Ukraine-Krieg: Ist die Nato-Osterweiterung der Kern des Konflikts?
Seite 2: Grundsätzlich andere Sichtweisen ganz zentraler Fragestellungen
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Berücksichtigt man die grundlegende Bedeutung des Themas der Nato-Osterweiterung für den russischen Angriff und reduziert den Kriegsgrund nicht einfach auf einen möglichen Imperialismus, ergeben sich generell andere Sichtweisen ganz zentraler Fragen.
Dann ist "die Entspannung (…) kein gescheitertes politisches Konzept. Gescheitert ist vielmehr eine Politik, die glaubt, auf Entspannung verzichten zu können und es notfalls auch auf einen Krieg ankommen zu lassen", wie Verheugen und Erler betonen.
Und es ist nicht der russische Angriff, der die Osterweiterung rechtfertigt, sondern ist auch die Sichtweise des Politikwissenschaftlers Richard Sakwa denkbar:
Die Nato-Erweiterung hat ein europäisches Sicherheitsdilemma ausgelöst, auf das Russland mit Gewalt reagierte. Der Krieg hat gezeigt, dass man die russischen Bedenken ernster hätte nehmen müssen.
Richard Sakwa
Die Anerkennung der fundamentalen Bedeutung der Nato-Osterweiterung bei der russischen Entscheidung zum Angriff – was selbstverständlich keine Entschuldigung für die Invasion sein kann, as gilt es zu betonen –, würde zu einer anderen Kriegsstrategie führen.
Während die Überzeugung, Russland handele ausschließlich aufgrund eines unstillbaren Imperialismus, einzig die Option des militärischen Widerstandes und der damit einhergehenden – aber unausweichlichen – Eskalationsgefahr offen lässt, eröffnen sich andere Möglichkeiten, wenn man das Thema der Osterweiterung berücksichtigt.
Denn dann gebe es zumindest denkbaren Spielraum für Verhandlungen und ein gewisses Potenzial für Kompromisse: etwa eine Nato-Sicherheitsgarantie für die Ukraine, womit diese ihr wichtigstes Ziel erreichen würde, und eine schriftliche Zusicherung an Russland, die Nato-Militärstützpunkte nicht auf das Territorium der Ukraine auszuweiten und dort ebenfalls keine Nato-Militärübungen stattfinden zu lassen, womit Russland vermutlich sein Hauptziel erreichen würde.
Blick zurück und Blick nach vorn
Selbstverständlich ist die Anerkennung des Problems der Nato-Osterweiterung für Russland nicht zwingend eine Garantie, dass mögliche Friedensverhandlungen zu einem diplomatischen Erfolg führen.
Eindeutig unterstrichen werden soll hier auch, dass aus dem Gesagten nicht gefolgert werden kann, dass russischer Imperialismus nicht auch zur Motivation beigetragen hat.
Dennoch ergibt sich eindeutig, dass das Verkürzen der Diskussion über den russischen Kriegsgrund auf Imperialismus und damit das Ignorieren der Osterweiterung Gefahr läuft, nicht nur die Ursachenforschung sträflich zu simplifizieren, sondern auch den Kriegsgrund nicht zu verstehen und damit letzten Endes auch mögliche Wege aus dem Krieg nicht erkennen zu können.
Das Thema der Nato-Osterweiterung und eines möglichen Versprechens seitens des Westens ist extrem kompliziert und keineswegs so eindeutig, wie oftmals wiederholt wird (und einen eigenen Artikel wert).
Davon unabhängig kommt Sarotte zu dem Schluss, dass die Osterweiterung, so wie sie konkret verlaufen ist, den Keim des Konflikts in sich trug. Sie fragt:
Wäre es angesichts der Tatsache, dass Russland, sobald es sich vom politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch erholt hat, aufgrund seiner Größe und seines Atomwaffenarsenals mit ziemlicher Sicherheit ein wichtiger Akteur bleiben würde, nicht besser gewesen, diesem Problem im Voraus vorzugreifen, indem man Moskau ein größeres Mitspracherecht und einen sicheren Platz in einer gemeinsamen Sicherheitsstruktur einräumt?
Die Antwort ist ein eingeschränktes Ja.
Mary Elise Sarotte
Vom Autor gibt es zum Thema ein dreiteiliges Feature im Deutschlandradio.
Teil 1: Wurzeln des Misstrauens
Teil 2: Samen des Misstrauens
Teil 3: Von Kooperation zum Krieg.
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