Übernahme der Medien: "Spanien handelt wie die Türkei Erdogans"

Seite 2: "Es wird eine Bombe gezündet

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Katalonien findet sich vor einer bisher völlig unbekannten Situation. Was bedeuten die angekündigten Maßnahmen für TV3?

Lluís Caelles: Zunächst sollten wir feststellen, dass TV3 als Fernsehen in katalanischer Sprache auf eine 34-jährige Geschichte zurückschaut. Geschaffen wurde der Sender durch einen einstimmigen Beschluss vom katalanischen Parlament. Und erwähnen möchte ich auch, dass es sich um das ältestes Parlament Kontinentaleuropas handelt. Nur das britische Parlament ist älter, allerdings ist unser Parlament weiter das einer Nation ohne Staat. Nach 34 Jahren soll es, angesichts der Auflehnung Kataloniens, nun eine massive Intervention geben und auch die öffentlich-rechtlichen Medien hier kontrolliert werden. Spätestens damit wird eine sehr breite rote Linie überschritten.

Wie soll die Kontrolle aussehen?

Lluís Caelles: Niemand weiß das genau. Ziemlich sicher ist, dass man die Ausgaben kontrollieren und den Direktor austauschen wird. Klar ist, dass die Regierung unter Mariano Rajoy, die den § 155 auf den Weg gebracht hat, schon jetzt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Spanien kontrolliert. Und schauen wir uns speziell RTVE dort an, dann ist das sicher kein Modell für Pluralität, Professionalität und Demokratie. Die Journalisten und der uns entsprechende Kontrollrat dort beschweren sich ständig. Es wurde dort eine Parallelredaktion mit politischen Anhängern gebildet, um die, die politisch anders denken, kaltzustellen.

Lluís Caelles. Bild: R. Streck

Ist es das Modell, das man schon aus den Regionalsendern Telemadrid (Säuberung im spanischen Fernsehen) oder Canal Nou in Valencia kennt? In Telemadrid wurden schließlich viele Journalisten entlassen und Canal Nou geschlossen, nachdem Hunderte entlassener Journalisten erfolgreich auf Wiedereinstellung geklagt hatten.

Lluís Caelles: Wir haben es oft mit völlig politisierten Sendern zu tun. Das geht soweit, dass in der Rundfunkunion in Genf, wo die verschiedenen Sender kooperieren und Sendungen austauschen, RTVE aus dem Nachrichtenkomitee geworfen wurde. Der Sender ist dort kein Mitglied mehr, weil er die Mindestanforderungen für Nachrichtenqualität nicht erfüllt. Die Leute, die dafür verantwortlich sind, kommen jetzt also hierher und sagen uns, wir wären parteiisch und unprofessionell.

Wie sehen Sie als Kontrolleur die Sendungen auf TV3?

Lluís Caelles: Man kann natürlich immer verschiedener Meinung sein. Klar ist, dass auch wir nicht alles gut und richtig machen. Ich würde sagen, dass wir auf Nachrichtenebene unsere Sache ganz gut und ausgeglichen machen. Bei Debattensendungen kann man bisweilen auch Unausgeglichenheit feststellen. Aber wenn man das mit anderen Medien im spanischen Staat vergleicht, dann stehen wir immer noch gut da. Es gibt deshalb keinerlei Gründe hier zu intervenieren.

Paragraph 155 "kollidiert mit den Grundsätzen einer Demokratie"

Was erwarten Sie und die Kollegen von TV3 ab Freitag? Es wird ja erwartet, dass der Senat die Maßnahmen der Regierung absegnet, schließlich hat die regierende Volkspartei (PP) dort die absolute Mehrheit.

Lluís Caelles: Der § 155 hat ja diverse Besonderheiten. Er wurde einerseits bisher noch nie angewendet und ist andererseits sehr schwammig und allgemein formuliert. Zudem gibt es keine Jurisprudenz, die ihn bisher interpretiert hätte. Es gibt einfach keine. Es wird also eine Bombe gezündet. Wir wissen nicht, ob nun eine kleine Bombe oder die Atombombe gezündet wird.

Die Verfassung sollte doch auch die Rede-, Meinungs- und Pressefreiheit sichern. Kollidiert der 155 und die angestrebten Maßnahmen nicht mit anderen Verfassungsartikeln?

Lluís Caelles: Ja, er kollidiert mit den Grundsätzen einer Demokratie. Ich sehe das wie Sie, deshalb halte ich das Vorgehen für skandalös. Und es gibt ja längst andere Beispiele. Im Baskenland wurden zwei Tageszeitungen, ein Radio und eine Zeitschrift geschlossen. Klar, du kannst dann vor nationale und internationale Gerichte ziehen, bekommst in einigen Jahren vermutlich auch Recht, aber das Kommunikationsmedium ist dann ruiniert.

Wie fallen die Reaktionen der Kollegen in Europa aus?

Lluís Caelles: Phantastisch. Wir bekommen Solidarität von allen Seiten. Allen ist klar, dass hier alle Grenzen überschritten werden. Ich war als Korrespondent in Brüssel und hatte in meiner Naivität eigentlich gedacht, dass die EU Spanien zur Räson rufen würde. Aber es passiert nichts. Ich denke, man schlägt sich einen weiteren Nagel in den eigenen Sarg. Katalonien war stets der europäischste Teil Spaniens, aus der Tradition, der Nähe und der demokratischen Sensibilität. Ich verstehe, dass die EU-Staaten die Entstehung neuer Staaten nicht wollen. Aber man muss, das ist meine persönliche Meinung, für die Vorgänge eine saubere Lösung finden. Für mich ist das ein Referendum, wie es auch in Schottland durchgeführt wurde.

Es ist keine Minderheit hier, die ein Referendum will, sondern die große Mehrheit von 80%. Doch Spanien geht hier vor wie die Türkei Erdogans. Es wird nicht mit Katalonien verhandelt, aber man verhandelte sogar mit der baskischen Untergrundorganisation ETA. Wenn man ein schwieriges politisches Problem hat, verhandelt man normalerweise. Mit der ETA hat man das mehrfach getan. Hier, mit friedlichen Menschen, verweigert man sich.

Das ist unsere Situation. Wir haben bisher keine Journalisten im Knast, aber es sind schon zwei Aktivisten inhaftiert, weil sie zu Demonstrationen aufgerufen haben. Deshalb wird ihnen Aufruhr vorgeworfen.

Wie sehen die Reaktionen von spanischen Kollegen aus?

Lluís Caelles: Wir bekommen viel Unterstützung auch von dort. Allerdings fallen auch einige Lücken auf. Aber der Druck in Spanien ist enorm groß auf die Medien. Das Narrativ in Spanien ist, dass das Land unteilbar ist. Und TV3 wird von vielen zentral dafür verantwortlich gemacht, dass hier viele Menschen hier Spanien den Rücken zukehren wollen. Doch wie soll ein Medium, das eine Quote von 11% hat, durch angebliche Lügen, schlechten Journalismus, Propaganda dafür verantwortlich sein. Das ist unhaltbar und falsch.

Zudem sollte man bedenken, dass das gegen die vier großen spanischen Sender geschehen müsste, die gemeinsam auf eine Quote von 80%. Dass die große Mehrheit der Katalanen ein Referendum fordert, soll also ein Kanal erreicht haben, der nur eine Quote von 11% hat? Wenn wir das geschafft hätten, wären wir die Superstars. Das ist aber absurd, voller Unstimmigkeiten und Widersprüche.

Wurde auf einer Versammlung der Nachrichtenredakteure, die gerade beendet wurde, Reaktionen auf den § 155 beschlossen, ein Streik vielleicht?

Lluís Caelles: Das Problem ist, dass wir nicht wissen, was nun passieren wird. Wird Präsident Carles Puigdemont nun die Unabhängigkeit erklären, einen Schritt zurückgehen und Neuwahlen ansetzen? Es ist nicht ausgeschlossen, dass am Tag danach sogar unser Signal gekappt wird. Deshalb haben wir noch nichts beschlossen.

Und ein Streik hat ein Problem: Wenn wir nicht mehr senden, schalten die Menschen auf andere Kanäle um. Das im Alleingang zu tun, wäre meiner Meinung nach falsch. Die Debatte ist, ob man sich durch Ungehorsam den Anordnungen einer neuen Sendeleitung widersetzt. Das ist natürlich ein heißes Eisen, denn es geht um den Job, die Einkünfte ...

Madrid erklärt zudem, wer sich widersetzt, wird nicht nur strafrechtlich bestraft, sondern auch gefeuert. Man verliert also sein Einkommen, die Existenz, da ja Hypotheken oder Mieten bezahlt werden müssen. Da machen sich die Kollegen natürlich Sorgen. Ich gehe davon aus, dass es das Ziel der spanischen Regierung ist, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Katalonien zu schleifen, ihn ökonomisch langsam auszutrocknen. Allen ist klar, dass ohne Geld nichts zu machen ist. Aus einem Rundfunk, der auch in Europa eine Referenz ist, würde ein Nischensender ohne jede Bedeutung.