldebatte auch deutlich, dass den afrikanischen oder lateinamerikanischen Staaten der Krieg in der Ukraine nicht prioritär ist und für sie andere Probleme, wie z.B. die mangelnde Unterstützung durch westliche Staaten sowie die Klimakrise, eher von Interesse sind.6

Das UN-Generalsekretariat hat im Zuge seiner Hintertür-Diplomatie und offizieller Vermittlungsangebote hinsichtlich verschiedener durch den russischen Krieg in der Ukraine ausgelösten Gefahren zumindest Teilerfolge erzielt. Daher kann man nicht von einem Totalversagen der UN im Krieg in der Ukraine sprechen.

Der UN gelingt das weitgehend, was mit großem Einsatz im Rahmen ihrer bisherigen Strukturen möglich ist. Guterres erste singuläre Erfolge als Brückenbauer für die UNO und erste Vermittlungserfolge im Krieg in der Ukraine – so wichtig sie sind – täuschen daher nicht darüber hinweg, dass die UNO nicht mächtig und handlungsfähig genug ist, einen derartigen Konflikt präventiv zu verhindern oder im Falle des Kriegsausbruchs einzudämmen und zu beenden.

Ohne einschneidende strukturelle Reformen werden die Vereinten Nationen ihre weltpolitische Rolle hinsichtlich ihrer 17 Nachhaltigkeitsziele nicht einnehmen können. Es gilt, die UN zu demokratisieren und gleichzeitig zu stärken. Erste Signale für eine Reform der Vereinten Nationen waren auf der 77. Vollversammlung der UN wahrzunehmen. Diese Impulse gilt es aufzugreifen.

Die UNO wird andernfalls ein erheblich blockierter internationaler Akteur bleiben, und wird die notwendigen Maßnahmen nicht ergreifen können, die global zur Beseitigung schwerwiegender Krisen notwendig sind. Dies bezieht sich u.a. auf die Bekämpfung der Klimakrise, auf die Beseitigung des Welthungers sowie auf die Beendigung von Kriegen – alles für die Menschheit existenzielle Anlässe, über eine neue Rolle der UNO und über radikale Reformen der UN-Charta ernsthaft nachzudenken und zu verhandeln.

Prof. Dr. Klaus Moegling, Jg. 1952, habilitierter Politikwissenschaftler und Soziologe, Lehrtätigkeiten an den Universitäten Hamburg, Marburg und Kassel, u.a. Autor des Buches Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich, Verlag Barbara Budrich, 3. erweiterte Auflage 2020. (Englische Version im open access)

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