USA und Israel boykottieren den Internationalen Gerichtshof

Heute tritt das Statut von Rom in Kraft, während die US-Regierung alles daran zu setzen scheint, eine globale Jurisdiktion auszuhebeln

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Nicht nur die USA, China, Russland, Indien, Pakistan, Saudi-Arabien, der Iran oder der Irak, auch Israel schätzt den Internationalen Gerichtshof (ICC) nicht. Die israelische Regierung hat gestern entschieden, dem Vorbild der USA nachzugehen und das Statut von Rom nicht zu ratifizieren. Möglicherweise werde man auch die bereits geleistete Unterschrift unter das Abkommen wieder zurückziehen, wie dies die US-Regierung auch gemacht. Die hatte gestern, pünktlich zum Start des ICC, einen weiteren Schritt unternommen und im UN-Sicherheitsrat ein Veto gegen die Verlängerung der Bosnien-Mission eingelegt.

Heute ist das Statut von Rom, der Vertrag über die Einrichtung des ICC, in Kraft. Damit können von heute an schwere Verbrechen wie Völkermord, Krfiegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden, wenn diese nicht von den nationalen Gerichten, die für die Beschuldigten zuständig sind, verfolgt werden. Der ICC ist der Auftakt für eine globale Jurisdiktion, die auch für die Mächtigen, die sich bislang hinter der Souveränität der Staaten verstecken konnten und aus diplomatischen oder politischen Gründen gedeckt wurden, den Zustand eines rechtsfreien Raums beendet.

Wieviel Macht der ICC schließlich auch wirklich haben oder ob er ein Papiertiger sein wird, wird sich erst in Zukunft herausstellen. Bislang haben 73 Staaten das Statut ratifiziert, 139 haben es unterschrieben. Die vornehmlich auf Druck der USA eingebauten Sicherheitsmaßnahmen, die vor willkürlichen Klagen schützen sollen, lassen viel Freiraum, denn der ICC kann erst dann mit einem Verfahren beginnen, wenn der Staat, aus dem der Beschuldigte stammt, keine Anstrengungen unternimmt, den Klagen nachzugehen. Scheinprozesse an den nationalen Gerichten würden mithin genügen können, um den ICC auszuschalten. Voraussetzung für ein Einschreiten des ICC ist überdies, dass der Staat, auf dessen Boden die Straftaten begangen wurden, das Statut ratifiziert oder die Gerichtsbarkeit des ICC anerkannt hat, oder dass der Täter aus einem Vertragstaat stammt.

Will die US-Regierung mit ihrem Vorgehen die globale Jurisdiktion aushebeln?

Die US-Regierung unter Präsident Bush hat nicht nur in einem einmaligen Vorgang die Unterschrift unter das Statut von Rom wieder zurückgezogen, sondern auch den UN-Sicherheitsrat unter Druck gesetzt, eine Resolution zu verabschieden, in der allen an friedenserhaltenden Missionen im Auftrag der UN Beteiligten Immunität garantiert wird. Das wurde von den Mitgliedern des Sicherheitsrats bislang abgelehnt und hat auch bereits zu Verstimmungen zwischen den USA und Großbritannien, dem engsten Verbündeten, geführt. Allerdings haben die an der ISAF in Afghanistan beteiligten Staaten unter britischer Führung zu Beginn des Jahres für ihren Einsatz auch Immunität durchgesetzt. Von der US-Regierung angesichts des doppelten Maßstabs kritisiert, wurde dies als einmalige Schutzmaßnahme in einer unübersichtlichen Situation verteidigt (Doppelter Maßstab?). Allerdings wurde US-Bürgern im Rahmen von US-Missionen von den jeweiligen Ländern in aller Regel bereits Immunität zugesichert, so dass der Eindruck sich verstärkt, dass es der US-Regierung mit ihrem Veto gegen die Verlängerung der Bosnien-Missionen ums Prinzip oder um die Macht geht.

Von den Unterstützern des ICC erstaunlicherweise noch kaum hervorgehoben wurde das von Senat und vom Repräsentantenhaus verabschiedete und von der US-Regierung begrüßte Gesetz, das jede Mitwirkung am ICC verbietet und sogar den Präsidenten ermächtigt, zur Befreiung von Angeklagten alle Mittel bis hin zur militärischen Gewalt einzusetzen. Damit könnten nicht nur US-Bürger, sondern auch Angeklagte aus anderen Ländern, die für die USA von Interesse sind, eventuell sogar durch eine Invasion Den Haags, wo der ICC eingerichtet wird, vor der globalen Jurisdiktion "befreit" werden (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden).

Die jetzt erfolgte Drohung, sich aus UN-Friedensmissionen und deren Finanzierung zurückzuziehen, macht nur noch einmal die Entschlossenheit der US-Regierung deutlich, sich keinen internationalen Regelungen unterwerfen zu wollen, um die absolute Souveränität zu wahren und frei gemäß der eigenen Interessen handeln zu können. Auch wenn die US-Regierung für ihr Veto gegenüber der Verlängerung der Bosnien-Missionen einen Aufschub von drei Tagen bis zum 3. Juli gewährt hat, ist der erneute Vorstoß, welche Folge auch immer entstehen wird, für die UN geradezu zerstörerisch - und soll er wohl auch sein. Die US-Regierung hatte nämlich europäische Vorschläge zurückgewiesen, die UN-Missionen noch besser rechtlich zu schützen und beispielsweise die Zuständigkeit des ICC für diese noch 12 Monate zu verschieben. Doch die US-Regierung scheint an Verhandlungen nicht interessiert zu sein und den Sicherheitsrat nur als Hebel für die Durchsetzung der eigenen Wünsche, beispielsweise für die Bekämpfung des "internationalen Terrorismus", zu benutzen.

Gewährt der Sicherheitsrat allen an UN-Missionen Beteiligten Immunität, verliert der ICC automatisch an Legitimität. Das wäre so, als wenn nach nationalem Recht Polizisten Immunität genießen würden. Verweigern die übrigen Sicherheitsratmitglieder die von der US-Regierung geforderte Resolution, so ist nicht nur die Bosnien-Mission in Gefahr, auch wenn es vorerst nur um die Verlängerung des Polizeiausbildungsprogramms geht, an dem 1500 Menschen, darunter 46 US-Amerikaner, beteiligt sind. Die friedenssichernde Mission unter Leitung der Nato, an der 18.000 Soldaten, darunter 2.500 US-amerikanische, beteiligt sind, könnte zwar auch von der Nato ohne UN-Auftrag weitergeführt werden. Deutschland aber käme dann beispielsweise in Schwierigkeiten, weil es eine Mitwirkung nur unter der Bedingung eingegangen ist, dass die Mission von der UN beauftragt ist. Und weitergehend riskiert die US-Regierung, dass nicht nur weitere friedenssichernde Maßnahmen ausgehebelt werden könnten, sondern letztlich auch der Sicherheitsrat. Aber vielleicht zielt ja die Bush-Regierung auch letztlich darauf, die von den Konservativen in den USA ungeliebten Vereinten Nationen zu unterminieren. Wenn es tatsächlich nur um den Schutz der beteiligten US-Bürger ginge, könnte die US-Regierung die 46 Amerikaner einfach zurückziehen, ohne deswegen gleich die Mission platzen lassen zu müssen.

Israel schließt sich an, weil Siedlungen in besetzten Gebieten als Kriegsverbrechen gelten

Dem Vorbild der USA hat sich nun auch deren Schützling im Nahen Osten angeschlossen. "Gegenwärtig und in vorhersehbarer Zukunft" werde man sich am ICC nicht beteiligen und überlege, auch die Unterschrift wie die USA unter das Statut wieder zurückzuziehen. Die israelische Regierung hat damit den Rat des Generalstaatsanwalts Elyakim Rubinstein übernommen, der in einem Brief an das Kabinett geschrieben hatte:

"Wir wissen nichts über das Gericht, was die Frage betrifft, wer die Strafverfolger sein werden, wer die Richter sein werden und wie sich diese verhalten werden. Es besteht die Gefahr, dass das Gericht politisiert wird, selbst wenn manche Staaten versuchen, dies zu verhindern. Zweitens enthält das Statut von Rom einen Paragrafen, der weitgehend gegen Israel hinsichtlich der Siedlungen gerichtet ist. Der Paragraf bezieht sich auf die Ansiedlung von Menschen in besetzten Gebieten, was als Kriegsverbrechen definiert ist."

Auch Außenminister Peres steht hinter der Entscheidung. Er kritisierte vor allem Belgien und Schweden scharf, die sich besonders stark für den ICC eingesetzt hatten. Dabei scheute er sich nicht, die Vergangenheit zu instrumentalisieren und dem Land vorzuwerfen, dass es sich nicht im Zweiten Weltkrieg dem Kampf gegen die Nazis angeschlossen habe. Überdies würden die Schweden nicht verstehen, was hier wirklich vor sich gehe: "Es ist unvorstellbar, dass ein Land über ein anderes im Hinblick auf eine Situation urteilt, die es nicht versteht." Belgien hielt Peres die Kolonisierung des Kongo im 19. Jahrhundert vor, aufgrund derer 10 Millionen Menschen wegen der Zwangsarbeit, an Hunger oder durch Erschießungen gestorben seien.