US-Börsencrash erneut vermieden?

Die Fed setzt zur Stabilisierung der Aktienmärkte ihre stärksten Waffen ein und könnte den US-Börsen innerhalb von nur sechs Monaten nun den dritten U-Turn verschafft haben

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Bei den jüngsten Turbulenzen an den Aktienmärkten ist eigentlich nur verwunderlich, dass sie jetzt erst aufgetreten sind. Immerhin mussten große Banken bereits mehr als 130 Milliarden Dollar auf hypothekarisch gestützte Anleihen abschreiben, die Kreditvergaben gehen zurück, und die US-Wirtschaft könnte sich bereits in einer Rezession befinden, wie etwa der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan und die Analysten von Merrill Lynch vermuten. Das sind zweifellos gute Gründe für einen Einbruch des US-Aktienmarkts und - weil die Wall Street nach wie vor die Stimmung an allen westlichen Börsen bestimmt - auch aller Börsen der restliche Welt.

Quelle: Dow Jones/BigCharts

Angesichts der schon seit letztem August schwelenden „schwersten Banken- und Finanzkrise seit dem 2. Weltkrieg“ dürfte bisher ohnehin nur das beherzte Eingreifen der Notenbanken die Aktienmärkte vor Schlimmerem bewahrt haben. So ist es der Fed nach den Einbrüchen im September und im Dezember jeweils gelungen, den Börsen neuen Schwung zu verleihen. Diesmal hat die Fed zudem besonders tief in die Trickkiste gegriffen und mit 0,75 Prozentpunkten die stärkste Zinssenkung seit 1982 vorgenommen, dies noch dazu überraschend und außertourlich.

Ob es neuerlich gelingt, den Abwärtstrend zu stoppen, bleibt abzuwarten. Der DAX hatte sich bis zum Börsenschluss am Dienstag jedenfalls nur kurz aufgebäumt und war am Mittwoch noch unter seine Tiefststände vom Montag zurückgefallen; in Asien blieben die Schwankungen ebenfalls sehr hoch und ein deutlicher Aufschwung war bis zum Mittwoch-Schluss ebenso wenig zu beobachten wie vorerst in den USA. Am Mittwoch Nachmittag in New York - nachdem der DAX bereits mit 4,88 Prozent im Minus geschlossen hatte – scheinen sich die Börsianer von der Entschlossenheit der Fed jedoch haben überzeugen lassen, und es etablierte sich ein kräftiger Aufwärtstrend, der den Leitindex DJIA um mehr als 500 Punkte in die Höhe zog.

Denn nicht genug mit der Zinsüberraschung, hatte Bloomberg zufolge ein Sprecher der staatlichen Versicherungsaufsicht am Mittwoch Nachmittag, als die Börse gerade wieder einknickte, bekannt gemacht, dass sich Behörden- und Bankenvertreter gerade eben treffen würden, um über eine Rekapitalisierung der „Monolines“, der Bond-Garantie-Unternehmen, zu verhandeln, die den Finanzmärkten gerade so große Sorgen machen Shapes of things to come). Diese spezialisierten Anleiheversicherer wie Ambac und MBIA garantieren ein Volumen von insgesamt rund 2,4 Billionen Dollar an Anleihen, die deshalb ein AAA-Rating erhalten. Würden die Monolines ihre Investmentgrade-Ratings verlieren, gelte das auch für die von ihnen garantierten Bonds. Institutionelle Investoren, die nur in AAA-Papiere investieren dürfen, müssten ihre Bestände also abstoßen, was eine weitere Schockwelle durch das Finanzsystem jagen könnte. Ambac hatte am 18. Januar bereits ein „A“ verloren, allerdings vorerst nur bei „Fitch“, der kleinsten der internationalen Ratingagenturen. Marktführer Moody's Investors Service und Standard & Poor's haben Ambac und MBIA allerdings auf der „Watchlist“ für ein „Downgrade“.

Laut Financial Times hat Eric Dinallo, Chef der New Yorker Versicherungsaufsicht bei diesem Treffen von den namentlich nicht genannten Banken verlangt, sofort fünf Milliarden an Eigenkapital bereitzustellen, und langfristig noch um zehn weitere Milliarden aufzustocken. Bloomberg meldete zudem, dass Timothy Geithner, der Präsident der Federal Reserve Bank of New York schon seit Oktober die zentrale Rolle bei der Überwachung der Monolines übernommen habe. MBIA konnte am Mittwoch also 33 Prozent zulegen und Ambac gewann sogar 72 Prozent auf 13,70 Dollar, war allerdings im ersten Quartal 2007 noch mit über 80 Dollar bewertet worden.

Sollten damit also die aktuelle Tiefststand von 11645 Punkten zur Eröffnung am Dienstag wieder nachhaltig übertroffen werden, dann hat das den börsenpsychologisch erwünschten Effekt, dass nicht von einem „Bärenmarkt“ gesprochen werden muss, was bei einem Rückgang um 20 Prozent vom letzten Höchststand (14164 Punkte im Oktober) der Fall wäre.

Kurzfristige Erfolge und langfristige Kapitalanlagen

Der kurzfristige Erfolg könnte langfristig natürlich auch unerwünschte Folgen haben. So liegen die US-Leitzinsen nun mit 3,5 Prozent neuerlich unter der Inflationsrate, die in den USA inzwischen knapp vier Prozent erreicht hat. So wie im Jahr 2001 sind die Realzinsen also wieder negativ, was damals hauptverantwortlich für die spekulativen Übertreibungen am Immobilienmarkt gewesen sein dürften, die ja der Grund für die aktuellen Finanzkrise und die Börsen-Turbulenzen sind. Mit der Leitzinsensenkung könnte es den USA zudem – wie bereits nach dem Platzen der New Economy-Blase – gelingen, einen großen Teil der Last, die sich aus den exzessiven Kreditvergaben ergibt, vom Ausland tragen zu lassen, indem der Dollar einfach weiter abwertet.

Dass die jüngsten Kurseinbrüche einen guten Einstiegszeitpunkt für langfristige Anleger darstellen, wie der Neue Züricher Zeitung jüngst implizit zu entnehmen war, muss hier noch kurz entgegnet werden. Denn für gewöhnlich deckt dieses Blatt ökonomische Ineffizienzen und spekulative Übertreibungen schonungslos auf, so dass man für gut daran tut, der NZZ blind zu vertrauen. Der offenbar recht eilig geschriebene Kommentar „Rationales Herdenverhalten“ zum aktuellen „Schwarzen Montag“, bricht leider mit dieser Tradition. Nicht dass an der Kernaussage der Analyse viel auszusetzen wäre (dass das Rationalverhalten vieler Investoren, die in der berechtigten Erwartung fallender Kurse ihre Papiere auf den Markt werfen und die Preise erst so richtig einbrechen lassen, negative Folgen haben kann), problematisch ist jedoch der gegen Ende erteilte Hinweis auf den langfristigen Renditevorsprung von Aktien gegenüber festverzinslichen Anleihen. So heißt es da: „Wer vor 80 Jahren 100 Fr. in Aktien investierte, hat heute, wie die Banque Pictet errechnet hat, mehr als 66 000 Fr.; bei einer Investition in festverzinsliche Papiere wurden nicht einmal 3500 Fr. daraus. Das ist in so turbulenten Zeiten wie diesen eine tröstliche Einsicht.“

Diese „tröstliche Einsicht“ wird für gewöhnlich hervorgekramt, um Anleger in den Markt zu locken oder um einen höheren Aktienanteil bei z.B. Pensionskassenportfolios zu argumentieren. Tatsächlich ist dieser langfristige Vorsprung statistisch gut belegt, allerdings fragt sich, für wen ein 80-jähriger Veranlagungszeitraum relevant sein könnte. „Kleinanleger sind in einem solchen Umfeld gut beraten, nicht in Panik zu geraten. Wenn sie in Zeiträumen von fünf bis zehn Jahren denken – jede kürzere Perspektive ist bei kleinen Vermögen nicht ratsam –, müssen sie sich über den genau richtigen Zeitpunkt des Ein- oder Ausstiegs nicht allzu sehr den Kopf zerbrechen“, schreibt nun die NZZ. Demgegenüber erscheint zumindest eine nähere Analyse des Zeitpunkts angebracht, zu der diese zweifellos als Kaufempfehlung zu wertende Aussage getroffen wurde.

Denn mit schöner Regelmäßigkeit treten immer wieder auch Zeiträume auf, in denen die Aktienkurse über Jahrzehnte stagnieren. Wer das Pech hatte, am Anfang einer solchen Phase in Aktien investiert zu haben, erzielte jahrzehntelang nicht nur keine Renditen, sondern hatte - bereinigt um die Inflation – nach 15 Jahren sogar an Kaufkraft verloren. Mit Anleihen wäre in diesen Zeiträumen nominell wenigstens eine Verdoppelung des eingesetzten Kapitals erzielt worden.

Heute haben die Aktienmärkte – gemessen am US-Leitindex DJIA - trotz aller Rückschläge eine bald 25jährige Aufschwungphase hinter sich. Die Credit Suisse, deren Analysten als „Sell-side-Ökonomen“ tendenziell durchaus an positiver Aktien-Berichterstattung interessiert sein müssten, präsentiert derzeit auf „Roadshows“ dennoch eine Grafik, die sehr schön die historischen Phasen zeigt, an denen die Aktienmärkte genau keine Zuwächse verzeichnet hatten.

Credit Suisse

Wer beispielsweise Ende der 1960er Jahre in US-Aktien investiert hatte, verzeichnen erst 15 Jahre später die ersten nominellen Gewinne; berücksichtigt man die Inflation, war um 1982 die Hälfte der investierten Kaufkraft verloren. Ebenso war die Zeit vor dem Beginn des 1. Weltkriegs bis lange nach dem Ende des Zweiten frei von nachhaltigen Aktienrenditen. Betrachtet man nun den Chart der Credit Suiss, erscheint es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass sich gerade jetzt ein ähnliches Kursmuster zu etablieren beginnt, wie offenbar auch die CS-Experten befürchten.

Das soll natürlich nicht heißen, dass kurzfristige Kursgewinnen jetzt ausgeschlossen wären. Angesichts der kräftigen Zinssenkung erscheint dies sogar recht wahrscheinlich, insbesondere da die deutlich zurückgefallenen Risikoaufschläge am Interbanken-Kreditmarkt auf eine Beruhigung der Lage im Bankensektor hindeuten. Nur dürften die niedrigen Zinsen den Dollar weiter schädigen und sowohl dessen Außenwert als auch dessen Kaufkraft im Inland unterminieren. Das dürfte langfristig selbst für die US-Wirtschaft nicht durchzuhalten sein. Die Fed müsste – will sie an den Bondmärkten eine Restreputation als Inflationsbekämpfer behalten - spätestens im 2. Halbjahr die Zinsen wieder erhöhen, sollten die Finanzmärkte in einem Zustand sein, dass sich die Fed ihnen derlei zuzumuten getraut. Ein Herbstcrash an den Aktienbörsen würde dann dafür sprechen, dass die befürchtete Stagnationsphase noch nicht zu ende ist.