Doppelter Maßstab?
Während die USA den Internationalen Gerichtshof nicht anerkennen und für ihre Beteiligung an friedenserhaltenden Maßnahmen Immunität fordern, haben auch die an ISAF beteiligten europäischen Staaten ein entsprechendes Abkommen mit der afghanischen Zwischenregierung ausgehandelt
Die USA lehnen nicht nur den Internationalen Gerichtshof (ICC) ab und haben sogar die Unterschrift unter das Statut von Rom zurückgezogen, mit der sie, allerdings sehr vage, verpflichtet gewesen wären, die UN-Institution nicht zu unterminieren (US-Regierung zieht Unterschrift unter das Statut von Rom zurück). Zur Sicherung von US-Bürgern im UN-Auftrag bei friedenserhaltenden Missionen sucht die US-Regierung nun eine Garantie des Sicherheitsrats zu erlangen, dass diese nicht vor das Gericht gestellt werden dürfen. Das wird von den meisten Ländern im Sicherheitsrat abgelehnt. Heimlich aber hatten auch schon im Januar die europäischen Staaten, die sich für den ICC ausgesprochen und Soldaten nach Afghanistan geschickt haben, eine Sonderregelung durchgesetzt.
Obgleich wenig dafür spricht, dass je ein US-Bürger ohne den Willen der USA vom ICC belangt werden könnte, da bereits unter dem Druck der USA viele Sicherheitsvorkehrungen eingebaut wurden, fürchtet die Supermacht, dass Angehörige der Regierung doch im Ausland aus "politischen" Gründen gefasst und am Gerichtshof angeklagt werden könnten. Zumindest ist das der offizielle Grund für die Verweigerung, das Weltgericht und überhaupt allgemein und nicht nur punktuell für eine globale Jurisdiktion einzutreten, die jeden gleich behandelt.
Mit Billigung der Regierung hat nun auch das Repräsentantenhaus ein Gesetz verabschiedet, dass es der US-Regierung verbietet, auf irgendeine Weise mit dem ICC zu kooperieren. Länder, die sich beteiligen und nicht Nato-Mitglieder oder andere wichtige Verbündete sind, können beispielsweise mit dem Stopp von Rüstungslieferungen oder vielleicht auch anderen Zuwendungen bestraft werden. Und sollte tatsächlich ein US-Bürger oder auch ein Bürger eines befreundeten Landes vor das Gericht in Den Haag gestellt werden, so hat der US-Präsident nach dem Gesetz das Recht, sämtliche Mittel zur Befreiung des Angeklagten einzusetzen, militärische Gewalt eingeschlossen. Deswegen wird das Gesetz auch "The Haag Invasion Act" genannt. Kurz vor der Verabschiedung wurde jedoch noch ein Zusatz aufgenommen, der besagt, das bei den Fällen, an denen die USA wie bei Milosevic ein Interesse haben, Ausnahmen bei der Ablehnung internationaler Strafgerichtsverfahren gemacht werden können (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden).
Erst vor wenigen Tagen hatte die US-Regierung in einer Mitteilung an den Sicherheitsrat mehr oder weniger damit gedroht, die Mitarbeit bei friedenserhaltenden Missionen der UN einzustellen, wenn der Sicherheitsrat nicht in einer formellen Resolution beschließt, dass alle an solchen Missionen beteiligten Menschen im Rahmen ihres Auftrags Immunität genießen sollen, also vom ICC nicht belangt werden dürfen.
Es stellt sich nun allerdings heraus, dass auch die europäischen Staaten, die die Weigerung der USA kritisiert haben, den ICC zu unterstützen, und die das Statur von Rom ratifiziert haben, unter der Hand ähnlich vorgehen. Bereits im Januar hat die britische Regierung im Auftrag der 19 Staaten, die sich im Rahmen der ISAF bei den friedenssichernden Maßnahmen beteiligen, für alle Soldaten, auch für die amerikanischen Verbindungsoffiziere, mit der Interimsregierung eine "militärische technische Vereinbarung" ausgehandelt, so dass sie ohne die Zustimmung des betreffenden Landes keinem internationalen Tribunal oder einem anderen Staat ausgeliefert werden können.
Natürlich ist verständlich, dass die Regierungen ihre Bürger, die ihr Leben bei solchen Einsätzen wie ISAF in Afghanistan riskieren, vor möglichen willkürlichen Vorwürfen beschützen wollen. Doch Angehörige der US-Regierung kritisieren nun die doppelte Moral der europäischen Regierung, die dieselben Garantien verlangen wie die USA. 12 der 15 Staaten im UN-Sicherheitsrat, so die Washington Post, wollen die von der USA verlangte Resolution nicht unterstützen, da diese das ICC unterminieren würde. "Souveränität ist eine Zwei-Bahn-Straße", sagte Richard Williamson, der US-Repräsentant bei den Vereinten Nationen für politische Angelegenheiten. "Wir haben dieselben Bedenken, wie sie andere Mitglieder des Sicherheitsrates zu der Zeit hatten, als die ISAF aufgestellt wurde." Williamson drohte, dass die USA ohne eine solche Resolution die Beteiligung an allen von der UN autorisierten friedenserhaltenden Missionen einstellen könnten.
Für die Europäer untergräbt das Abkommen mit der afghanischen Regierung aber nicht ihre Unterstützung für den ICC. So sagte ein Diplomat, dass es etwas ganz anderes sei, eine einmalige Ausnahme "mitten in einer chaotischen Situation" auszuhandeln, als eine Resolution zu verabschieden, die einen Blankoscheck ausstellt.