Ukraine-Krieg: Interne Dokumente belegen Scheitern von Berlin und Brüssel bei G20
Abschlusserklärung vermeidet Verurteilung Russlands. Vorab waren deutlichere Ziele anvisiert worden. Vor allem eine Bitte aus Brüssel hatte Indien einfach ignoriert.
Nach dem G-20-Gipfel in Neu-Delhi versuchen westliche Staaten einerseits und Russland sowie China andererseits, die Aussagen zum laufenden Krieg in der Ukraine in eigenen Sinne zu präsentieren. Die beteiligten Staaten hatten sich in der indischen Hauptstadt auf Formulierungen in der Abschlusserklärung geeinigt, die von beiden Seiten entsprechend ausgelegt werden können. Nach Dokumenten, die Telepolis vorliegen, wird nun aber klar: EU und Bundesregierung hatten eine deutlichere Verurteilung Russlands angestrebt – und sind damit gescheitert. Das betraf auch die Einladungspolitik der Gastgeber.
Zum Wochenstart bezeichnet es die Nachrichtenagentur dpa als eines der "Rituale internationaler Gipfel", dass auch die dünnsten Ergebnisse von den Teilnehmern am Ende als Erfolg verkauft werden. So habe Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einer kurzen Pressekonferenz mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) in Neu-Delhi am Samstagabend zehnmal "erfolgreich" oder "Erfolg" gesagt. "Als wenn er ihn herbeireden wollte", schob die Agentur ungewohnt süffisant nach.
Zuvor habe die Gruppe der führenden Wirtschaftsmächte etwas erreicht, was viele zwischenzeitlich schon fast abgeschrieben hatten: Eine Gipfelerklärung aller 20 Mitglieder. Darunter die USA, Deutschland, Japan oder Frankreich. Aber eben auch China und Russland.
Dass die Verhandlungen in die Nähe des Scheiterns gerieten, liegt an einer einzigen Frage: Wie beschreibt man das, was in der Ukraine passiert? Ob man nun Krieg "in" der Ukraine oder "gegen" die Ukraine sagt, ist schon von höchster Brisanz.
dpa
Tatsächlich hatten das Auswärtige Amt noch kurz vor dem Gipfel in Neu-Delhi an diesem Wochenende eine Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine als diplomatisches Ziel ausgegeben. Die Verurteilung der "russischen Aggression in G20-Gipfelerklärung von Bali 2022" sei ein "beachtlicher Erfolg" gewesen, hieß es in einem internen Dokument der EU-Koordinierungsgruppe des Auswärtigen Amtes, das Telepolis vorliegt. Ein vergleichbares Ergebnis wird dementsprechend als deutsches Verhandlungsziel beschrieben.
EU-Kommission scheitert mit weiterer proukrainischer Initiative
So recht schien man daran aber auch in Brüssel nicht mehr zu glauben. Wie aus einem weiteten, internen EU-Protokoll hervorgeht, hat der stellvertretende Generalsekretär der EU-Kommission, John Watson, sich über das Verhalten der indischen Ausrichter des Gipfels verhalten geäußert. Der "Ermunterung", der EU-Kommission, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einzuladen, sei Indien "bisher nicht nachgekommen", berichtete er bei einem letzten Abstimmungstermin Ende vergangener Woche.
Die EU betonte intern, dass dem Treffen "im geopolitischen Kontext große Bedeutung" zukomme. Indien wolle sich mit der Ausrichtung des Gipfels zudem profilieren – einerseits nach innen angesichts der anstehenden Wahlen, aber auch nach außen mit Blick auf die Beziehungen zu China.
Nach dem Gipfel ist auch für die dpa klar, dass Russlands Außenminister Sergej Lawrow "zurück auf der Bildfläche" ist. Anders als noch beim Bali-Gipfel habe er keinen Grund gehabt, das Treffen aus Protest vorzeitig zu verlassen. Lawrow habe von einer "ehrlichen und ausbalancierten" Erklärung gesprochen, heißt es in dem Agenturbericht, und weiter:
Am Sonntagmorgen steht er zusammen mit den Staats- und Regierungschefs an dem Ort, an dem der indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi 1948 kurz nach seiner Ermordung eingeäschert wurde, und legt einen Kranz nieder. Die Bilder von der Gedenkzeremonie sind der inoffizielle Ersatz für das traditionelle Familienfoto, das es seit dem russischen Angriff auf die Ukraine nicht mehr gibt. Auch auf Bali gab es ein solches Bild bei einem Spaziergang durch einen Mangrovenwald. Da war Lawrow schon weg. Jetzt ist er zurück auf der Bildfläche im Kreis der G20. Auch das dürfte ihm Genugtuung sein.
Die Ukraine kritisierte indes die Abschlusserklärung des G-20-Gipfels in Indien. Die gemeinsame Erklärung führender Industrie- und Entwicklungsländer zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine "ist kein Grund, stolz zu sein", schrieb der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko, auf X und Facebook.
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