Überschwemmung in Russland: Entlädt sich der Volkszorn auch gegen Putin?

Seite 2: Misstrauen gegenüber den Behörden

Nachdem der Bürgermeister erfolglos versucht hatte, die Bürger zu beruhigen, empfing schließlich der Gouverneur eine Delegation von ihnen in Orenburg. Diese bestand darauf, dass das Treffen gefilmt wurde, damit eventuell zur Beruhigung gegebene Zusagen auch dokumentiert würden. Hier zeigt sich das tiefe Misstrauen, dass auch diese an sich unpolitischen Russen gegenüber den eigenen Behörden haben.

Als Kompensation verkündeten die Behörden eine Entschädigung von umgerechnet 200 Euro pro Person an die Flutopfer, 500 Euro bei wesentlichem Eigentumsverlust und 1.000 Euro bei vollständigem Eigentumsverlust. Es ist zweifelhaft, ob Zahlungen in dieser Höhe angesichts des Geschehens zu einer echten Beruhigung der Bevölkerung ausreichend sind.

Beruhigung ist eine Maxime Moskaus

Doch eine solche Beruhigung ist das oberste Ziel der russischen Behörden, bei denen die Alarmglocken in der aktuellen Kriegszeit selten so laut schrillen, wie bei nicht genehmigten Straßenprotesten, die man sonst mit aller Macht der Ordnungsbehörden unterbindet. So schaltete sich auch Putin recht schnell persönlich in die Flutbekämpfung ein.

Der mächtigen Präsidialverwaltung ist bewusst, dass es nun vom Eindruck der Bürger vom Krisenmanagement abhängt, ob sich der Unmut über die örtlichen Lokalfürsten auch auf die Regierung im fernen Moskau ausweitet. Putin kann sich nun sowohl als "guter Zar" inszenieren, der das Versagen der Lokalbehörden kritisiert und schnelle, überregionale Hilfe vor Ort verspricht. Aber er kann auch durch zu geringe Reaktion Unmut auf sich ziehen.

Putin informiert sich bisher von Moskau aus

Bisher ist von einer deutlichen Reaktion oder gar Kritik an Regionalbehörden noch nichts zu spüren. Kremlsprecher Peskow bestritt naheliegende Reisepläne seines Chefs in das Überschwemmungsgebiet. Dieser sprach von Moskau aus mit dem örtlichen Gouverneur und entsandte lediglich seinen Minister für Notfallsituationen, Alexander Kurenkow, nach Orenburg.

Es ist zweifelhaft, ob in der aktuellen Situation kriegsbedingter Nervosität offene Kritik an den örtlichen Behörden oder eine ernsthafte Ursachensuche beim Dammbruch folgen wird. Der gebrochene Damm wurde erst 2010 gebaut und 2014 in Betrieb genommen, mit der Ankündigung, "das Problem der Gefahr bei Überschwemmungen für immer zu lösen", wie der damalige Bürgermeister von Orsk stolz verkündete.

Auszuschließen ist jedoch nicht, dass auf stille Weise der eine oder andere Provinzfürst im Überschwemmungsgebiet seinen Posten verlieren wird.

Konstruktions- oder Betriebsfehler als Ursache?

Offen mit den Ursachen des Dammbruchs beschäftigen sich aktuell angesichts der gefährlichen Lage der Presse im Land bisher nur oppositionelle russische Exilmedien. So fand die Onlinezeitung The Insider einen Fachmann für Wasserbau, der unter dem Siegel der Anonymität verriet, dass das schnell steigende Hochwasser Folge einer für Russland ungewöhnlich schnellen Schneeschmelze während massiver Regenfälle war.

Er kritisiert aber, dass die Behörden die Besiedlung von Gebieten zuließen, die für den Fall solcher Wettersituationen als Überschwemmungsraum benötigt würden. Weiterhin sei der Dammbruch nicht durch Überflutung, sondern durch eine Versickerung und Unterspülung des Damms geschehen, was auf einen Konstruktions- oder Betriebsfehler hinweise.

Findet eine solch offene Auseinandersetzung mit den Flutursachen in Russland selbst nicht statt, verstärkt sie auch über die Orenburg-Region hinaus das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber ihrem Staatsapparat. Ob der Kreml genügend Weitsicht besitzt, diesen Umstand zu erkennen, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.


Redaktionelle Anmerkung: In einer früheren Version hieß es "Staudamm". Tatsächlich handelt es sich um einen Hochwasserdamm. Die Stelle wurde abgeändert.