Ukraine: Der Traum vom schnellen Nato-Beitritt ist ausgeträumt

Ukraine wird nicht in Nato aufgenommen.

Auch wenn die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird, spielen westliche Waffen auch in Zukunft eine entscheidende Rolle.

Schnellen Beitritt der Ukraine zur Nato soll es nicht geben. Bündnis könnte Sicherheit des Landes dennoch sichern. Wie, und warum der Nord-Stream-Anschlag ein Problem sein könnte.

Wenige Wochen vor dem Nato-Gipfel in Vilnius zeichnet sich für die Ukraine eine deprimierende Entwicklung ab: Eine schnelle Mitgliedschaft im Bündnis wird es wohl nicht geben. Mehrere Staaten sprechen sich dagegen aus – sowohl die USA als auch Deutschland zählen zu ihnen.

US-Präsident Joe Biden sagte am Samstag, die Ukraine könne in ihrem Bemühen, Nato-Mitglied zu werden, nicht auf eine Vorzugsbehandlung hoffen. Das Land müsse alle für den Beitritt nötigen Kriterien erfüllen. "Wir werden es also nicht einfach machen", sagte er.

Am Freitag hatte auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärt, beim Gipfel in Vilnius werde nicht über eine Einladung an die Ukraine gesprochen. Stattdessen soll ein neuer Nato-Ukraine-Rat eingerichtet werden, der in Vilnius mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zum ersten Mal tagen soll.

Nato über Ukraine-Beitritt gespalten

Die Frage ist bis dato noch offen, ob dieser Schritt dem ukrainischen Präsidenten ausreichen wird. Zuletzt hatte er mehrmals angedeutet, nicht nach Vilnius reisen zu wollen, wenn ihm dort nicht die Nato-Mitgliedschaft angetragen oder eine klare Beitrittsperspektive geboten werde.

Diese Frage belastet nicht nur das Verhältnis von Nato und Ukraine, sondern offenbart einen tiefen Riss im Bündnis. Polen und die baltischen Staaten drängen auf einen schnellen Nato-Beitritt der Ukraine. Der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte kürzlich andeutet, dass diese Länder im Alleingang handeln könnten, sollte die Ukraine nicht aufgenommen werden. Sie könnten Truppen in die Ukraine entsenden, sagte er.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fürchtet allerdings, dass ein schneller Nato-Beitritt der Ukraine das Bündnis zur Kriegspartei machen würde. Am Freitag sagte er: "Allen Beteiligten ist klar, dass sich die Aufnahme eines Landes, das sich im Krieg befindet, weil es angegriffen worden ist, schlicht und ergreifend verbietet". Dass die Nato zur unmittelbaren Kriegspartei würde, könne niemand wirklich wollen.

Washington könnte durch Druck aus Osteuropa Haltung ändern

Diese Bedenken werden auch in Washington geteilt – was aber nicht bedeutet, dass diese Position in Stein gemeißelt ist. Die Mitgliedschaft der Ukraine sei zu einer "verzehrenden Debatte" geworden, heißt es in der New York Times (NYT). Das gelte sowohl in Europa als auch innerhalb der Regierung Biden, erklärte demnach ein hochrangiger US-Beamter, der eng in die Diskussionen eingebunden ist.

Gleichwohl steht das Weiße Haus unter Druck seiner Verbündeten. Beim Treffen der Nato-Außenminister in Oslo vor zwei Wochen zeichnete sich ab, dass eine Mehrheit der Staaten einen Fahrplan zur Mitgliedschaft der Ukraine fordern.

Offiziell ist noch nicht beabsichtigt, die Position der US-Regierung zu ändern, hat die NYT von Beamten erfahren. Dennoch habe sich eine interne Debatte entwickelt, einschließlich des Arguments, dass Biden vorangehen sollte, anstatt den Anschein zu erwecken, mit den Europäern gleichziehen zu müssen.

Auch in den US-Medien ist eine Debatte darüber entbrannt, wie die Sicherheit der Ukraine gewährleistet werden könnte, ohne sie in die Nato aufnehmen zu müssen.

Außerhalb der Nato, aber schwer bewaffnet

Stephen Wertheim, Wissenschaftler bei der Carnegie Endowment for International Peace, plädiert in einem Meinungsbeitrag in der NYT dafür, die Ursachen des Ukraine-Kriegs nicht unterkomplex zu betrachten. Er schreibt:

Die Geschichte, die wir uns heute über den Krieg in der Ukraine erzählen, birgt ihr eigenes Risiko. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im vergangenen Jahr hat sich die Debatte in den westlichen Hauptstädten über die Ursprünge des Konflikts auf eine Hauptursache konzentriert: Russland griff ausschließlich aus aggressiven und imperialistischen Motiven zu den Waffen, und die Politik des Westens, einschließlich der jahrelangen Nato-Erweiterung, spielte dabei keine Rolle.

Es stehe außer Frage, dass Russland die Ukraine angegriffen habe, weil imperialistische Einstellung in Moskau tief verwurzelt seien. Aber zum Teil aufgrund dieser Einstellungen reagiere die russische Führung auch auf die Erweiterung der Nato. Die Aufnahme der Ukraine in das Bündnis werde diesen Impuls nicht beenden, auch nicht mit Unterstützung der USA und der damit verbundenen nuklearen Garantie.

Jede Formel für einen dauerhaften Frieden müsse dieser Komplexität Rechnung tragen. Ein gängiger Weg, den Frieden für die Ukraine zu sichern, bestehe deshalb darin, die außerhalb der Nato zu belassen, aber zu bewaffnen und auf sonstige Weise zu unterstützen.

Wenn es zu Verhandlungen kommt, sollte Präsident Wolodymyr Zelenskyj auf den Vorschlag zurückkommen, den die Ukraine Berichten zufolge im März letzten Jahres unterbreitet hat, nämlich keine Nato-Mitgliedschaft anzustreben. Stattdessen sollte eine Nachkriegs-Ukraine, wie Herr Zelensky vorschlug, das "israelische Modell" übernehmen und eine große, fortschrittliche Armee und eine beeindruckende Verteidigungsindustrie mit umfassender externer Unterstützung aufbauen.

Vor allem sollen aber die Europäer die Lasten übernehmen. Die Ukraine solle in die Europäische Union aufgenommen werden, was von Moskau wahrscheinlich eher geduldet würde als die Mitgliedschaft "in der US-geführten Nato". Man könnte damit auch den Eindruck vermeiden, die USA würden Russland einkreisen und im Hintergrund an allen Strippen ziehen.

Die Washington Post berichtet, dass entsprechende Vorbereitungen im Brüsseler Nato-Hauptquartier längst getroffen werden. Dort bezeichnen Diplomaten den Ansatz als "Stachelschweinstrategie": Die Ukraine wird so weit aufgerüstet, dass künftige russische Angriffe unwahrscheinlich wären. Als Vorbild dient auch hierbei die US-Unterstützung Israels.

Problem: Nord-Stream-Anschlag

Zu einem Problem könnte aber noch der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines werden, berichtet das Handelsblatt. Der Nato komme der Verdacht sehr ungelegen, heißt es in dem Bericht. Denn sollte sich bestätigen, dass die ukrainische Führung von den Anschlagsplänen wusste oder gar angeordnet habe, müsste das Bündnis reagieren.

Offen über den Vorfall und den Verdacht wolle niemand innerhalb der Nato gern sprechen. Auch die deutsche Regierung halte sich bedeckt, weil sie ein Wiederaufleben der Debatte verhindern wolle.

Es gibt ein übergeordnetes Ziel: Kiew weiterhin zu unterstützen. Deshalb stelle in der Nato bisher auch niemand offen eine Verbindung her zwischen dem Ausgang der Ermittlungen und dem Beitritt der Ukraine. Es solle kein Zweifel an der Solidarität mit der Ukraine aufkommen, schreibt das Handelsblatt.

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