Ukraine: Wenn nur Russen im Krieg sterben

Seite 2: Gretchenfrage: Wie viele Russen, wie viele Ukrainer?

Das zeigt sich aktuell auch bei den neuen Daten-Auswertungen von Mediazona, einer Organisation, die mit der BBC zusammenarbeitet. Mediazona kommt auf 27.000 getötete Russen. Die mit Mediazona kooperierende Meduza, einer exilrussischen Internetzeitung, schätzt die Zahl eher auf 50.000. Beide Berichte geben keine Angaben zu den ukrainischen Verlusten.

Diese Schätzungen machten sofort überall Schlagzeilen im Westen. Wobei man sagen muss, dass frühere Angaben deutlich höhere Zahlen enthalten. Danach sollen, wie aus Großbritannien gemeldet wurde, bis zu 60.000 russische Soldaten im Krieg gefallen und bis zu 177.000 verwundet worden sein. Auf ukrainischer Seite sollen laut US-Angaben bis zu 17.000 Soldaten gestorben sein, während man von bis zu 110.500 Verwundeten ausgeht.

Sicherlich arbeiten die Berechnungen von Mediazona und Meduza sorgfältig mit den verfügbaren, öffentlich zugänglichen Daten. Allerdings blenden sie die andere Seite, die Ukraine, aus. Keine Auswertungen dazu.

Auch sind manche Behauptungen, die immer wieder in der Öffentlichkeit kursieren, wenig glaubwürdig. Dass Russen etwa in Kämpfen im Verhältnis zu Ukrainern im Verhältnis sieben zu eins getötet wurden, ist angesichts der Tatsache, dass Russland zehnmal mehr Artillerie abfeuert als die Ukraine, kaum denkbar.

Das ukrainische Verteidigungsministerium listet über 234.000 liquidierte Feinde auf (Stand Anfang Juli). Russland hat offiziell 6.000 Kriegsopfer seit Beginn des Krieges anerkannt. Ansonsten hüten die beiden Parteien ihre eigenen Verluste wie ein Staatsgeheimnis. Der US-Journalist Branko Marcetic hat in einem Artikel, der auf Telepolis erschien, auf die Leerstelle in der westlichen Sichtweise hingewiesen:

In der Berichterstattung werden die russischen Verluste stets in den Vordergrund gestellt und stark propagiert, während die ähnlichen und wohl noch verheerenderen Verluste der Ukraine weitgehend heruntergespielt werden.

Dabei muss man bedenken, dass die Bevölkerung der Ukraine, primär nach den großen Flüchtlingswellen, um ein Vielfaches kleiner ist als die Russlands. Auch wenn die russischen Verluste katastrophal sind, für die Ukraine haben sie noch schlimmere Auswirkungen.

Bei allem Kriegsnebel, bei aller offensichtlichen Instrumentalisierung von Kriegsopfern durch die involvierten Parteien, sollten wir nicht den Fehler begehen, unangenehme, dem politischen Wunschdenken widersprechende Daten auszublenden oder herunterzuspielen.

Die Medien haben die Aufgabe, vollumfänglich zu berichten. Durch Auslassungen und Herunterspielen das Publikum zu beruhigen, um Zweifel am Zermürbungskrieg sowie endlosen Waffenlieferungen ohne diplomatische Perspektive erst gar nicht aufkommen zu lassen, führt in eine gefährliche Sackgasse.

Die US-Amerikaner, Deutschen und Briten haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie hoch der Blutzoll der Ukrainer ist und wie es um diese auf dem Schlachtfeld steht. Wer über ukrainische Opfer nicht reden will, sollte auch über russische schweigen.