Ukraine: Krieg um die "Schwarze Erde"
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Im Weltpoker um Ressourcen steht aktuell der Brotweizen im Fokus. Hinter den Kulissen formieren sich die großen Player; Russland und China festigen ihre Handelsmacht.
Keine gute Prognose: Der Weizen wird weltweit knapper. Im Nachrichtenportal des Bayerischen Rundfunks (BR) äußert sich der Chef des Mischkonzerns BayWa aktuell zur Ernteprognose in der Ukraine, – das Unternehmen kauft und exportiert sowohl aus der Ukraine wie auch aus Russland Getreide und ist ein Mitspieler auf dem Weizen-Markt.
Sagen wir mal, wenn insgesamt 20 Millionen Tonnen am Weltmarkt fehlen, an Brotweizen, dann kann man das nicht eins zu eins einfach ersetzen.
Klaus Josef Lutz, BayWa-Vorstand,TAGFaFu
"Übermenschliches geleistet"
Gerade macht den ukrainischen Landwirten eine Trockenheit zu schaffen, wie es sie seit Jahren nicht gab. Zehn Millionen Tonnen werden wohl dürrebedingt ausfallen. In einigen Landesteilen, obwohl von akuten Kämpfen verschont, liegen die Ernteausfälle mitunter noch höher als in Landesteilen, die den Kriegshandlungen unmittelbar ausgesetzt sind.
Die Aussagen von BayWa basieren auf umfassende Erhebungen, die sich aus dem eigenen Geschäftsinteresse ergeben. Das Unternehmen handelt weltweit mit Getreide, Obst, Dünger und Landmaschinen. Es gebe beim Aufkauf von Weizen bereits ein Wettrennen zwischen den Schwellenländern, so der Vorstandschef Klaus Josef Lutz.
Er attestiert den Landwirten in der kriegsgeschundenen Ukraine, sie hätten Übermenschliches geleistet. Hätten die ukrainischen Bauern nicht unter Einsatz ihres Lebens Dünger und Pflanzenschutzmittel ausgebracht, wären die Saaten jetzt nicht in einem erntefähigen Zustand.
Prognosen aus dem All
Derzeit reifen dort 22,5 Millionen Tonnen Brotweizen für die Ernte heran, das sei ein Rückgang um 17 Prozent zum Schnitt der vergangenen vier Jahre, sagte Lutz bei einer Präsentation am vergangenen Donnerstag.
Die BayWa-Tochter Vista hat dem ukrainischen Landwirtschaftsministerium derweil exakte – und zwar bis auf 100 Quadratmeter genaue - Ernteprognosen für Weizen, Gerste und Raps kostenlos zur Verfügung gestellt. Basis sind Aufnahmen aus dem All:
Wir haben Hunderttausende von Satellitenbildern ausgewertet und einen digitalen Zwilling von der Landwirtschaft in der Ukraine gebaut.
Heike Bach, Gründerin und Chefin von Vista KStA Wirtschaft vom 2./3. Juli 2022, Printausgabe
Die Daten sollen helfen, die Lage realistisch einzuschätzen und die Ressourcen einzuteilen.
Zufall? Gerade die ertragreichsten Anbaugebiete befinden sich in den umkämpften Regionen. Wie die Satellitenbilder zeigten, so Heike Bach (Vista), gedeiht der Weizen ausgerechnet in der Ost-Ukraine optimal – dort, wo derzeit die heftigsten Kämpfe toben.
Jährlich werden in der Ukraine normalerweise über 60 Millionen Tonnen Getreide produziert, davon hauptsächlich Weizen, Mais und Gerste (Stand bis Anfang des Jahres). Mehr als die Hälfte der Produktion wird üblicherweise exportiert. Bei Zuckerrüben ist das Land einer der größten Produzenten Europas und bei den Ölsaaten Weltmarktführer. In der Südukraine ermöglichen lange Sonnenperioden teilweise zwei Ernten pro Sommer, hauptsächlich Obst und Gemüse.
Die Ukraine als flächenmäßig größter Staat in Europa verfügt über eine entsprechend große Anbaufläche. Ein Drittel aller "schwarzen Erde", die als der weltweit beste Boden gilt, ist hier zu finden. Das weckt Begehrlichkeiten. Hitler ließ das schwarze Gut mit Zügen zigtonnenweise aus dem Land nach Westen bringen. Der Poker der Weltmächte um die Kontrolle des Landes hat heute globale Dimensionen; er ist Teil des Spiels, bei dem es um Ressourcen und Erträge geht.
Lauter Hiobsbotschaften
Und diese Erträge könnten noch schlechter ausfallen als im Frühjahr angenommen. Unter anderem deswegen, weil auf etlichen Feldern Kriegsspuren wie Minen, Metallteile und grobe Verunreinigungen die Arbeit immer drastischer hemmen. Die Ernte habe bereits begonnen und werde bis Ende Juli andauern; erst in ihrem Verlauf werde sich zeigen, wie viele Felder tatsächlich befahrbar sind.
Zu diesen Hiobsbotschaften gesellen sich weitere Probleme. Sie betreffen zum Beispiel den Transport. Auf dem Seeweg aus der Ukraine geht wenig bis nichts. "Über Land fehlen Lkw-Fahrer und Lokomotivführer", so der BayWa-Chef gegenüber der Presse. Er lässt Zahlen sprechen.
So entspricht die Ladeleistung eines Schiffes der von 2.000 Lastwagen oder von 30 Güterzügen. Die Fracht auf dem Landweg wird auch deutlich teurer, wenn zum Beispiel Weizen per Lkw oder per Zug an baltische Ostseehäfen oder zum rumänischen Schwarzmeerhafen Constanta transportiert werden muss.
"Wir leben von der Hand in den Mund"
BayWa-Agrarexperte Jörg Migende fügt hinzu, der weltweite Verbrauch an Getreide liege schon in den letzten drei Jahren über der Produktion. Die Erntebilanz werde somit erneut negativ ausfallen, während die Lagerbestände schrumpfen:
Wir leben von der Hand in den Mund. Treiber sind die wachsende Weltbevölkerung, aber nicht nur, sondern auch die Verstädterung vor allem im südostasiatischen Raum.
BayWa-Agrarexperte Jörg Migende
Vor allem in Afrika drohe jetzt eine Katastrophe. Somalia und Benin etwa sind zu 100 Prozent auf Importe aus Russland und der Ukraine angewiesen. Im Vergleich: Ägypten zu 82 Prozent, der Sudan zu 75 Prozent, Tansania zu 64 Prozent. Knapp unter 70 Prozent liegen die Demokratische Republik (DR) Kongo (der zweitgrößte und an Bevölkerung der viertgrößte Staat Afrikas) sowie die westafrikanische Republik Senegal.