Über die neue Normalität, die Linke und den Irrationalismus

Seite 2: Wo bleibt die linke Theorie in der Corona-Krise?

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Doch woher soll auch eine materialistische Theorie der Corona-Krise kommen? Es ist doch klar, dass sie nicht von Kirchenleuten und auch nicht von Liberalen wie dem Demokratischen Widerstand geleistet werden kann.

Das wäre die Aufgabe einer Linken, in all ihrer Unterschiedlichkeit und Heterogenität herauszuarbeiten, wie ein Virus in einer spätkapitalistischen Welt, in der sich viele eher ein Ende der Menschheit als ein Ende der Ausbeutungsgesellschaft vorstellen können und in der eine neue Akkumulationsphase zum Durchbruch drängt, ihrerseits eine weltweite offizielle Irrationalität hervorruft.

Die besteht darin, dass in fast allen Ländern Maßnahmen gegen den Corona-Virus getroffen werden, die im Gesamtergebnis unter Umständen mehr Menschenleben kosten können als der Virus. Es ist also der berühmte Fall, dass die Medizin schädlicher ist als die Krankheit. Ein Beamter des Berliner Bundesinnenministerium kam in einem Schreiben, das auf Tichys Einblick veröffentlicht wurde, zu dem Fazit:

"Die beobachtbaren Wirkungen und Auswirkungen von COVID-19 lassen keine ausreichende Evidenz dafür erkennen, dass es sich - bezogen auf die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft - um mehr als um einen Fehlalarm handelt."

Der folgende Punkt ist besonders brisant, weil hier wiedergegeben wird, was viele Menschen tagtäglich in ihren Alltag spüren:

"Der Kollateralschaden ist inzwischen höher als der erkennbare Nutzen. Dieser Feststellung liegt keine Gegenüberstellung von materiellen Schäden mit Personenschäden (Menschenleben) zu Grunde! Alleine ein Vergleich von bisherigen Todesfällen durch den Virus mit Todesfällen durch die staatlich verfügten Schutzmaßnahmen (beides ohne sichere Datenbasis) belegen den Befund."

Wenn die Medizin tödlicher als die Krankheit ist

Die Brisanz dieser potentiell gefährlichen Medizin gegen Corona soll hier nur an zwei Beispielen spezifiziert werden.

Da ist der Offene Brief der Ärztin Angelina Bockelbrink, die auf die verletzten Rechte der Kinder unter Corona hinweist. Dort schildert sie die verheerenden Folgen der Schulschließungen für viele Kinder und verweist darauf, dass sie als Menschen mit Rechten und nicht als Virenschleudern behandelt werden müssen.

Eine andere Facette aus der sogenannten neuen Normalität ist der Offene Brief, in dem die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft dazu aufruft, so schnell wie möglich die wegen Corona geschlossenen Bäder zu öffnen:

Blieben die Bäder zu, sei zu erwarten, dass Menschen massenhaft und unkontrolliert an die Seen und Gewässer strömten, so Neiße. Dadurch erhöhe sich nicht nur das Infektionsrisiko, sondern auch die Unfallgefahr - insbesondere an unbeaufsichtigten Badestellen.

"Die Menschen gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch die Retter", weiß Neiße. Denn: Wer einem Ertrinkenden zu Hilfe komme, sei schutzlos einer möglichen Ansteckung ausgeliefert. "Man muss ganz nah ran an die Person."(Taz)

Wo bleibt die linke Bewegung?

Es ist schon ein besonders makabres Merkmal der neuen Normalität, dass selbst bei der Rettungsaktion eines Ertrinkenden die mögliche Ansteckungsgefahr mit Corona eine zentrale Rolle einnimmt. Doch hier handelt es sich auch um ein Schreiben, das auf einige der vielfältigen Gefahren für Kinder und Jugendliche durch die Bäderschließung hinweist.

Es gibt weitere Beispiele von Menschen mit Rückenleiden, deren Krankheit wieder akut geworden ist, weil sie ihre tägliche Schwimmtheraphie nicht mehr praktizieren konnten. Es gäbe aus allen Lebensbereichen Hunderte solcher und ähnlicher Beispiele, die aufzeigen, wie die neue Normalität die Menschen krankmacht und ihre Lebenschancen verkürzt. Hierbei handelt es sich um rationale Argumente und Anliegen.

Es stellt sich die Frage, wo bleibt eine bundesweit wahrnehmbare linke Bewegung, die sie aufgreift und die so einen deutlichen Kontrapunkt zum Irrationalismus der Corona-Politik wie eines Großteils ihrer Kritiker setzt?

Sie würde nicht ein Zurück zum kapitalistischen Normalzustand fordern, wie manche Linke etwas überheblich behaupten. Sie würde vielmehr ein Zurück zum demokratischen, parlamentarischen und vor allem zivilgesellschaftlichen, heterogenen Alltag propagieren, wie es der Publizist Clemens Heni formuliert. Der Kampf darum, ist eine Grundbedingung, damit weitere Schritte hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft überhaupt denkbar sind.

Der Verfasser ist gemeinsam mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee Herausgeber des Buches "Corona und die Demokratie – eine linke Kritik", das in den nächsten Tagen erscheint.