Ukrainischer Außenminister: "Wir sind die Menschen des Friedens"
Ein neutraler Blick auf den Krieg in der Ukraine bleibt schwierig, aber Einseitigkeit herrscht in westlichen Medien vor
In der Ostukraine drängen die ukrainischen Streitkräfte die Separatisten zurück. Die härtesten Kämpfe finden um Donezk und in der Nähe der Absturzstelle der MH17 statt. Kiew scheint entschlossen zu sein, die Absturzstelle einzunehmen, erklärt jedoch, wie der Sprecher des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andriy Lysenko, dass die "Terroristen" den Zugang für das internationale Expertenteam verhindert hätte. Die OSZE berichtet jedoch, dass die Kämpfe eine Anreise unmöglich gemacht hätten.
Der ukrainische Präsident Poroschenko hatte einen Waffenstillstand in einem Umkreis von 40 km um die Absturzstelle angekündigt, kurz darauf rückten die ukrainischen Streitkräfte mit Artillerie, Bodentruppen und Luftangriffen gegen von Separatisten kontrollierte Städte vor, die teils auch näher an der Absturzstelle liegen. Umkämpft oder bereits eingenommen sind die Städte Schachtjorsk und Tores, die ukrainischen Streitkräfte sollen auf Snezhnoye zumarschieren, wo angeblich die Separatisten mit einem Buk-Raketensystem die MH17 abgeschossen haben.
Die Strategie der ukrainischen Streitkräfte scheint zu sein, die Stimmung nach dem Abschuss des Passagierflugzeugs auszunützen, um möglichst schnell und mit schweren Waffen den Widerstand der Separatisten zu brechen. Warum es, abgesehen von strategischen Gründen, den Ring um Donezk weiter zu schließen, wichtig war, die Kämpfe an die Unglücksstelle heranzuführen und damit die weitere Untersuchung zu behindern, bleibt Spekulationen überlassen. Auffällig ist, dass die Interpretation, die Separatisten würden den Zugang verhindern wollen, nicht übernommen wird, auch wenn die Kritik am provokanten Vorgehen von Kiew wie gewohnt in den westliche Medien ausfällt. Lysenko erklärte, die ukrainische Armee sei der Absturzstelle nahe gekommen, "aber sie führe keine militärischen Aktionen aus". Wie das gehen soll, bleibt sein Geheimnis.
Auch der ukrainische Außenminister Klimkin erklärte, die ukrainischen Truppen würden keine Waffen verwenden, um die Absturzstelle einzunehmen, "weil sonst alle Spuren vernichtet werden". Für die Ukraine sei vor allem ein würdevoller Umgang mit den Toten des Absturzes wichtig. Und er greift tief in die rhetorische Kiste, wenn er sagt: "Wir sind die Menschen des Friedens, uns geht es um die Lösung des Konflikts, um die Menschen des Donbas, in Donezk und Lugansk, weil diese die Terroristen hassen."
Hört man hingegen Lysenko weiter, dann scheint es doch nicht um einen Vormarsch mit schweigenden Waffen zu gehen. Er erklärte am Montag, dass die ukrainischen Streitkräfte am Sonntag "offensive Operationen" in den von den "russischen Söldnern zeitweise kontrollierten Gebieten" ausgeführt hätten. So seien "Terroristengruppen" bombardiert worden, durch die viele Kämpfer getötet worden seien. Die Streitkräfte seien in Shakhtarsk, Torez und Lutuhine eingedrungen, die Kämpfe gingen weiter, um Pervomaysk und Snizhne zu befreien. Die Verluste scheinen allerdings groß zu sein, die Separatisten erklären, sie hätten die Angriffe zurückschlagen können.
Offensichtlich muss Kiew auf zwei Ebenen spielen. Einerseits geht es darum, Stärke und militärische Erfolge zu zeigen, andererseits soll demonstriert werden, dass man die Untersuchung an der Absturzstelle befördern will und rücksichtsvoll vorgeht. Entsprechend wird immer wieder behauptet, wie dies Lysenko auch wieder im Fall der umkämpften Stadt Horlivka macht, dass die Opfer unter den Zivilisten beim Beschuss durch Raketen und Granaten einzig den Separatisten anzulasten seien, die so tun, als wären die ukrainischen Streitkräfte schuld.
Im Gegensatz zu vielen westlichen Politikern und Medien versuchen die Vereinten Nationen, eine neutrale Stellung einzunehmen. Navi Pillay, die Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen, bezeichnete den Abschuss von MH17 als Kriegsverbrechen und die Berichte von Kämpfen um Donezk und Lugansk "extrem alarmierend". Beide Seiten würden schwere Waffen wie Artillerie, Panzer und Raketen einsetzen. Den bewaffneten Gruppen in der Ostukraine wird vorgeworfen, einen Zustand der Gesetzeslosigkeit herbeigeführt zu haben und ihre Macht über die Bevölkerung mit brutaler Gewalt auszuüben. Mehr als 800 Menschen seien verschleppt und inhaftiert, oft misshandelt worden. Menschen würden getötet/exekutiert und in letzter Zeit auch gezwungen werden, Gräben auszuheben oder in den Krieg zu ziehen.
Auch bei den ukrainischen Streitkräften gebe es willkürliche Inhaftierungen. Journalisten haben es auf beiden Seiten schwer, werden angegriffen, getötet, bedroht oder festgenommen. Mit den zunehmenden Kämpfen würden mehr Menschen getötet und verletzt und Gebäuden und Infrastruktur schwere Schäden zugefügt. Wo die ukrainische Regierung die Separatisten vertrieben hat, wird angemahnt, dass die Menschenrechte eingehalten werden und Strafmaßnahmen unterbleiben müssen, zumal wenn die Ukraine eine "demokratische und pluralistische Gesellschaft" werden soll. Es gebe schon mehr als 100.000 Menschen, die aus der Ostukraine wegen der Kämpfe innerhalb des Landes vertrieben worden seien. Mindestens 1.129 Zivilisten seien bis 26. Juli bei den Kämpfen getötet worden. Über die getöteten Kämpfer auf beiden Seiten gibt es keine verlässlichen Zahlen, da die Zahl der getöteten Feinde jeweils übertrieben und die der eigenen Opfer minimiert wird.
Der UN-Bericht warnt auch, dass mit der zunehmenden Gewalt im Krieg der Hass "dramatisch" angestiegen sei, "besonders in den Sozialen Netzwerken, aber auch auf Demonstrationen und bei Protesten und selbst im Parlament". Die antirussische Rhetorik habe mit den Angriffen auf russische Banken und Unternehmen zugenommen, weil diesen vorgeworfen wird, den Terrorismus zu finanzieren. Was der UN-Bericht rügt, ist allerdings auch der Kern und die Legitimation der Sanktionspolitik von EU und USA. Gewalt gibt es freilich nicht nur in der Ostukraine. So ist kürzlich der Bürgermeister von Kremenchuk getötet und eine Rakete auf das Haus des Bürgermeisters von Lviv (Lemberg) abgefeuert worden. Politik und Macht wird auch weiterhin mit Gewalt ausgeübt.
Nach den Vereinten Nationen sind zum Wiederaufbau in der Ostukraine mindestens 8 Milliarden UAH notwendig. Interessant ist, dass das Kabinett die geplante Wiederaufbauhilfe für den Donbas von 8 auf 3,3 Milliarden UAH gesenkt senken soll. Regierungschef Jazenjuk meinte, das würde reichen. Das ist Folge der Sparpolitik, schließlich ist das Land von der Pleite bedroht und hängt am Tropf des IWF. Die Kosten des Kriegs belasten den Staatshaushalt schwer. Erwogen wird bereits die Erhebung einer Kriegssteuer. Jazenjuk schlägt vor, mehr als 9 Milliarden UAH zusätzlich in die Streitkräfte zu stecken. Die Gesetzesvorschläge wurden bereits vom Parlament abgelehnt, was zur Auflösung der Regierungskoalition und zum Rücktritt des Regierungschefs geführt hat. Der aber hat die umstrittenen Gesetze dem Parlament wieder vorgelegt, darunter auch das Gesetz, das eine Privatisierung des Gasnetzwerkes zugunsten ausländischer Investoren vorsieht. Jazenjuk verkauft dies als Vorhaben, das Russland am meisten ängstigen würde.
Und es geht auch der Streit um die Informationshoheit weiter. Wie zu erwarten, erklärt das russsiche Verteidigungsministerium die von den USA vorgelegten "Beweise" für den Beschuss von ukrainischen Stellungen aus Russland als Fälschung. Die Authentizität der Satellitenbilder könne nicht überprüft werden. Sie seien sehr unscharf, es gebe auch keine Hinweise, wann sie aufgenommen wurden. Dem Sprecher des Verteidigungsministeriums zufolge geht es um ein perfides Spiel. US-Berater im Gebäude des Sicherheitsrats, geführt von General Randy Kee, würden solche Fälschungen machen, und sie dann den ukrainischen Medien zustecken. Dann würden sie von US-Regierungsmitarbeitern übernommen und als Statements veröffentlicht werden. Die Informationen würden dann als "objektiv" gelten. Aber das berichtet Russia Today, kein Garant für Objektivität.
Allerdings wachen nun auch amerikanische Medien wie die New York Times auf und zeichnen ein objektiveres Bild von den Kämpfen in der Ostukraine. Da mögen die bösen Banden sein, in denen auch russische oder tschetschenische Männer tätig sind, aber es gibt eben auch viele Bewohner der Ostukraine, die der Regierung in Kiew ablehnend gegenüberstehen, auch wenn sie nur Separatisten sind, aber sich nicht für einen Anschluss an Russland aussprechen. Ein unabhängiger Donbas bleibt ein Traum, aber sicherlich wird ein militärisch erzwungener Wiederanschluss an die Ukraine dem Land auf viele Jahre hinaus keinen Frieden bescheren.