Ukraine-Krieg: Generalstaatsanwalt nennt sexuelle Gewalt "Element des Völkermords"

Betroffen sind vor allem, aber nicht ausschließlich Frauen. Bild: andsproject / Pixabay Licence

Kiewer Behörden gehen klar von systematischem Einsatz aus. Expertinnen halten das für schwer nachweisbar. Anweisungen von oben seien bei systematischer Straflosigkeit nicht nötig.

Wird sexuelle Gewalt von russischen Truppen systematisch als Mittel der psychologischen Kriegsführung eingesetzt? – Der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrej Kostin, dem 208 Opfer bekannt sind, geht klar davon aus: "Der systematische Einsatz sexueller Gewalt als Kriegswaffe ist eines der Muster von Massenverbrechen gegen die Zivilbevölkerung, die von den russischen Truppen in der Ukraine begangen wurden", erklärte er am Montag.

"Wir betrachten auch konfliktbedingte sexuelle Gewalt als Element des Völkermords", so Kostin. Schließlich würden diese Verbrechen oft gegen Familienangehörige von Militärangehörigen und Polizeibeamten sowie gegen Menschen begangen, die sich "pro-ukrainisch" positionierten, heißt es auf dem Telegram-Kanal der Strafverfolgungsbehörde. 13 der 208 aktenkundigen Opfer sind nach Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft minderjährig. 140 seien Frauen – die Dunkelziffer wird aber wesentlich höher geschätzt.

"Straflosigkeit ist eines der größten Probleme"

Expertinnen gehen aber davon aus, dass die Systematik schwer nachweisbar ist – aufgrund von Erfahrungen aus anderen Kriegen.

"Die Straflosigkeit ist eines der größten Probleme", sagte die Gynäkologin Monika Hauser, die mit misshandelten Frauen aus Kriegsgebieten arbeitet, in einem aktuellen Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung.

Es ist kaum nachweisbar, dass sexualisierte Gewalt angeordnet wurde. Selbst in Den Haag konnte in der Vergangenheit nur eine Handvoll Täter überführt und bestraft werden.


Monika Hauser, Gynäkologin

Krieg sei nahezu immer mit sexualisierter Gewalt verbunden, sagt sie. Sara Fremberg, Leiterin des Bereichs Kommunikation und Politik der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale, spricht einerseits davon, dass Russland im Ukraine-Krieg "gezielt" darauf setze. In einem Gespräch mit der Plattform T-Online erklärt sie aber auch:

Dafür braucht es in den meisten Fällen nicht mal eine Anordnung von oben. Offiziere und Befehlshaber schaffen eine Atmosphäre, in der sich Soldaten vor Konsequenzen sicher fühlen können.


Sara Fremberg, Medica Mondiale

Ähnliches hat die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin bezüglich sexualisierter Gewalt durch türkische Militärs uns "Sicherheitskräfte" vor allem in den kurdischen Landesteilen der Türkei schon vor Jahren berichtet: Straflosigkeit sei das Hauptproblem.

Rein völkerrechtlich stellt sich die Lage in der Ukraine anders dar – die russischen Truppen befinden sich auf fremden Staatsgebiet und die Kiewer Behörden haben ein klares Interesse, an Kriegsverbrechen beteiligte Russen vor Gericht zu stellen. Allerdings werden Gefangene beider Seiten auch häufig ausgetauscht. Soldaten, die nachweislich Kriegsverbrechen begangen haben, sind davon nicht grundsätzlich ausgeschlossen.