Ukraine lässt gegen den Willen des JIT MH17-Zeugen frei
Präsident Selenskyi setzt offenbar auf Normalisierung der Beziehung zu Russland zur Beendigung des Kriegs in der Ostukraine und riskiert damit die Unterstützung des Westens
Wir hatten schon von der Zwickmühle des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymir Seleskyi berichtet (Ukrainischer Präsident zwischen Russland und dem JIT). Kurz vor dem geplanten und von Selenskyi im Wahlkampf versprochenen Gefangenenaustausch hatte Russland plötzlich den vom ukrainischen Geheimdienst SBU aus der "Volksrepublik Donetsk" verschleppten Volodymyr Tsemakh auf die Liste der Auszutauschenden gesetzt und gedroht, den Austausch platzen zu lassen, falls Kiew dies nicht zulässt.
Der Austausch wurde vorerst auf unbestimmte Zeit verschoben. Tsemakh galt als wichtiger Zeuge für den Abschuss von MH17, aber wurde wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, also der "Volksrepublik Donezk", angeklagt. Allerdings hatte er in einem Video behauptet, dass die Separatisten ein ukrainisches Kampfflugzeug abgeschossen hätten, während eine weitere Maschine die MH17 abgeschossen habe, also nicht gerade etwas, was im Sinne der Ermittlungen des JIT wäre.
Kurz nach Bekanntwerden der russischen Forderung wandte sich der JIT-Leiter Fred Westerbeke an die ukrainische Regierung und forderte, Tsemakh nicht auszuliefern. Er müsse vernommen werden und sei nicht mehr nur Zeuge, sondern nach nicht mitgeteilten, angeblich neuen Erkenntnissen auch ein Verdächtiger. Selenskyi musste also entscheiden, ob er den Austausch umsetzen will, was bedeutet, Tsemakh nicht weiter zu inhaftieren und ihn nach Russland zu schicken, oder sich dem Druck der hinter den Ermittlungsergebnissen des JIT stehenden westlichen Regierungen beugen und riskieren, dass kein Austausch zustandekommt. Damit würden auch der Filmemacher Oleh Sentsov, der wegen Planung eines Terroranschlags verurteilt worden war, und die 24 fest gesetzten Matrosen nicht aus den russischen Gefängnissen freikommen, was in der Ukraine nicht gut ankäme. Vor allem aber würde Kiew damit riskieren, dass ein Ende des Kriegs in der Ostukraine in weite Ferne rückt.
Gestern hatte das ukrainische Berufungsgericht schnell entschieden, Tsemakh aus der Haft zu entlassen. Ob das Gericht hier wirklich unabhängig entschieden hat, ist ebenso ungewiss wie bei der Entscheidung, ihn nach der Verschleppung durch den Geheimdienst zu inhaftieren. Ob er ausgeliefert wird, wurde noch nicht mitgeteilt.
Der russische Präsident Wladimir Putin reagierte prompt und erklärte während des Östlichen Wirtschaftsforums in Wladiwostok und nach einem Treffen mit dem ukrainischen Oppositionspolitiker Viktor Medvedchuk, dass die Verhandlungen über den groß angelegten Austausch kurz vor dem Abschluss stünden. Das wäre ein guter Schritt in Richtung der Normalisierung der Beziehungen.
Wie zu erwarten war, kam Protest vor allem aus den Niederlanden. Der niederländische Außenminister Stef Blok erklärte, die Freilassung werfe "viele Fragen" auf. Man sei darüber in engem Kontakt mit den ukrainischen Behörden.
Tatsächlich ist schleierhaft, warum Moskau auf den Einschluss von Tsemakh beharrt. Geht es dabei um Informationen über den Abschuss der MH17, die Russland oder die prorussischen Separatisten belasten? Will man dem einen Riegel vorschieben, dass Mitglieder der Regierung der "Volksrepublik" als Terroristen verurteilt werden? Das würde eine friedliche Lösung des Kriegs enorm gefährden. So lange sich Moskau nicht äußert, wird der Verdacht eher sein, dass man mit Tsemakh etwas zu verbergen hat.
Malaysia will die Dokumente von Resch prüfen
Und es gibt für das JIT noch eine schlechte Nachricht. Der malaysische Ministerpräsident Mahathir Mohamed sagte gestern in einem Gespräch mit Ria Novosti, dass man bereit sei, die von Privatermittler Josef Resch angebotenen Dokumente über den Abschuss der MH17 anzuschauen. Weil man Zweifel an den Ermittlungesergebnissen des JIT habe, sei man bereit, jedem zuzuhören, der Beweise darüber hat, was wirklich passiert ist (Privatermittler Resch bietet JIT umfangreiches Beweismaterial zu MH17 an).
Resch hatte für einen unbekannten Auftraggeber jemanden gesucht und angeblich gefunden, der gegen 30 Millionen US-Dollar Beweise über die für den Abschuss Verantwortlichen oder 17 Millionen US-Dollar für die Behinderung der Aufklärung vorlegen konnte. Dem Informanten sollen dann 15,5 Millionen US-Dollar ausgezahlt worden sein, was darauf hindeutet, dass der Auftraggeber nicht vollständig zufrieden war. Resch hatte angedeutet, dass seine "Beweise" darauf hindeuten, dass die MH17 von einem Kampfflugzeug abgeschossen worden sei. Resch hat dem JIT angeboten, alle seine Informationen vorzulegen, allerdings nur öffentlich unter Beisein der Presse. Das hat das JIT bislang abgelehnt.
Resch schrieb auf Anfrage von Telepolis, Malaysia habe sich noch nicht gemeldet. Er gehe aber davon aus, dass Malaysia sich melden wird oder die Botschaft oder einen Anwalt beauftragt. Überdies ist Russland interessiert.
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