US-Strategie für das Nato-Bündnis ist gescheitert

Seite 2: Es braucht eine neue Strategie

Um der doppelten Gefahr, die von Russland und China ausgeht, zu begegnen, übt Washington zunehmend Druck auf Deutschland und andere Teile des "alten Europas" aus, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und Handel mit und Investitionen in China einzuschränken.

Das langsame Tempo der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine und der viel beachtete Handelsbesuch von Bundeskanzler Scholz in China im vergangenen Herbst sind Anzeichen dafür, dass "mehr ausgeben und weniger verdienen" für Berlin wahrscheinlich kein attraktives Geschäft ist.

Unterdessen üben viele der neueren Mitglieder des Bündnisses, allen voran Polen und die baltischen Staaten, Druck auf die Vereinigten Staaten aus, damit diese ihre Sicherheitsgarantien, die sie zwar gegeben haben, aber nie durchsetzen wollten, aufstocken. Sie sehen in Russlands Einmarsch in der Ukraine sowohl eine unmittelbare Bedrohung ihrer eigenen Sicherheit als auch einen Test der vertraglichen Verpflichtung Washingtons, zu ihrer Verteidigung beizutragen.

Sie fordern eine massive qualitative und quantitative Aufstockung der westlichen Militärhilfe für die Ukraine und argumentieren, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass Russland als Reaktion darauf einen direkten Zusammenstoß mit der Nato riskieren würde, selbst wenn russische Streitkräfte eine Niederlage erleiden müssten.

Und sie bestehen darauf, der Ukraine so bald wie möglich die Nato-Mitgliedschaft zu gewähren, da eine solche Sicherheitsverpflichtung weitere russische Aggressionen eher verhindern als provozieren würde.

Washington versucht, die harten Entscheidungen zu vermeiden, die diese widersprüchlichen Zwänge erfordern. Die US-Regierung hat alle Kompromisse zurückgewiesen, die die Chancen auf einen Verhandlungsfrieden mit Russland erhöhen könnten, weil man glaubt, dass wir eine russische Kapitulation in der Ukraine auf günstigere Weise erzwingen können, ohne eine wesentlich stärkere Einbindung der Nato in den Krieg und alle damit verbundenen Gefahren zu riskieren.

Die USA insistieren auf einer stärkeren europäischen Lastenteilung und einer Verringerung des Handels mit Russland und China, erwarten aber immer noch, dass Europa seine Unabhängigkeit in wichtigen außenpolitischen Fragen aufgibt.

Die große Gruppe der Hardliner in Washington hat die US-amerikanischen Sicherheitsgarantien wie einen magischen Talisman angesehen, der Russland oder jeden anderen Rivalen daran hindern wird, diese Garantien herauszufordern, was die Notwendigkeit ihrer Durchsetzung erleichtert.

Eine neue US-amerikanische Strategie ist seit Langem überfällig. Unser unmittelbares Ziel sollte darin bestehen, Russlands Fähigkeit zur Rückeroberung der Ukraine zu vereiteln, was ohne eine stärkere Beteiligung der Nato an dem Krieg möglich ist. Die Strategie kann aber nicht darauf abzielen, die russischen Streitkräfte aus dem Donbass und der Krim zu vertreiben, was nicht möglich ist.

Wir sollten die defensive Unterstützung mit einer diplomatischen Offensive verbinden, die Moskau dazu veranlasst, die Kämpfe zu beenden und diese nicht zu verlängern, um den Wiederaufbau der Ukraine zu blockieren und eine Mitgliedschaft in der Nato zu verhindern.

Anstatt die Gruppe der Nato-Mitglieder weiter auszuweiten und neue Missionen außerhalb des Nato-Gebiets zu starten, sollten wir die Nato auf ihren ursprünglichen Verteidigungszweck zurückführen, die Rolle Europas bei der Bewaffnung und Führung des Bündnisses stärken und eine größere Autonomie Europas in der Welt unterstützen. Das würde die Risiken und Belastungen für die USA im Umgang mit Russland und China verringern.

Ein solcher Wandel war auf dem letzten Nato-Gipfel in Vilnius nicht zu erkennen. Der gescheiterte Aufstand der Wagner-Söldnergruppe im vergangenen Monat hat in Washington die Hoffnung geweckt, dass Russland implodieren und den Krieg in der Ukraine verlieren könnte, sodass die Vereinigten Staaten unangenehme Kompromisse vermeiden könnten. Aber Hoffnung ist keine Strategie, wie man so schön sagt.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

George Beebe ist Direktor für Grand Strategy beim Quincy Institute. Er verbrachte mehr als zwei Jahrzehnte in der US-Regierung als Geheimdienstanalyst, Diplomat und politischer Berater, unter anderem als Direktor der Russland-Analyse der CIA, als Direktor des Open Source Center der CIA und als Berater von Vizepräsident Cheney in Russlandfragen. Sein Buch "The Russia Trap: How Our Shadow War with Russia Could Spiral into Nuclear Catastrophe" warnt davor, wie die Vereinigten Staaten und Russland in eine gefährliche militärische Konfrontation stolpern könnten. Beebe war zudem Vizepräsident und Studiendirektor am Center for the National Interest.