Überschreiten der Gruppengrenze
Seite 2: Die Macht des Kontakts: Bestandener Test in der Wirklichkeit
- Überschreiten der Gruppengrenze
- Die Macht des Kontakts: Bestandener Test in der Wirklichkeit
- Studien über den Erfolg der Kontakt-Theorie
- Notwendigkeit und Utopie
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Eine Reihe von Beispielen aus Geschichte und Gegenwart, die ganze Bücher füllen, sind lebendige und einprägsame Beweise für die Macht des Kontakts, um mögliche Gruppengegensätze zu überwinden. Beeindruckend ist beispielsweise, dass der erste Schritt zur Aufhebung der Rassentrennung in den USA aus der Not heraus geschah.
Als US-amerikanische Soldaten in Remagen am Ende des Zweiten Weltkriegs ihrer unausweichlichen Gefangennahme entgegensahen, wurden sie völlig unverhofft von einer afroamerikanischen Kompanie gerettet. Spätere Umfragen ergaben, dass nicht nur die direkt betroffenen Soldaten ihre Vorurteile verloren hatten, sondern auch die große Mehrheit der Soldaten, die durch den Rhein getrennt das Geschehen nur durch das Fernglas beobachten konnten. Sogar bei Soldaten, die das Geschehen lediglich vom Hören-Sagen kannten, senkte das Ereignis die Vorurteile nachweisbar ab.
Das berühmteste Beispiel für den Erfolg der Kontakttheorie im Krieg dürften sicherlich aber die Fraternisierungen im Ersten Weltkrieg sein, die weit über das medial aufbereitete Fußballspiel und das Weihnachtsfest 1914 hinausgingen.
Ein Studium der Feldpost zeigt, dass allein die dauerhafte physische Nähe zum Feind im Grabenkrieg bei den Soldaten häufig zu der Erkenntnis führte, den verfeindeten Menschen gegenüber sich näher zu fühlen als der Heimatfront.
Aber auch jenseits des Krieges gibt es beeindruckende Beispiele für das Gelingen der Kontakttheorie. Ein Beispiel als Stellvertreter: 1943 brachen in Detroit massive Rassenunruhen und brutale Straßenkämpfe aus. Vor dem Hintergrund einer schwierigen sozialen Lage und geringen Wohnraums machten zwei folgenschwere Gerüchte die Runde.
Afroamerikaner waren sich sicher, dass ein weißer Mob eine Frau und ihr Kind von einer Brücke geworfen hatten. Weiße waren sich sicher, dass ein schwarzer Mob auf derselben Brücke eine Frau vergewaltigt und getötet hatte. Beides stellte sich später als ein reines Gerücht heraus. Die Gewalt eskalierte und innerhalb der nächsten 36 Stunden wurden 34 Menschen getötet. Beachtenswert hierbei: Afrokamerikaner und Weiße, die mit Menschen der anderen Gruppe zusammenarbeiteten, beteiligten sich deutlich weniger an den Straßenschlachten und versuchten viel eher friedlich aktiv zu sein und Menschen der anderen Gruppe vor Gewalt zu schützen.
Je weniger man sich kennt
Natürlich gibt es auch sehr vielsagende Beispiele für die Auswirkungen von fehlendem Kontakt. Beispielsweise zitiert die Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften Elisabeth Duflo eine Studie, die belegt, je weniger Einwanderern in US-Bundesstaaten leben, desto unbeliebter sind sie. Fast die Hälfte der Bewohner von Bundesstaaten, in denen es fast keine Einwanderer gibt - wie Wyoming, Alabama, West Virginia, Kentucky und Arkansas - glaubt, dass Einwanderer eine Bedrohung für die US-amerikanische Kultur und Werte darstellen.
Ähnliches lässt sich auch in Europa feststellen. Umfragen zeigen, dass die Angst vor Flüchtlingen größer ist, je weniger Flüchtlinge in dem jeweiligen Land leben.
In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, wie groß die Fehleinschätzungen beim Thema Zuwanderung ist. Eine Umfrage unter 22.500 einheimischen Befragten aus sechs Ländern, in denen Zuwanderung ein bestimmendes politisches Thema war (Frankreich, Deutschland, Italien, Schweden, Großbritannien und die USA), ergab massive Fehleinschätzungen über die Anzahl und Zusammensetzung der Zuwanderer.
In Italien beispielsweise liegt der tatsächliche Anteil der Zuwanderer an der Bevölkerung bei zehn Prozent, die durchschnittliche Wahrnehmung dieses Anteils jedoch bei 26 Prozent. In Deutschland herrscht die Annahme, 21 Prozent der Bevölkerung sei muslimisch. Tatsächlich sind es fünf Prozent.
Möglichkeiten, Gefahren, Hoffnungen
Der Allport-Schüler Thomas F. Pettigrew erstellte 2006 eine aufwendige Meta-Studie, die 515 Studien aus 38 Ländern auswertete. Die Schlussfolgerung: Unter den von Allport geforderten Bedingungen verringert Kontakt deutlich Vorurteile und Abwertungen. Auch die Überzeugung, dass die besondere Wertschätzung für die in-group einer Abwertung der out-group erfordere, wie eine häufig geäußerte Überzeugung lautet, die im ersten Teil des Artikels präsentiert wurde, ist keinesfalls gesichert.
So zeigt eine weltweite Analyse von 186 traditionell ausgerichteten Gesellschaften, dass sich dort kein Beweis für einen Zusammenhang zwischen Gruppenloyalität und Hass auf out-groups finden ließ. Eine Ostafrika-Studie über dort lebende Stämme kommt zu dem gleichen Ergebnis.
Das Gruppenbewusstsein und die Einteilung in in-group und out-group ist zwar durchaus in der Natur angelegt und macht im Rahmen der Evolution Sinn. Es ist aber keineswegs ein menschliches Naturgesetz, das zwangsläufig verhindert, dass Gruppentrennungen nicht überwunden werden können.
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