Ukraine-Krieg: Auf der Suche nach einer Friedenslösung
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Interview mit Brigadegeneral a.D. Reiner Schwalb über die Vorgeschichte der russischen Invasion, Möglichkeiten einer friedlichen Lösung und Verantwortungs- versus Gesinnungsethik
Reiner Schwalb ist Brigadegeneral a.D. und ehemaliger Militärattaché an der Deutschen Botschaft in Moskau. Er ist einer der Unterzeichner eines Aufrufs von 26 ehemaligen Botschaftern und Generälen, Friedensforschern und Theologen mit dem Titel: Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang im Verhältnis zu Russland. Vor einigen Wochen hatte Telepolis mit ihm bereits über Möglichkeiten der Deeskalation gesprochen: "… dann würden die USA der Ukraine den Gashahn zudrehen".
Herr Schwalb, wie ist Ihre Einschätzung zum Treffen des russischen und ukrainischen Außenministers in der Türkei in der letzten Woche?
Reiner Schwalb: Vielleicht darf ich einen Schritt zum vorletzten Montag zurückspringen. Da wurde ein Interview mit dem US-Sender ABC-News veröffentlicht, in dem der ukrainische Präsident ungewöhnlich versöhnliche Worte wählte und ein Verhandlungsangebot machte, was beinhaltete, dass man sich auch einen unabhängigen Donbass und eine Krim, die zu Russland gehört, vorstellen könnte.
Erstaunlicherweise hatte ja darauf Dimitri Peskow, der Sprecher Präsident Putins, auch ähnlich geantwortet, nämlich dass Forderungen Putins unter anderem, die Anerkennung von Krim, Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken und eine vollständige Kapitulation der Ukraine beinhalteten. Von daher hatte ich große Hoffnungen auf das gesetzt, was in der Türkei an Gesprächen geführt werden sollte.
Immerhin waren es die ersten Gespräche auf Regierungsebene. Die Problematik ist, dass man nicht so genau weiß, was Lawrow eigentlich wollte. Wir haben früher häufig erlebt, dass Lawrow über das Ziel hinausschoss, weil er offensichtlich nicht so genau wusste, was der Kreml wollte. Das erlaubte dann letztlich Putin, öffentlich einen Rückzieher zu machen.
Es kann natürlich auch sein, dass man auf russischer Seite den Krieg noch verlängern möchte, um eine noch bessere Verhandlungsposition zu bekommen, zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, was ist eigentlich Donbass. Also endet Donbass an der früheren Kontaktlinie oder schließt er die Oblaste Lugansk und Donezk vollständig ein.
Dennoch, positiv ist, dass überhaupt zum ersten Mal auf Regierungsebene gesprochen wurde. Das war nicht nur ein Erfolg für die türkische Diplomatie, ich vermute mal, es war der Beginn für weitere ernsthafte Verhandlungen.
Wie ist Ihre Einschätzung zur Vorgeschichte der russischen Invasion in der Ukraine?
Reiner Schwalb: Ich möchte mit der Vorgeschichte erst im November und Dezember 2021 beginnen. Es ging meines Erachtens um den Aufbau des Drucks auf USA und Nato durch Stationierung von Kampftruppen in relativer Nähe zur Ukraine und Übungen in Belarus. Des Kremls Sicht, festgeschrieben in den Strategiepapieren, ist: "Streitkräfte dürfen (nur) dann eingesetzt werden, wenn nationale Interessen nicht mit diplomatischen Mitteln erreicht werden."
Ein kleiner Exkurs: Diese Strategiepapiere werden unter anderem geschrieben und veröffentlicht, um Transparenz zu erzeugen. Damit weiß die andere Seite, was würde ich in bestimmten Fällen machen. Diese Transparenz erzeugt auch Vertrauen und mehr Sicherheit. Nach diesen Strategiepapieren handelt Russland offensichtlich auch.
Militär zu nutzen, macht Russland auf zwei Wegen, vollkommen im Clausewitzschen Sinne: Druck ausüben oder Krieg führen, um politische Ziele zu erreichen. Zunächst einmal diente der Aufmarsch der Druckausübung, man hatte damit ja auch schon vorher positive Erfahrung gemacht, als sich Russland in Syrien an den Verhandlungstisch zurückgebombt hatte. In Syrien musste USA wieder mit Putin reden.
Druckausübung oder Kriegsführung, das ist aus russischer Sicht der Zweck von Streitkräften. Lösungsmöglichkeiten zum Kern der russischen Beschwerde, also Nato- Mitgliedschaft der Ukraine oder Nicht-Nato-Mitgliedschaft, wurden nach meinem Kenntnisstand mit Verweis auf die Charta von Paris und Artikel 10 des Nato-Vertrages nie wirklich angeboten.
Dies hat letztlich auch Olaf Scholz deutlich gemacht, als er sagte, Russland habe die Nato-Mitgliedschaft zum Casus Belli erhoben, obwohl sie zurzeit gar nicht akut sei. Die bei El Pais geleakten US-Angebote zeigten zwar einen Willen zur Vertrauensbildung und Rüstungskontrolle, aber trafen nicht den Kern der Nato-Mitgliedschaft.
Die Aussage von Bundeskanzler Scholz bediente also auch nicht die russischen Erwartungen, weil in deren Narrativ immer eine Rolle spielte, dass es ähnliche Absichtserklärungen auch schon anlässlich der 2+4-Gespräche gegeben habe, wenn auch nicht vertraglich verankert. Genau das schien der Kreml jetzt zu wollen: einen Vertrag. Da dieser nicht angeboten wurde, war mit stärkerem militärischen Druck Russlands zu rechnen.
Was geschah noch in der Vorgeschichte? Der Kreml ging vermutlich nicht davon aus, dass bei einem Einmarsch der Westen in irgendeiner Weise militärisch reagieren würde. Denn schon 2014, bei dem Einmarsch russischer Soldaten auf der Krim und der Verletzung des Budapester Memorandums durch Russland, hatten die beiden westlichen Garantiemächte dieses Memorandums, USA und GBR, erklärt, dass es keine militärische Lösung geben werde.
Militärische Abschreckung fand damals nicht statt und im Februar 2022 bezogen auf die Ukraine wieder nicht. Das wiederum führte sicherlich zu der Fehlannahme in Russland, dass man, wenn der Westen vorher nicht ein Angebot zur Nato-Mitgliedschaft oder Nicht-Nato-Mitgliedschaft machte, diese Ziele schnell auch mit einem Einmarsch erreichen könne.
Dennoch darf das Geschilderte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ausschließliche Schuld bei dem Aggressor liegt. Auch wenn China das zum Teil anders sieht.
Das Ziel des Einmarsches
Sie haben das zum Teil sicherlich schon beantwortet, aber was glauben Sie, war das Ziel des russischen Einmarsches?
Reiner Schwalb: Das Ziel des russischen Einmarsches war, wenn man dies aus dem militärischen operativen Verhalten Russland in der ersten Kriegswoche ableitet, möglichst wenig Schaden hervorzurufen, um eine Marionetten-Regierung etablieren zu können. Unter wem, kann ich nicht sagen, aber manche Experten sagen, eine Marionetten-Regierung unter Medwedschuk.
Der operative Plan, wie das russische Militär dies angegangen ist, lässt zumindest dieses Ziel auch so erscheinen, denn der Krieg begann ja damit, dass man im Süden und im Osten zunächst einmal versuchte, ukrainische Kräfte zu binden, offensichtlich um möglichst schnell und trotz der Grausamkeiten und der zivilen Toten, mit welchen wir jeden Abend im Fernsehen konfrontiert werden - ohne große zivile Verluste Kiew einzunehmen.
Dies basierte offensichtlich auf einer vollständigen Fehlbeurteilung des Verteidigungswillens der Ukrainer, ebenso wie einer groben Fehleinschätzung der Fähigkeiten der eigenen Streitkräfte.
Dieses strategische Ziel der Installation einer Marionetten-Regierung scheint sich in den letzten Tagen verändert zu haben. Wegen des größeren Widerstands der Ukrainer werden jetzt auch viel stärker die militärischen Mittel genutzt, die vorher nicht genutzt wurden, zum Beispiel Artillerie, die ja noch viel mehr ziviles Elend hervorrufen, insbesondere dann, wenn es um Kampf in urbanem Raum geht.
Jetzt sieht es so aus, als wolle man Städte einkreisen und damit noch stärker Druck ausüben. Weiterhin scheint ein Ziel zu sein, durch Angriffe im Süden und Osten eine bessere Verhandlungsposition hinsichtlich eines unabhängigen Donbass zu bekommen.
Wie ist Ihre Einschätzung im Hinblick auf die russische Anerkennung der Unabhängigkeit der "Volksrepubliken" Donetzk und der Luhansk?
Reiner Schwalb: Die Anerkennung war eine vollkommene Abkehr der bisherigen Position. Ich denke, es ist bekannt, dass 2015 im Sommer genau diese aufgegeben wurde. Damals gab es ja die Idee eines "Noworossija" unter einem "Präsidenten" Borodai. Diese Idee hatte Russland beendet, weil offensichtlich der Kreml hoffte, seine Ziele, permanenten Einfluss auf ukrainische Außenpolitik und damit auch keine Nato-Mitgliedschaft über das im Februar verhandelte Maßnahmenpaket von Minsk zu erreichen.
Das Maßnahmenpaket beinhaltete die politische Dezentralisierung der Ukraine, einen Kernpunkt, um Einfluss auf die ukrainische Außenpolitik zu bekommen. Die Präsidenten Poroshenko und Selenskij hatten sich von diesen Zielen abgewendet. Dies bedeutete offensichtlich für den Kreml eine wesentliche Lageänderung und er versuchte seine Ziele anders umzusetzen, nämlich jetzt nicht über Ukraine direkt, sondern direkt über die Nato-Russland-Gespräche.
Die Anerkennung der beiden sogenannten Volksrepubliken wiederum gab Putin eine interne Legitimierung für einen möglichen Krieg, denn innerhalb der russischen Bevölkerung gab es ja keine Zustimmung zu einem möglichen Krieg gegen die Ukraine. Auch eine Autokratie bedarf der Zustimmung des Volkes zur Kriegführung – Wie die UdSSR schon in Afghanistan erlebte.
Es genügt eben nicht, um wieder bei Clausewitz zu bleiben, der Pflichtlektüre in der Offiziersausbildung der russischen Streitkräfte ist, dass man den Willen des Führers hat, um Krieg erfolgreich zu führen, sondern man benötigt auch die Fähigkeiten des Militärs und den Willen des Volkes. Der war nicht gegeben. Also hatte man aus meiner Sicht gehofft, über die Legitimation der beiden Volksrepubliken Präsident Selenskij dazu zu bringen, gegen die Republiken Krieg zu führen, also einzumarschieren, anzugreifen.
Der ukrainische Präsident tappte aber nicht in diese Falle. Also hat Putin sich zu dem direkten Angriff entschlossen und den möglichen Widerstand des eigenen Volkes gegen diesen Krieg durch totale Einschränkung der kritischen Medien, von kritischen Stimmen und der Androhung drakonischer Strafen eingehegt.