Umwelthormone: Nur ein moderner Mythos?

Seite 3: Ein Fall für Sigmund Freud

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Doch von der einmal vorgegebenen Marschrichtung ließ man sich bei der EFSA auch durch den WHO/UNEP-Bericht nicht abbringen.

Für Kritiker ist das eine Abkehr vom Prinzip evidenzbasierter Politikgestaltung, hin zu politikbasierter Evidenzgestaltung. Bei offiziellen Stellen wiederum trägt diese Sicht der Dinge Züge einer Verschwörungstheorie.

Die seit 2009 angesammelten neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Krankheiten und Exposition im Zusammenhang mit ED finden zwar in einer im Juni 2016 publizierten Folgenabschätzung der Politikoptionen durch die EU-Kommission Erwähnung, werden dort aber als kontrovers interpretierbar eingestuft.

Die EU-Kommission stützt sich in ihrem abwertenden Resümee vorliegender Studien auf "kritische Kommentare" zum WHO/UNEP-Bericht, die 2014 erschienen. Sieben der zehn kritischen Autoren arbeiten in Beratungsunternehmen, die auf "Produktverteidigung" spezialisiert sind. Als Sponsoren des Artikels werden Interessenverbände der Industrie aufgeführt: American Chemistry Council, CropLife America, CropLife Canada, CropLife International, der Verband der Europäischen chemischen Industrie (Cefic), und die European Crop Protection Association (ECPA).

Ein anderer zitierter Artikel beschreibt ED als urbane Legende, von der imaginäre Gesundheitsrisiken ausgingen. Die Autoren lassen die Leser an einer besonderen Beobachtung teilhaben: Würden nicht Begriffe wie die mit ED in Verbindung gebrachte Feminisierung von Männern, eine reduzierte Penislänge und -größe oder eine abnehmende männliche Fruchtbarkeit vor allem männliche Vorstellungen und Empfindlichkeiten bedienen? Denn im Grunde genommen sind die meisten Forscher auf dem Gebiet der ED Männer - und, wichtiger noch: ebenso die Politiker, die die Forschungsgelder verteilen. Ein bloßer Zufall? Man solle sich daher fragen, ob die gesamte ED-Thematik nicht eher in den Zuständigkeitsbereich von Dr. Sigmund Freud gehöre als in den der Toxikologie.

Studien zu Folgekosten

Von der Endocrine Society gesponserte Studien zur Abschätzung von Folgekosten für die Gesundheitssysteme der USA und der EU waren Zielscheibe von Angriffen der Interessenverbände der chemischen Industrie, hier zum Beispiel vom American Chemistry Council vorgetragen, der Haupthandelsorganisation der chemischen Industrie in den Vereinigten Staaten, in deren Augen die Autoren der Studien trotz ungezwungener Gleichgültigkeit gegenüber wissenschaftlichen Grundsätzen ein hartnäckiges Streben nach Schlagzeilen an den Tag legten.

Die gesundheitlichen Folgekosten von endokrinen Disruptoren in der EU werden dort mit rund 157 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt. Die geschätzten Kosten werden der Studie zufolge fast ausschließlich durch eine Verringerung des Intelligenzquotienten und durch geistige Behinderungen auf Grund vorgeburtlicher Einwirkungen von Agrarchemikalien auf der Basis von Organophosphaten verursacht.