Ukraine-Krieg: Die Welt braucht den Getreide-Deal
- Ukraine-Krieg: Die Welt braucht den Getreide-Deal
- WFP-Chef: Ein politisches Problem, das unbedingt vom Tisch gehört
- Auf einer Seite lesen
Ob man Russland liebt oder hasst, so WFP-Chef David Beasley, sei egal. Wenn die "Schwarzmeer-Getreide-Initiative" nicht verlängert wird, drohe eine humanitäre Katastrophe wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr.
"Ernährungssicherheit" gehört zum eher verharmlosenden, technokratischen Vokabular, dessen zugrundeliegende Realität man sich in den Wohnungen wohlhabender Ländern lieber nicht ausmalen möchte. Hinter dem politischen Stichwort für Reden und Appelle verbirgt sich eine Not, die an die Substanz des Lebens selbst geht: Hunger und die fast alles dominierende Unsicherheit darüber, woher die nächste Mahlzeit kommt, ob man sie sich noch leisten kann.
Die "Schwarzmeer-Getreide-Initiative" läuft in zehn Tagen aus. Ob sich Russland und die Ukraine über die Vermittlung der UN und der Türkei bis zum 19. März auf eine Verlängerung von ukrainischen Getreideexporten über das Schwarze Meer einigen können, hängt viel ab.
Millionen Kinder auf der ganzen Welt könnten von verheerendem Hunger bedroht sein, wenn die Schwarzmeer-Getreide-Initiative (…) nicht verlängert wird.
Save the Children
Nicht nur die nächste Generation, die in Ländern des Globalen Süden heranwächst, gehört zu den Verlierern der globalen Welleneffekte, die der Ukraine-Krieg ausgelöst hat, wie dies Telepolis-Redakteur David Goeßmann kürzlich berichtet hat (vgl. Gewinner und Verlierer des Ukraine-Kriegs).
94 Prozent der einkommensschwachen Länder (…) kämpfen derzeit mit einer Kostenexplosion, die zum Teil durch die Auswirkungen des Krieges auf die Lebensmittel- und Kraftstoffpreise begründet werden kann. Viele Menschen in armen Ländern sind von den ukrainischen Weizenexporten abhängig.
In den 20 Ländern, die laut der Beobachtungsliste des Internationalen Roten Kreuzes am stärksten von neuen humanitären Notsituationen bedroht sind, liegt die Inflation der Lebensmittelpreise bei fast 40 Prozent, so dass es für die Menschen noch schwieriger wird, ihre Familien zu ernähren, selbst wenn auf den Märkten Lebensmittel erhältlich sind.
David Goeßmann
UN-Generalsekretär António Guterres traf sich gestern mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew, wo beide die Verlängerung des Abkommens mit Russland forderten.
Ob Verhandlungsgespräche zur Verlängerung schon laufen, ist unklar. Der russische Präsident Putin telefonierte vor zehn Tagen mit Vermittler Erdogan, um dem türkischen Präsidenten zum Geburtstag zu gratulieren. Es war nicht das einzige Telefonat der beiden in jüngster Zeit, wie Tass meldet. Angeblich ging es generell um "aktuelle Themen der bilateralen Agenda".
Die beiden Staatsoberhäupter würden demnächst über die Schwarzmeer-Getreide-Vereinbarung reden, hieß es noch am 20. Februar in der regierungsnahen türkischen Zeitung al-Sabah. Seither nichts Neues über Gespräche, das spruchreif wäre.
Verhandlungspositionen
Bekannt sind grundlegende Positionen und Verhandlungsforderungen der beiden Kriegsgegner. Die Ukraine will, dass mehr Häfen in die Vereinbarung zum Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer aufgenommen werden, so etwa der Hafen in Mykolajiw.
"Moskau möchte, dass seine eigenen Agrarexporte und Düngemittel in das Getreideabkommen aufgenommen werden, was eine Voraussetzung für dessen Verlängerung ist", berichtet aktuell Politico.
Dort wird auf ein grundlegendes Problem verwiesen, dass Russland mit dem bisherigen Deal hat. Es betrifft Sanktionen, die den Export von russischen Düngemitteln schwer beeinträchtigen.
"Kein russischer Dünger, kein ukrainischer Weizen"
Das ursprüngliche Getreideabkommen vom Juli 2022 war, wie die aktuelle deutschsprachige Ausgabe der Le Monde diplomatique erinnert, mit einer Vereinbarung verknüpft, die gleichzeitig zwischen Moskau und der Uno getroffen wurde:
Demnach sollten auch die russischen Düngerexporte über drei Jahre lang weitergehen können.
Das entspreche allerdings nicht den Realitäten, heißt es aus Moskau. Beklagt werde laut dem Zeitungsbericht, dass russische Schiffe in Häfen festliegen, weil sie angeblich keine Erlaubnis zum Auslaufen erhalten, während ukrainische Frachter durch das Schwarze Meer fahren dürften.
Zudem werden die Düngerlieferungen in europäischen Häfen von den Behörden blockiert. Wie Moskau beklagt, halten Belgien, Lettland und Estland über 300 000 Tonnen Düngemittel aus Russland zurück, von denen ein Teil für arme Länder bestimmt sei. Deshalb kontern jetzt die Russen, wie ein Genfer Trader erzählt, mit der Drohung: "Kein russischer Dünger, kein ukrainischer Weizen."
Akram Belkaid, Le Monde Diplomatique
Die Sanktionen gegen Russland hätten zur Folge, dass Schiffsversicherungen und Finanziers vor Geschäften mit Russland zurückscheuen, wie die taz zum Düngerproblem ("Die Welt braucht Dünger. Russland produziert Dünger – und war 2021 der größte Exporteur") den Artikel aus der Monde diplo ergänzt.
Demnach schätzen "westliche Versicherer, Spediteure und Banken die finanziellen, rechtlichen und Reputationsrisiken" allem Anschein nach so hoch ein, dass sie lieber die Finger vom Handel mit russischen Agrarprodukten und Düngemitteln lassen.
Ferner wirft die Sprecherin des Außenministeriums der Russischen Föderation, Marija Wladimirowna Sacharowa, der Ukraine vor, dass sie Sanktionen gegen Transport- und Chemieunternehmen aus Russland und Belarus verhängt hatte, worunter auch Düngemittelfabriken fallen würden.
Laut einem dpa-Bericht, den auch das ZDF übernahm, soll Außenminister Sergej Lawrow seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu Anfang März übermittelt haben, dass die Initiative nur fortgesetzt werden könne, "wenn die Interessen der russischen Hersteller von Agrarprodukten und Düngemitteln besser berücksichtigt werden. Moskau will wieder Ammoniak zur Produktion von Düngemitteln auf den Weltmarkt bringen. Das ging früher vor allem über eine Pipeline durch die Ukraine, die jetzt gesperrt ist".