Ukraine: Journalisten fliehen ins Ausland

Seite 2: Chefredakteur von Fernsehkanal "NewsOne" flüchtet nach Brüssel

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Igor Guschwa ist nicht der einzige ukrainische Chefredakteur, der Schutz in Westeuropa sucht. Im Dezember 2017 hielt sich der Chefredakteur des kritischen Fernsehkanals NewsOne, Jewgeni Murajew, mehrere Wochen in Brüssel auf, während seine Fernsehkanal von Ultranationalisten blockiert und mit Stacheldraht eingezäunt wurde.

Nach der Blockade leitete der ukrainische Staatsrat für Radio und Fernsehen ein Untersuchungsverfahren gegen NewsOne ein. Beanstandet wurde, dass Chefredakteur Murajew den Maidan in einer Sendung als Staatsstreich bezeichnet hatte. "Moderatoren und Gäste" des Kanals hätten "die militärische Aggression" des "Aggressor-Staates" (gemeint ist Russland, U.H.) und die "Annexion der Krim gerechtfertigt". Damit solle "die öffentliche Meinung mit unwahren und nicht vollständigen Informationen manipuliert werden", schrieb das Mitglied des Staatsrats, Sergej Kostinski via Facebook. Außerdem seien die Luftstreitkräfte Russlands in einem Beitrag über Syrien positiv dargestellt worden.

Tätlicher Angriff von "Rechtem Sektor"-Mitglied auf Fernsehjournalist Kotsaba

Ruslan Kotsaba, der nach seiner Haftstrafe wegen "Schädigung der ukrainischen Armee" bei dem Kiewer Fernsehkanal NewsOne arbeitet, wurde schon insgesamt vier Mal von Rechtsradikalen überfallen, zuletzt am 12.Dezember 2017 während Dreharbeiten im Zentrum von Kiew, als er von einem Mitglied des Rechten Sektors geschlagen wurde (Video) . Über eine Reaktion der Polizei auf diese Vorfälle ist nichts bekannt.

Mutige Richter unterlaufen Kotsaba-Verfahren wegen Landesverrat

Am Donnerstag konnte sich Kotsaba jedoch freuen. Es ging um die Anklage wegen Landesverrat, welche die Staatsanwaltschaft gegen den Journalisten eingereicht hat. Am Mittwoch war in einem Bezirksgericht des westukrainischen Gebietes Iwano-Frankiwsk eine Gerichtsverhandlung angesetzt, zu der Kotsaba erschien. Der Journalist befürchtete, man könnte ihn auf dieser Gerichtsverhandlung verhaften. Doch das war nicht der Fall. Stattdessen kam es zu einer erfreulichen Wende. Schon das zweite Mal erklärte sich ein Richter eines Gerichts im westukrainischen Iwano-Frankiwsk für befangen, weshalb das Gericht gestern kein Urteil fällen konnte und der Fall an ein Schiedsgericht überwiesen wird.

Schon das dritte Gericht sieht sich damit außerstande, gegen Kotsaba wegen der Klage auf Landesverrat ein Urteil zu fällen. Kotsaba und seine Anwältin Tetjana Montian meinen, dass das Hin- und Herschieben zwischen den Gerichten noch Jahre weitergehen könne.

Mit Rechtssicherheit hat dieses Hin- und Herschieben nichts zu tun. Es zeigt aber, dass es unter den Richtern durchaus anständige Menschen gibt, die mit ihrem Verhalten sogar Strafaktionen des Rechten Sektors riskieren. Weichheit gegenüber angeblichen "Feinden des Vaterlandes" wird vom Rechten Sektor immer wieder mit Gewaltaktionen auch gegen Richter bestraft.

Die strafrechtliche Verfolgung von Ruslan Kotsaba begann im Februar 2015. Mitte Januar 2015 hatte der Journalist über ein YouTube-Video zur Kriegsdienstverweigerung in der Ost-Ukraine aufgerufen. Am 7. Februar wurde der jetzt 51-Jährige verhaftet und ein Jahr später wegen "Schädigung der Armee" zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Kotsaba saß 524 Tage im Gefängnis, bis im Juli 2016 ein Berufungsgericht in Iwano-Frankiwsk entschied, dass Ruslan Kotsaba unschuldig ist und seine Freilassung anordnete (Ein Bier nach dem Freispruch für Kriegsdienstverweigerer). Grund der Freilassung war vermutlich eine internationale Protest-Kampagne, die in Deutschland von der Deutschen Friedensgesellschaft/VK und dem Verein Connection getragen wurde.

Die ukrainische Staatsanwaltschaft reichte 2017 eine neue Klage wegen Landesverrat gegen den Journalisten ein. Ein Gericht im Gebiet Iwano-Frankiwsk sollte über die Klage entscheiden, erklärte sich aber für befangen und überwies den Fall an ein Gericht in Kiew. Doch das Kiewer Gericht überwies den Fall zurück nach Iwano-Frankiwsk. Am Mittwoch platzte eine Gerichtsverhandlung in Iwano-Frankiwsk erneut aufgrund des Befangenheitsantrags eines Richters.

Kotsaba-Anwältin Montian: "Das ist die Folge der Revolution der Würde!"

Die Anwältin von Kotsaba, Tetiana Montian, die bekannt ist für ihre schonungslosen Kommentare, erklärte via Facebook: "Nach meiner Prognose wird sich kein Gericht im Gebiet Iwano-Frankiwsk finden, welches die direkte Anordnung des Berufungsgerichts im Kiewer Gebiet ausführt und den Schuldspruch in die gemeinen Fressen der Staatsanwälte wirft. Doch dafür können die Nazis das Gericht anstecken und die Richter umbringen. Das ist keine Kleinigkeit. Das ist die Folge der Revolution der Würde! Wir warten auf die neue Zuteilung und eine neue Zusammensetzung des Gerichts. Diese Musik wird ewig sein!"

Bei einer Veranstaltung in Mainz erklärte Ruslan Kotsaba, ins Exil zu gehen, komme für ihn nicht infrage. Er sei sich sicher, dass er im Westen kein politisches Asyl erhalte.