US-Regierung braucht für den neuen Krieg gegen den Terror wieder al-Qaida
Angeblich seien die bislang unbekannte al-Qaida-Islamistengruppe Khorasan in Syrien und al-Nusra eine größere Gefahr für die USA und Europa als der Islamische Staat
Die New York Times will von nicht näher benannten Angehörigen von US-Geheimdiensten gehört haben, dass trotz des begonnenen Kriegs gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat eigentlich eine andere syrische Gruppe als viel gefährlicher wahrgenommen werde. Genannt wurde die al-Qaida-Gruppe Khorasan, die von Muhsin al-Fadhli, einem einst engen Vertrauten von Bin Laden, geführt werde. Diese Gruppe sei gefährlicher, weil sie plane, Anschläge in den USA oder in Europa auszuführen.
Wenn Informationen anonym von Regierungsstellen an Medien durchgereicht werden, wie das in den USA gang und gäbe ist, muss man stets vorsichtig sein, was den Wahrheitsgehalt und vor allem die Interessen betrifft. Garniert wird die Story über die bislang nicht bekannte Gruppe, die nun aufgewertet wird, sollte sie überhaupt bestehen, damit, dass der 33-jährige al-Fadhli einer der wenigen gewesen sein soll, der von den 9/11-Anschlagsplänen vor ihrer Ausführung gewusst habe. Nun ist allerdings keineswegs eindeutig klar, ob die Anschläge direkt von Bin Laden in Auftrag gegeben wurden, aber die Verbindung der geheimnisvollen Khorasan-Gruppe, die Anschläge planen würde, mit Bin Laden und 9/11 dürfte den Zweck erfüllen zu belegen, dass die USA direkt bedroht sind. Die Beschwörung der neuen Gefahr ist offenbar eine koordinierte Aktion, die auch vom obersten Geheimdienstchef James Clapper bestätigt wird, der sagte, dass "Khorosan für die Bedrohung des Heimatlandes eine größere Gefahr als der Islamische Staat darstellen kann".
Das Dilemma mit dem Islamischen Staat ist derweil, dass US-Präsident Obama den Krieg gegen die Terrorgruppe zwar auch durch die unmittelbare Gefährdung der USA und der europäischen Alliierten legitimiert hat, aber der Islamische Staat erst seit den ersten US-Angriffen droht, auch gegen die USA zurückzuschlagen. Im Hintergrund steht, dass Obama zwar den Kongress einbezogen und von diesem nun auch Rückendeckung erhalten hat, "gemäßigte" syrische Rebellen in Saudi-Arabien gegen den IS auszubilden und mit Waffen auszustatten, er seinen erneuten Krieg gegen den Terror aber auf die Grundlage der 2001 und 2002 gewährten Kriegsermächtigungen (Authorizations for the Use of Military -AUMF) gegen die für 9/11 Verantwortlichen, also al-Qaida, und gegen den Irak stützt, dem Besitz von Massenvernichtungswaffen vorgeworfen wurde, aber auch, ein sicherer Hafen zu al-Qaida zu sein (Repräsentantenhaus und Senat ermächtigen Präsident Bush zum Krieg). Vor allem auf den AUMF von 2001 stützten sich Bush und Obama im Übrigen auch für den Ausbau der Überwachung.
Offenbar ist es manchen Kreisen in den USA wichtiger, den alten Feind al-Qaida beizubehalten, gegen den nach den vom Kongress erteilten Befugnissen der Präsident als Oberbefehlshaber weltweit Krieg führen kann. Das ist auch insofern praktisch, weil Obama nie ein Ende des langen Kriegs gegen den Terror erklärt hat, auch wenn er seine Administration bis vor kurzem nicht mehr vom Globalen Krieg gegen den Terror (GWOT) sprechen ließ und intendierte, die beiden Kongressgenehmigungen zur Kriegsführung aus der Bush-Zeit zu beenden. Das war noch Stand Mai 2013:
The AUMF is now nearly 12 years old. The Afghan war is coming to an end. Core al Qaeda is a shell of its former self. Groups like AQAP must be dealt with, but in the years to come, not every collection of thugs that labels themselves al Qaeda will pose a credible threat to the United States. Unless we discipline our thinking, our definitions, our actions, we may be drawn into more wars we don’t need to fight, or continue to grant Presidents unbound powers more suited for traditional armed conflicts between nation states.
So I look forward to engaging Congress and the American people in efforts to refine, and ultimately repeal, the AUMF’s mandate. And I will not sign laws designed to expand this mandate further. Our systematic effort to dismantle terrorist organizations must continue. But this war, like all wars, must end. That’s what history advises. That’s what our democracy demands.
Rede an der National Defense University am 23. 5. 2013
Während man auch in den USA für einen längeren Krieg gegen den Islamischen Staat die Genehmigung des Kongresses bräuchte, selbst wenn der IS aus der irakischen al-Qaida-Zelle entstanden ist, aber sich im März 2014 von al-Qaida losgesagt hat, wäre die zeitliche Beschränkung von 60 Tagen für einen weitergeführten Krieg gegen al-Qaida nicht gegeben. Zunächst wollte man die Abkehr des IS von al-Qaida nur als das Thema innerer Auseinandersetzungen abtun, um gegen den IS wie gegen al-Qaida den Krieg aufgrund AUMF von 2001 weiterzuführen. AUMF von 2002 ist noch problematischer, denn sie gewährt den Krieg gegen den Irak, aber nicht wirklich den Krieg im Irak - und schon gar nicht in Syrien. US-Präsident Obama hat auch zuvor die Bestätigung des Kongresses für Kriegseinsätze gemieden. Das war so im Fall von Libyen, aber auch, als Syrien die "rote Linie" übertreten hatte und Obama plante, mit Luftschlägen zu beginnen.
That the President is authorized to use all necessary and appropriate force against those nations, organizations, or persons he determines planned, authorized, committed, or aided the terrorist attacks that occurred on September 11, 2001, or harbored such organizations or persons, in order to prevent any future acts of international terrorism against the United States by such nations, organizations or persons.
Authorization for Use of Military Force vom 18.9. 2001
Die Ausbildung syrischer Rebellen hat sich Obama zwar vom Kongress genehmigen lassen (Repräsentantenhaus stimmt für die Unterstützung von gemäßigten syrischen Rebellen), aber bislang schien es so, als würde das Weiße Haus den Krieg gegen den IS in Umgehung des Kongresses führen wollen. Es gäbe zwar die Möglichkeit, ein Kriegsermächtigungsgesetz für Syrien und Irak in das Pentagon-Haushaltsgesetz einzuarbeiten, über das im November oder Dezember entschieden werden muss. Selbst wenn dies beabsichtigt würde, wären die Weichen längst gestellt. Aber es ließ sich schon bei der Entscheidung über die Ausbildung der syrischen Rebellen erkennen, dass Obama vor den Midterm Elections im November mit starkem Widerstand der demokratischen Abgeordneten rechnen müsste.
Aus diesem Grund wäre es plausibel, den Krieg gegen die Islamisten im Irak, aber vor allem in Syrien auf die AUMF von 2001 aufzubauen. Daher könnte die Notwendigkeit entstehen, wieder al-Qaida als Gegner zu haben bzw. zu inszenieren, die in Verlängerung von 9/11 angeblich direkt die USA bedrohen.
Die New York Times schreibt denn auch mit Hinweis auf einige ominöse US-Regierungsmitarbeiter und Experten der Nationalen Sicherheit, dass die Konzentration auf den Islamischen Staat ein falsches Bild der terroristischen Gefahr in Syrien gebe. So würden eben die direkten Bedrohungen weiterhin von Gruppen wie Khorosan, von der man allerdings bislang kaum etwas hörte, oder von al-Nusra ausgehen.
Für die Konstruktion muss daher vor allem der Kuweiter al-Fadhli dienen. Dieser soll mit einer kleinen Gruppe von al-Qaida-Mitgliedern nach dem Beginn des Afghanistan-Kriegs in den Iran geflohen sein. Dort soll die Gruppe bis vor kurzem gelebt haben, nach iranischer Auskunft unter Hausarrest, aber dies war stets umstritten. Sie soll einen Deal mit der iranischen Regierung eingegangen sein. Angeblich wurde al-Fadhli erst 2012 im Iran zu einer führenden Person. Nach dem US-Außenministerium war al-Fadhli Chef der iranischen al-Qaida-Zelle, auf ihn wurden 7 Millionen US-Dollar Kopfgeld ausgesetzt. Angeblich soll er mit reichen Spendern aus Kuweit zusammengearbeitet haben, um Geld und Rekruten nach Syrien zu schaufeln. Zudem soll er Dschihadisten aus Pakistan über den Iran und die Türkei nach Europa oder Nordafrika gebracht haben. Ein bisschen seltsam ist das alles, da sunnitische Islamisten wie al-Qaida, aber vor allem al-Nusra oder IS gegen Schiiten kämpfen und der Iran kein Interesse haben dürfte, die sunnitischen Islamisten zu stärken.
Nach Berichten soll al-Fadhli Mitte 2013 nach Syrien gegangen und sich dort al-Nusrah angeschlossen haben. Nach der Arab Times soll er al-Zawahiri in der Entscheidung bestärkt haben, mit IS zu brechen, und Europäer in Syrien trainieren, Terroranschläge in westlichen Ländern auszuführen. Allerdings gibt es bislang von al-Nusra keine Aufrufe, Terroranschläge in westlichen Ländern zu begehen. Und al-Nusra hat möglicherweise einen zweiten Libanesen exekutiert, weil dieser auf Seiten der schiitischen Hisbollah gekämpft habe, die vom Iran unterstützt wird und für Assad gekämpft. Luftangriffe auf Stellungen des IS in Syrien würden möglicherweise al-Nusra helfen, wieder Kontrolle über größere Gebiete zu erlangen. Würden sich die US-Angriffe in Syrien aber auch gegen al-Nusra richten, würde dies letztlich wohl heißen, das Assad-Regime zu stärken, dessen Duldung für Luftangriffe sowieso erforderlich wäre.