Ukraine-Krieg: Auf der Suche nach einer Friedenslösung
Seite 2: Die Lieferung von Waffen an die Ukraine
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Wie ist Ihre Einschätzung der Waffenlieferungen an die Ukraine?
Reiner Schwalb: Bis zum 23.2. war ich aus den eben genannten Gründen absolut dagegen, weil ich fürchtete, dass Präsident Selenskij in die "Saakaschwili-Falle von Georgien" tappen könne. Saakaschwili war der Überzeugung, dass er vom Westen unterstützt werden würde, wenn er die Russen aus Südossetien wieder vertreiben würde. Nach dem Bericht von Heidi Tagliavini hat Russland auf diesen georgischen Vorstoß unangemessen und radikal reagiert.
Georgien bekam nicht die erhoffte Unterstützung. Dies fürchtete ich auch, zumal Präsident Selenskij in seiner Neujahrsansprache davon sprach, dass man sich die Separatistengebiete zurückholen würde. Ab dem 24. Februar gab es, was wir Militärs eine wesentliche Lageänderung nennen. Diese wesentliche Lageänderung war, Russlands Einmarsch.
Damit war ich für Waffenlieferungen, für Waffen, die die Ukrainer leicht bedienen konnten und die sie für ihre Verteidigung brauchten, also zum Beispiel Panzerfäuste oder Fliegerfäuste. Und da es kaum eigene Luftfahrzeuge gab, brauchte man auch keine entsprechenden Systeme, die das Ganze koordinieren. Allerdings bin ich gegen Waffenlieferungen, die unmittelbar dazu führen können, dass Nato direkt involviert werden würde. Also die immer wieder auch in der Öffentlichkeit, in Talkshows diskutierten Flugzeuglieferungen.
Aus zwei Gründen: Einmal aus dem sicherheitspolitischen Grund, weil Nato dadurch Gefahr liefe direkt involviert zu werden. Und zum Zweiten: Aus militärischer Sicht, es würde gar nichts bringen. Die Luftverteidigungssysteme von Russland waren bisher ja nicht notwendig. Aber wenn Russland seine Luftverteidigungssysteme nutzte, bodengebundenen und luftgestützte, dann wären 10, 12, 14 Flugzeuge schnell vom Himmel verschwunden.
Es sei denn, man bekämpfte auch diese Luftverteidigungssysteme. Dies wiederum führte uns dazu, dass wir wieder direkt in einen Nato-Russland-Krieg hineingezogen werden würden, von dem ich glaube, aus Verantwortung heraus für die Nato-Nationen, wird das kaum ein westlicher Politiker unterstützen.
Also: für bestimmte Waffen bin ich. Für andere absolut dagegen und die Grenze sollte dort sein, wo man in die Lage kommt, dass Nato unmittelbar involviert werden würde.
Nuklearwaffen
Wie sehen Sie die beschlossenen Sanktionen, insbesondere den Ausschluss mehrerer russischen Banken von Swift?
Reiner Schwalb: Zunächst einmal zeigt das die westliche Geschlossenheit, die Russland immer versucht hat aufzubrechen. Es erhöht damit auch den internen Druck auf Putin, das ist überhaupt keine Frage. Allerdings darf das nach meinem Dafürhalten nicht so weit gehen, dass die Existenz des russischen Staates bedroht wäre.
Um wieder auf die Strategiepapiere zurückzukommen: Die Bedrohung der Existenz des russischen Staates ist einer von drei Gründen, um auch Nuklearwaffen einzusetzen. Das wird, wie schon erwähnt, in Strategiepapieren beschrieben, weil man damit entsprechende Botschaften senden will. Ein möglicher Zerfall des russischen Staates kann nicht in unserem Interesse sein.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand ein Interesse haben würde, dass ein Staat dieser Größe zerfällt, schon gar nicht, wenn dann seine Nuklearwaffen in unterschiedliche Hände geraten könnten.
Die Empörung, die wir heute in jeder Talkshow hören, ist gerechtfertigt. Dennoch müssen wir nüchtern beurteilen, was gegenüber Russland wirkt und welche möglichen nicht intendierten Konsequenzen unserem Handeln folgen könnten. Diese Beurteilung geschieht sicherlich auch in der Regierung.
Eskalationsdominanz und Chancen für den Waffenstillstand
Was halten Sie jetzt für besonders wichtig, um die Chancen auf einen Waffenstillstand zu erhöhen?
Reiner Schwalb: Zunächst einmal ist entscheidend, dass wir diese Entscheidung der ukrainischen Regierung überlassen. Also Präsident Selenskij muss entscheiden, das ukrainische Volk muss entscheiden, zu welchen Angeboten er bzw. es bereit ist. Einen Waffenstillstand wird es nur geben, wenn Ukraine Angebote macht. Und so hart das auch zunächst einmal zu klingen scheint, es wird immer ein Angebot sein, welches auf eine Art Siegfrieden hinausläuft.
Das heißt, der Aggressor wird die besseren Karten haben, um das mal deutlich zu sagen. Der Angreifer hat die Eskalationsdominanz. Also, was muss geschehen? Erstens: Die Ukraine muss entscheiden. Zweitens: Westliche Politiker sollten, aber in nicht-öffentlichen Diskussionen, Selenskij deutlich machen, wie sie ihn und die Ukraine nach einem Waffenstillstandsvertrag und auch bei einem Friedensvertrag unterstützen würden.
Dies gilt auch für den Wiederaufbau und die weitere Entwicklung des Landes. Und westliche Regierungen sollten auch gegenüber Russland deutlich machen - ebenso in nicht-öffentlichen Diskussionen, wie sowohl weiterer Druck aussehen kann als auch welche Angebote, welche Anreize man Russland geben kann. Dies alles mit Blick auf eine zukünftige europäische Sicherheitsarchitektur.
Wie könnte eine mögliche Friedenslösung aussehen, gerade im Hinblick auf die Frage, ob die Ukraine der Nato beitreten könne?
Reiner Schwalb: Nun, ein möglicher Kompromissvorschlag ist das, was Präsident Selenskij zunächst einmal selber gesagt hat. Er sagte, er könne sich auch eine Neutralität seines Landes vorstellen. Damit wäre die Nato zunächst einmal befreit davon, sich selber positionieren zu müssen. Allerdings könnte dies Russland zu wenig sein, weil ja schon in früheren Jahren in der Ukraine Neutralität Verfassungsrang besaß.
Also müsste Nato letztlich auch ein mögliches Angebot machen, wie, wenn Ukraine diese Neutralität festschreibt, man darauf reagiert. So könnte Nato erwägen, einen Vertragsentwurf vorzulegen, welcher ein z.B. 20-jähriges Moratorium auf Nichterweiterung der Nato vorsieht. Gleichzeitig könnte man eine Sicherheitsgarantie für die Unversehrtheit und territoriale Integrität der Ukraine – vermutlich dann einer Rumpfukraine - geben.
Nachdenkenswert wäre auch, vertraglich zuzusichern, dass neue Nato-Mitglieder so behandelt werden, wie das Beitrittsgebiet im 2+4-Vertrag. Art. 5 (3) regelt, dass im Beitrittsgebiet keine Nato-Truppen stationiert werden, keine NATO-Infrastruktur aufgebaut und keine Großübungen in diesem Raum durchgeführt werden.
Sollte es Russland wirklich um die angenommene Bedrohung durch Nato gehen, dann könnte eine solche Regelung, ohne dass es eine Zweiklassengesellschaft der Sicherheit gäbe – Artikel 5 des Nato-Vertrages bliebe ja bestehen – auch zur Entspannung beitragen. Auch wenn die bis jetzt existierende europäische Sicherheitsordnung durch die russische Aggression zerstört wurde, sollten wir für die Zukunft planen.
Also müssen wir sehen, wie wir den Kalten Krieg in irgendeiner Weise moderieren. Aber letztlich muss die Antwort auf Ihre Frage zunächst einmal durch die Ukraine gegeben werden.
Verantwortungs- versus Gesinnungsethik
Nikolaus Blome schreibt auf Spiegel Online: "Selten war ein Konflikt derart kristallklar nach 'Gut und Böse« geschnitten. Und der Westen, Europa und Amerika, werden beweisen müssen, dass das Gute am Ende, schrecklich archaisch, 'stärker' ist als das Böse, das einen Namen durchaus trägt: Putin.' Teilen Sie diese Einschätzung?
Reiner Schwalb: Hier geht es meines Erachtens nicht um Fragen von Gut und Böse. Hier geht es vielleicht um Fragen von Verantwortungs- versus Gesinnungsethik. Dabei müssen wir uns die Frage stellen, was wollen wir und was will die Ukraine. Genießt Frieden die erste Priorität oder Freiheit. Will man Frieden in Freiheit sofort. Oder Frieden sofort und Freiheit später. Was wollen wir für welchen Teil der Ukraine? Was wollen die Ukrainer?
Zurückkommend auf die geäußerten Gedanken Präsident Selenskijs, die wegen der militärischen Probleme Russlands möglicherweise auf die Zustimmung von Präsident Putin stoßen könnten, stellt sich die Frage: Ist Frieden in Freiheit für Restukraine, ich sage einmal, ohne Krim und ohne Donbass, für die Westukraine, und andererseits Frieden unter russischer Herrschaft für Krim und Donbass für die Betroffenen wirklich eine Katastrophe oder wäre das für die Betroffenen nicht ein Schritt in eine bessere Zukunft?
Aus meiner Sicht ist ein Frieden – aus ganz persönlicher Sicht sage ich das – ist ein Frieden in Freiheit für Ukraine, wo dann nicht mehr geschossen wird, wo wir dann beim Wiederaufbau helfen würden, in welche Flüchtlinge zurück in ihre Heimat könnten, realpolitisch die am ehesten zu erreichende Möglichkeit.
Aber dahin kommt man nur, wenn die ukrainische Regierung diese Entscheidung selbst trifft und wenn man dann über einen Waffenstillstand als ersten Schritt sich diesem Ziel nähern kann. Letztlich muss Präsident Selenskij wählen zwischen Pest und Cholera – weiterkämpfen mit vielen Toten und weiteren Flüchtenden oder Eingehen auf einen erzwungenen Frieden.
Die Frage für ihn ist sicherlich, was hilft seinem Land und, was hilft den Menschen in seinem Land am besten. Für uns ist die Frage, wie stellen wir uns unter den jetzigen Rahmenbedingungen die Zukunft Europas vor und wie gehen wir in Zukunft mit Russland um?