USA verheddern sich zunehmend im Nahen Osten
Im Irak mit vom Iran gesteuerten schiitischen Milizen, während eine saudische Allianz gegen Schiiten im Jemen vorgeht und in Syrien der vom Iran gestützte Assad im Kampf gegen den IS geschont wird
Seit Mittwoch führt die US-Luftwaffe gemeinsam mit Flugzeugen der irakischen Streitkräfte Luftangriffe auf die weiterhin vom Islamischen Staat gehaltene Stadt Tikrit durch, während gleichzeitig Saudi-Arabien, der sunnitische Alliierte des Westens, in den Krieg gegen schiitische Anhänger der Huthi-Rebellen im Jemen zieht, wo die USA bislang vor allem die sunnitische al-Qaida bekämpft hat.
Damit verschärft sich der Religionskrieg im Nahen Osten zwischen Schiiten und Sunniten weiter, dazwischen geraten Angehörige anderer Religionsgemeinschaften in Bedrängnis, die Kurden spielen ihr eigenes Spiel im Irak und in Syrien, während der Nato-Staat Türkei nicht nur unmittelbarer Nachbar ist, sondern auch schnell mit allen Konsequenzen in die Kriege verwickelt werden kann, zumal hier weiterhin Patriot-Raketenabwehrsysteme u.a. aus Deutschland stationiert sind. Gleichzeitig finden Gespräche mit Iran über dessen Atomprogramm statt. Für die US-Regierung und ihre Verbündeten, die im Irak und Syrien gegen den IS kämpfen, wird die Lage immer unübersichtlicher. Das alte, von der USA auch jetzt wieder beherzigte Prinzip, dass der Feind meines Feindes mein Freund oder zumindest geduldet ist, hat zwar langfristig noch nie Erfolg gehabt, zieht aber jetzt auch schon kurzfristig nicht mehr und führt ins Chaos.
Anfang März hatte die irakische Armee zusammen mit schiitischen Milizen, die direkt vom Iran unterstützt werden, und kurdischen Milizen einen Angriff auf die Stadt begonnen. Doch obwohl schon einmal die Einnahme der Stadt gemeldet wurde, ist der Angriff in den Außenbezirken zu einem Stillstand gekommen. Angeblich wollte die irakische Regierung den Bewohnern die Möglichkeit geben, die Stadt zu verlassen. Befürchtet wurde aber auch, dass die schiitischen Verbände an den sunnitischen Bewohner Massaker veranstalten könnten (Großoffensive gegen IS in Tikrit gerät ins Stocken).
Die USA kooperieren mit den Luftangriffen nun de facto direkt mit den schiitischen Milizen, denen ähnlich schwere Menschenrechtsverletzungen wie dem IS vorgeworfen werden, und auch mit dem Iran. Die schiitischen Milizen, bei denen u.a. Qassem Soleimani, der für Auslandseinsätze zuständige Kommandeur der Revolutionären Garden mitwirkt, sollen personell weit überlegen sein und fünfmal mehr Kämpfer einsetzen als die wohl immer noch desolate irakische Armee, die der IS in Mosul im vergangenen Jahr so leicht in die Flucht schlagen konnte. Im Pentagon heißt es, man habe auf Bitten der irakischen Regierung mit der Unterstützung der "irakischen Sicherheitskräfte" begonnen, um die IS-Kämpfer aus der Stadt zu vertreiben. Karim al-Nuri, ein Führer von schiitischen Milizen, tönt schon wieder, dass Tikrit in vier Tagen eingenommen werde. Wie viele IS-Kämpfer sich noch in der Stadt aufhalten, ist unbekannt. Sie sollen Straßen und Häuser mit zahlreichen Sprengfallen versehen haben. Erwartet wird ein Kampf Haus um Haus, der zahlreichen der noch verbliebenen Bewohner das Leben kosten kann.
Vermutlich dient der Angriff auf Ziele im Zentrum von Tikrit auch der US-Luftwaffe als eine Art Übung für den Stadtkrieg, der mit der weitaus größeren Stadt Mosul wartet. US-Generalleutnant James Terry betont, die Luftangriffe sollen IS-Stellungen mit "Präzision" treffen, "um das Leben unschuldiger Iraker zu schonen und Kollateralschäden der Infrastruktur zu vermeiden". Zudem werden Bilder von Drohnen und Satelliten an die irakischen Streitkräfte weitergegeben. Betont wird, dass keine direkte Kooperation und Koordination mit den schiitischen Verbänden stattfinde, aber das ist natürlich Augenwischerei, weil diese eng mit den irakischen Streitkräften zusammenarbeiten und von diesen auch bereits Waffen erhalten haben, die die USA nach Bagdad geschickt hat.
Allerdings sollen nun die schiitischen Verbände nicht mehr den Angriff führen, um ein Blutbad zu vermeiden. Für den Stadtkampf sollen irakische Spezialeinheiten eingesetzt werden. Wenn die Luftangriffe nun das Vorrücken der irakischen Streitkräfte unterstützt und schiitischen Verbände zurückstehen müssen, dann soll dies, wie US-Regierungsmitarbeiter der New York Times berichteten, die irakische Regierung stärken und den iranischen Einfluss eindämmen. Sie bezeichnen dies selbst als Spiel, die Frage ist, wie lange sich die schiitischen Verbände zurückhalten werden - auch angesichts der Kämpfe im Jemen, wo auch die USA ihre Hand im Spiel gegen die Schiiten hat und die saudische Operation logistisch und durch Aufklärung unterstützt. US-Außenminister hat sich explizit hinter die militärische Aktion der saudischen Koalition gegen die Huthis gestellt.
Unvorhergesehen war sicherlich vom US-Kommando, dass fast zeitgleich mit den Luftangriffen auf Tikrit die Lage im Jemen endgültig eskaliert war. Die Huthi-Rebellen haben faktisch das Land unter ihre Kontrolle gebracht und standen vor den Toren von Aden, der Präsident Jemens ist geflohen. Während der Jemen ins Chaos stürzte und die Huthi-Rebellen immer größere Gebiete kontrollierten, sind auch die al-Qaida-Gruppen wieder stärker geworden. Saudi-Arabien, das bereits gegen protestierende Schiiten in Bahrain mit militärischer Gewalt vorgegangen ist, hat nun mit Unterstützung von Katar, Kuwait, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emirate Luftangriffe geflogen und bereitet sich auf eine Bodenoffensive vor. 150.000 Soldaten wurden mobilisiert imd teils an der Grenze zusammengezogen, die noch so gut gesichert ist wie die Grenze zum Irak, wo vor kurzem ein Hightech-Zaun in Betrieb genommen wurde (Keine Böller in Kiew).
Unterstützt wird die sunnitische Front auch von anderen Mitgliedern der von den USA geführten Anti-IS-Koalition wie Jordanien, aber auch von Ländern wie Ägypten, Sudan, Pakistan oder Marokko. Die türkische Regierung hat sich hinter die saudische Intervention gestellt und überlegt eine Beteiligung. Präsident Erdogan sagte: "Iran und die Terrorgruppen müssen sich zurückziehen."
Iran und Assad ebenso wie die schiitische Hisbollah aus dem Libanon, der für Assad in Syrien kämpft, verurteilen die sunnitische Militäroperation gegen die Schiiten im Jemen und werfen den USA vor, dahinter zu stehen. Auch Russland bezieht, wenn auch zurückhaltend, Stellung. In einem Telefongespräch Putins mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rouhani sei man sich einig gewesen, dass die Kämpfe sofort beendet und nach einer friedlichen Lösung unter Einbeziehung der Vereinten Nationen gesucht werden müsse. Ähnlich hatte sich zuvor auch das russische Außenministerium geäußert und einen landesweiten Dialog angemahnt.
Moskau unterstützt das Assad-Regime und Iran. Ob der Iran direkt die Huthi-Rebellen unterstützt, ist unklar, aber man wendet sich gegen den Krieg gegen die schiitischen Glaubensbrüder. Ähnlich wie die USA ist auch Russland in einer prekären Lage. Geopolitisch sucht man den Einfluss auf die einzigen Partner im Nahen Osten zu sichern, will aber auch die Beziehungen etwa mit der Türkei oder Ägypten stärken. Mit Saudi-Arabien ist man zwar in der Opec, hier aber wohl überkreuz, weil die Saudis weigern, die Ölproduktion zu drosseln, was Russland, Iran, Venezuela und andere Länder aber in eine Krise stürzt. Der Ölpreis ist allerdings seit den Luftangriffen angestiegen, weil Sorge besteht, dass der Krieg im Jemen zu Problemen für die Durchfahrt aus und in das Rote Meer führen könnte. Dann nämlich könnte dies dazu führen, dass aus den Golfstaaten weniger Öl auf den Markt kommt. Ägypten hat zur Sicherung der Straße von Aden bereits 4 Kriegsschiffe geschickt.