US-Wahlkampf: Geht Donald Trump die Luft aus?
Die jüngsten Umfragewerte für den Präsidenten sind verheerend. Ein Wahlsieg von Joe Biden wird immer wahrscheinlicher
Manche Medien fanden in den letzten Tagen gefallen an der Geschichte, Donald Trump habe sich nach einer wenig gelungenen Business-Karriere als eine Art Meister des schlechten Geschmacks im Reality-TV neu erfunden.
Die hohen Einnahmen aus seiner Show "The Apprentice" hätten ihn, nach eher mageren Jahren seit seiner fulminanten Pleite Anfang der neunziger Jahre, als Geschäftsmann so erfolgreich gemacht wie er angeblich schon immer war.
An dieser Darstellung ist sicher etwas dran: Trumps Geschäftsaktivitäten waren von sehr wechselhafter Fortune, weswegen ihm die Fernsehhonorare in Höhe von über 400 Millionen Dollar sicherlich nicht ungelegen kamen.
Doch von einer "medialen Wende" Trumps zum Unterhaltungsartisten erst in den Nullerjahren zu sprechen, wäre doch etwas geschichtsblind. Trump war auch in den Jahrzehnten davor in der Öffentlichkeit dauerpräsent. Dass schlechter Geschmack zu seinen Kernkompetenzen gehörte, war ein offenes Geheimnis.
Schon in den achtziger Jahren kam man bei einem Besuch in New York City an Trump kaum vorbei. Der von ihm an der Fifth Avenue, ums Eck vom Central Park, errichtete "Trump Tower" ist, darüber waren sich viele einig, die von dem Bauherrn deswegen damals schon nicht viel hielten, eine Verkörperung des Vulgärkapitalismus jener Jahre.
Den für ihn typischen schlechten Geschmack hat Trump nicht erst in der Reality-TV-Ära perfektioniert. Egal was Trump produziert — sein Protzbau in Manhattan, seine Casinos, seine Fernsehshow, seine "University" oder auch seine Präsidentschaft —, was Trump macht, ist, wie die Amerikaner sagen: "tacky", was zu Deutsch so viel heißt wie "billig", aber auch "kitschig", "protzig" oder "klebrig".
Somit sollte es eigentlich niemanden verwundern, dass der Mann, dessen Präsidentschaft im Nachhinein deutlich als die historische Geschmacklosigkeit erscheinen wird, die sie von Beginn an war, nun, da sie sich unaufhörlich ihrem Ende entgegenzuneigen scheint, nochmals das volle Repertoire der Geschmacksverirrungen ausschöpfen wird, zu denen er fähig ist.
Wahrscheinlich hat Trump, selbst als er nach Luft schnappend, vollgedopt mit experimentellen Medikamenten einsam auf dem Balkon des Weißen Hauses stand, nachdem er sich vermutlich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte, nicht erkannt, dass seine Zeit als Präsident nur noch geborgt ist.
Von seinen Mitarbeitern war weit und breit niemand zu sehen. Viele Personen in seinem Zirkel, nach letzten Zählungen mehr als ein Dutzend, haben sich mit dem Coronavirus infiziert und sind in Quarantäne gegangen oder vielleicht schon auf der Suche nach einem neuen Job.
Denn die neuesten Umfragen lassen kaum mehr einen Zweifel: Donald Trump, der die Geschmacksverirrung zum Herrschaftsprinzip erheben wollte, hat in diesem Wahlkampf kaum mehr eine Chance.
Bereits am vergangenen Wochenende hatten Umfragewerte verdeutlicht, dass es Trump in der Fernsehdebatte mit seinem Widersacher Joe Biden nicht gelungen war, mit seiner Kampfhund-Taktik verlorenen Boden gutzumachen. In einer Umfrage von NBC News/Wall Street Journal lag Biden vor Trump mit 53 zu 39 Prozent.
Mit diesem Rückstand von 14 Punkten erreichte die Unterstützung für Trump in den Tagen nach der Debatte, aber noch bevor seine Corona-Infektion bekannt wurde, einen Tiefstand in diesem Wahljahr. Im Juli hatte der Abstand 11, im September 8 Punkte betragen.
Das Wall Street Journal berichtet, dass die Umfrage sogar Anhaltspunkte dafür liefert, dass das TV-Duell Verschiebungen von Wählerpräferenzen zur Folge hatte. Dass ein einzelnes Nachrichtenereignis solche Effekte hat, komme eher selten vor. Selbst unter wenig gebildeten weißen Männern, der Kerngruppe seiner Anhänger, könnte sich die Unterstützung für ihn abgeschwächt haben.
Der nächste Paukenschlag kam mit der Veröffentlichung einer Umfrage, die hauptsächlich nach Bekanntwerden der Erkrankung des Präsidenten durchgeführt worden war. 16 Prozent, so CNN, liegt Trump derzeit hinter Biden. Mit 57 Prozent für Biden zu 41 Prozent für Trump ergebe sich der größte Abstand zwischen den beiden Kandidaten in diesem Wahlkampf.
Unter Frauen führt Biden vor Trump mittlerweile mit 66 zu 32 Prozent. Auch unter jüngeren und unabhängigen Wählern habe Biden Zugewinne erzielt. Senioren flüchteten geradezu vor Trump, so NBC/Wall Street Journal. Unter Wählern über 65 Jahren betrage Bidens Vorsprung 27 Punkte: 62 Prozent für Biden, 35 Prozent für Trump.
Die Anzeichen verdichten sich somit, dass sich der seit vielen Monaten stabile Rückstand des Präsidenten gegenüber seinem Konkurrenten unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse noch weiter vergrößert hat.
Laut Auskunft seines Leibarztes erhält Trump nun auch ein Medikament namens Dexamethason. Zur langen Liste der Nebenwirkungen dieses Steroids, das schon seit vielen Jahrzehnten im Einsatz ist, gehören auch psychische Störungen wie Psychosen und Euphorie.
Dass sich Trumps Temperament damit auf das für eine erfolgreiche Wiederwahl nötige Niveau einpegelt, ist eher unwahrscheinlich. Aber vielleicht ließe sich eine Niederlage damit leichter verkraften.
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