Ukraine-Krieg: Zahl der Deserteure erreicht neuen Höchststand

Ein ukrainischer Soldat steht vor einer Schlachtfeldszene mit Trümmern im Hintergrund

Die Zahl der ukrainischen Desertore hat ein neues Allzeithoch seit Kriegsbeginn erreicht

(Bild: Kutsenko Volodymyr/Shutterstock.com)

Zahl der ukrainischen Fahnenflüchtigen massiv gestiegen. Anhaltende Personalengpässe führen zu milden Strafen. Was bedeutet das für die Schlagkraft der Armee?

Die Ukraine verzeichnet eine alarmierende Zunahme an Deserteuren in den eigenen Streitkräften. Wie die Deutsche Welle unter Berufung auf die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft berichtet, wurden im ersten Halbjahr 2024 fast 29.800 neue Strafverfahren wegen Fahnenflucht eingeleitet. Dies übertrifft die Gesamtzahl des Vorjahres mit 24.100 Fällen und stellt eine deutliche Steigerung gegenüber 2022 dar, als die Zahl der Verfahren noch bei 9400 lag.

Hohe Dunkelziffer

Von den aktuellen Fällen betreffen 18.600 das unerlaubte Verlassen der militärischen Einheit und 11.200 den schwerwiegenderen Vorwurf der Fahnenflucht. Nach Aussagen von Offizieren und Juristen, die mit der Situation vertraut sind, könnten die tatsächlichen Zahlen jedoch um ein Vielfaches höher liegen.

Die Gründe für die langwierige Erfassung von Deserteuren sind vielfältig und reichen von bürokratischen Hürden bis hin zu einer ineffizienten Erfassung von Straftaten im militärischen Bereich.

Erschöpfung und emotionale Überlastung

Als Hauptgründe für die Desertionswelle nennt die DW die emotionale Überlastung und Erschöpfung der Soldaten, die oft lange Zeit ohne angemessene Erholung in Kriegsgebieten verbringen müssen, sowie die unzureichende Unterstützung durch die militärische Führung in familiären und sozialen Angelegenheiten.

Darüber hinaus würden einige Desertationsverfahren auch aufgrund formaler Fehler, wie Verzögerungen bei Geschäftsreisen, fehlerhafte Krankenhausdaten oder teilweise sogar Kontaktverlust mit Kämpfenden Soldaten gestartet, betonen zivile Rechtsanwälte.

Kiew verzichtet auf harte Strafen

Obwohl das ukrainische Recht für Desertion hohe Gefängnisstrafen von fünf bis zehn Jahren vorsieht, zeigt die Praxis, dass die Urteile je nach Fall und Gericht unterschiedlich und oft milde ausfallen. In einigen Fällen wurden Deserteure zu Haftstrafen verurteilt, doch häufig milderten die Richter die Strafen oder sprachen die Angeklagten frei, beispielsweise aufgrund von Reue oder familiären Umständen.

Angesichts des akuten Mangels an Soldaten kann es sich die ukrainische Führung nicht leisten, Deserteure mit den vorgesehenen hohen Gefängnisstrafen zu belegen. Aus diesem Grund hat das ukrainische Parlament einen Gesetzentwurf verabschiedet, der freiwillig zurückkehrenden Deserteuren eine straffreie Wiederaufnahme in den Dienst ermöglicht.

Auch die proaktive Ermittlung zur Identifizierung entsprechender Desertationsfälle findet kaum statt. In den vergangenen zweieinhalb Jahren sind laut Angaben der Behörden lediglich 628 Verdachtsfälle entdeckt worden.

Militärische Kapazitäten in Gefahr

Die Desertionswelle trifft die Ukraine in einer Zeit, in der sie angesichts des anhaltenden Konflikts mit Russland auf allen Ebenen um militärische Stärke ringt.

Nach fast 900 Kriegstagen stellt der Mangel an Soldaten angesichts der 1200 Kilometer langen Frontlinie im Osten und Süden des Landes ein ernstes Problem für die militärische Führung der Ukraine dar, das durch die hohe Zahl der Deserteure noch verschärft wird.