Ukraine-Krieg: Ist schon Offensive oder "nur" Kampf?
Russische Quellen berichten vermehrt, die Kiews angekündigte Frühjahrsoffensive habe schon begonnen. Bestätigte Erfolge gibt es nur begrenzt: bei Bachmut.
An der Front im Donbass ist das Geschehen aktuell mehr als unübersichtlich. Dementsprechend wird es auch von Analysten unterschiedlich beurteilt. Doch es mehren sich vor allem auf russischer Seite Meldungen, die von einem Beginn der seit Monaten angekündigten ukrainischen Gegenoffensive sprechen.
So berichtet beispielsweise der staatlich-russische Kriegsberichterstatter Jewgeni Poddubny auf seinem Telegram-Kanal aus der Umgebung von Bachmut von vorrückenden Ukrainern. Auch das russische Verteidigungsministerium spricht von einem ukrainischen Angriff auf einer Frontlänge von 95 Kilometern bei Soledar, an denen mehr als 1.000 Soldaten und bis zu 40 Panzer beteiligt gewesen seien.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte aber zuletzt gegenüber der BBC, dass die Vorbereitung der Offensive noch etwas Zeit in Anspruch nehmen werde und mehr westliche Waffen vor Ort benötigt würden.
Auch diese Aussage könnte pure Taktik sein, um solche Lieferungen zu beschleunigen. Angesichts der generellen Informationspolitik beider Seiten im Krieg muss man davon ausgehen, dass man vom tatsächlichen Beginn einer Offensive nicht auf Pressekonferenzen erfährt, sondern durch die Summe der Beobachtungen direkt an der Front.
Geländegewinne der Ukrainer bei Bachmut
Von dort berichten in Russland mittlerweile recht beliebte "Militärkorrespondenten", die jedoch, eingebettet in die eigenen Truppen, alle zur dortigen Fraktion der radikalen Kriegsbefürworter zählen.
Einer von ihnen, Alexander Simonow, freundschaftlich verbunden mit der Söldnertruppe Wagner PMC, bestätigte gestern Geländegewinne der Ukrainer an der nördlichen und südlichen Flanke der Prigoschins-Truppe im seit Monaten umkämpften Bachmut.
Es handele sich nach seinen Berichten jedoch um einen räumlich begrenzten Gebietsverlust von einigen Quadratkilometern jenseits der Stadtgrenze. Ähnlich beurteilt die Lage das US-amerikanische "Institute for the Study of War", das von bisher nur "begrenzten Angriffen" der Kiewer Truppen berichtet, die "geringfügige Fortschritte" gemacht hätten, da die russischen Einheiten vor Ort nur eingeschränkt kampfbereit seien.
Dass die dadurch beklagten russischen Gebietsverluste durchaus noch größer werden können, darauf weißt das neueste Video Prigoschins von heute hin. Er spricht dort von "bröckelnden Flanken" und einem "Durchbruch der Front" im Bereich russischer Regierungstruppen.
Ein weiterer russischer "Militärkorrespondent" beklagt im Zusammenhang mit der Kampffähigkeit das Fehlen von Panzerabwehrwaffen an der Front. Bestätigt ist, dass PMC Wagner die Stadt inzwischen zu 85 bis 95 Prozent kontrolliert. Abgelöst werden sollen die abgekämpften Söldner gemäß einem Bericht der Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta zumindest teilweise von tschetschenischen Einheiten des dortigen Machthabers Ramsan Kadyrow.
Munitionsmangel durch zu niedrige Produktion
Ein Problem, das Prigoschin für seine Söldner immer wieder beklagt, ist ein Mangel an Munition. Der russische Militärexperte Kirill Michailow spricht in der exilrussischen Onlinezeitung Media.Zona davon, dass hier eine zu niedrige Gesamtproduktion der Russen eine Ursache ist.
Er nicht glaubt daran, dass vorhandene Bestände den Wagner-Kämpfern vorenthalten werden würden. Michailow ist überzeugt, dass Prigoschin mit seinen Forderungen nur Erfolg haben könne, falls Putin selbst in seinem Sinne ein Machtwort spräche - denn mehr Munition würde anderen Einheiten weggenommen werden müssen. Überhaupt ziele Prigoschins Medienkampagne nur darauf ab, das Verteidigungsministerium in seinem Sinne zu erpressen.
Ob Prigoschin mit seinen ständigen harten Angriffen auf Regierungsfunktionäre bis zum Verteidigungsminister den ihm gesteckten Rahmen für Meinungsäußerungen doch überschritten hat, ist weiter umstritten. Inzwischen gibt es auch in russischsprachigen Medien zunehmend Meldungen, die darauf hindeuten.
Der Journalist und Kreml-Kenner Andrej Perzew von der exilrussischen Onlinezeitung Meduza will hierzu von seinen Quellen in der Präsidialverwaltung erfahren haben, dass man dort Prigoschins aktuelles Gehabe nicht als im Interesse der Regierung sähe.
Prigoschin behandle Bachmut wie ein persönliches Projekt, um seine Wagner-Truppe als wichtigste Kraft inszenieren zu können. Er habe damit laut Meduzas Quellen im Kreml rote Linien überschritten und das könne für ihn trotz guter Kontakte zu ernsten Konsequenzen führen.
Erfolgreiche Offensive wäre noch kein Kriegsgewinn
Während einige deutsche Journalisten durch die kommende ukrainische Offensive die Kiewer Truppen bereits unmittelbar vor dem "Endsieg" sehen, sind die meisten Experten vorsichtiger. In der Fachzeitschrift Foreign Affairs glauben die beiden Militärexperten Michael Kofman und Rob Lee selbst bei einem günstigen Ausgang nicht an eine baldige Beendigung des Ukraine-Krieges.
Der Westen müsse "sich auch auf die Aussicht einstellen, dass diese Offensive möglicherweise nicht die gleichen Erfolge erzielen wird, wie die erfolgreichen Operationen der Ukraine bei Charkow und Cherson". Damals, im Herbst 2022, hatten die Kiewer Truppen erhebliche Gebietsgewinne gemacht.