Ukraine-Konflikt: Schwarz-Grau statt Schwarz-Weiß

"Nein zum Krieg": Parole an einer Mauer in Moskau. Foto: PLATEL / CC-BY-SA-4.0

Russland hat die Ukraine angegriffen und verfolgt Kritiker an der Heimatfront. Dort aber sind Unterschiede zwischen den Kontrahenten kleiner als oft angenommen.

Wird in Russland eine kriegskritische Sicht oder gar die Sicht des ukrainischen Feindes verbreitet, so drohen harte Strafen. Als "wahr" darf nur gelten, was der offiziellen Lesart des Moskauer Verteidigungsministeriums entspricht. Das ist aus deutschen Presseberichten hinreichend bekannt. Wie aber geht die ukrainische Seite mit abweichenden Sichtweisen zum Krieg um?

Das zeigt sich sehr deutlich an einem aktuellen Bericht des französischen TV-Senders France 24, der zum Inhalt die Vorbereitungen der russischen Truppen auf den im Frühling erwarteten Gegenangriff der Ukrainer hatte. Dabei besuchte das Team der Franzosen das Hinterland im besetzten Gebiet, auch russische Soldaten kommen zu Wort.

Die ukrainische Reaktion auf diesen Beitrag erschöpfte sich nicht in der Bekundung von Missfallen. Dem französischen Sender wurde wegen des Besuchs von russisch besetztem Territorium ohne Genehmigung der ukrainischen Regierung von offizieller Seite mit rechtlichen Konsequenzen gedroht. Der ukrainische Botschafter in Frankreich sprach von einem "schlechten Beispiel für 'neutralen Journalismus'", der Sender hat die Reportage inzwischen aufgrund des Drucks von seiner Webseite und seinem YouTube-Channel entfernt.

Zwangsrekrutierungen auf beiden Seiten

Was für die Berichterstattung von der Front gilt, gilt für die Rekrutierung eigener Staatsbürger für die Kämpfe umso mehr. So ist die Zwangsmobilisierung in Russland für den Fronteinsatz unter repressiven und teilweise chaotischen Verhältnissen aus deutschen Presseberichten hinreichend bekannt. Auch dass es durch eine neue Gesetzesänderung Russen in Zukunft fast unmöglich gemacht wird, sich weiteren Wellen der Zwangsmobilisierung zu entziehen.

In den besetzten Gebieten der Ukraine werden Verweigerer nach den Erkenntnissen der internationalen Kriegsdienstverweigerer-Hilfsorganisation Connection e.V. dennoch an die Front geschickt oder inhaftiert.

Weniger bekannt ist jedoch aus großen deutschen Medien, dass in der Ukraine selbst das Recht zur Kriegsdienstverweigerung mit dem russischen Überfall komplett außer Kraft gesetzt wurde. Gezeigt werden hingegen in großer Zahl möglichst sympathische Kämpfer, die sich freiwillig den russischen Truppen entgegenstellen.

Wehrdienstverweigerer werden aktuell von der ukrainischen Justiz zu teilweise mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Solche Verhaftungen kamen selbst bei offensichtlich untauglichen Personen vor, Connection berichtet beispielsweise von einem schwer Arthrose-Kranken, der wegen nicht rechtzeitigen Erscheinens bei einer Rekrutierungsstelle drei Jahre Haft erhielt.

Was für die Pressefreiheit oder die Rekrutierung von Soldaten gilt, gilt für andere Bereich der russischen und ukrainischen Innenpolitik nicht weniger. Nur weil sich die Situation in Russland seit dem Kriegsbeginn immer weiter verdüstert hat, ist die Ukraine kein leuchtender Gegenpol demokratischer Freiheiten. Während die Düsternis in Russland auf Deutsch ein häufiges Medienthema ist, kehrt man die tatsächlichen Verhältnisse in der Ukraine gern unter den Teppich.

Parteiverbote hier wie dort

So wie in Russland wirklich oppositionelle Parteien wie Nawalnys Bewegung verboten sind, traf ein solches Verbot oppositionelle, zu "Russlandfreundliche" Parteien in der Ukraine nahezu parallel nach Kriegsbeginn. Dabei half ihnen nicht, wenn sie sich vom russischen Überfall distanzierten, wie der frühere Minister und Oppositionsabgeordnete Jurij Bojko. Er gibt eindeutig Putin die Schuld am Krieg, spricht aber auch bei den inneren Verhältnissen im eigenen Land maximal von einer "Simulation" politischer Konflikte.

Ob es im Land überhaupt noch eine Opposition gibt, wie etwa ukraine-solidarische deutsche Blogger behaupten, ist umstritten. Bojko als vormals Betroffener hat hier eine eindeutige und andere Meinung: "Jetzt gibt es in unserem Land keine Opposition im eigentlichen Sinne mehr".

Das Vorhandensein mehrerer Parteien im Parlament garantiert jedenfalls keine Demokratie – mehrere Parteien gibt es ja auch weiterhin in Russland, natürlich alle mit offizieller Kriegsbegeisterung.

Als Hebel, um unliebsame Stimmen verstummen zu lassen, dient der Regierung in Kiew das Kriegsrecht. Durch dieses wurden die verfassungsgemäßen Grundrechte faktisch ausgehebelt, die Versammlungs- und Redefreiheit, das Streikrecht und viele andere Rechte erheblich eingeschränkt. Gerechtfertigt werden diese Einschränkungen von deutschen Journalisten gerne mit Notwendigkeiten eines "Verteidigungskampfes um die Existenz".

Bei zahlreichen Maßnahmen fragt sich jedoch, inwieweit sie wirklich zur Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft notwendig sind und ob sie nicht zur Unterdrückung ungeliebter kritischer Stimmen missbraucht werden.