Umwelthormone: Nur ein moderner Mythos?
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Das Gefährdungspotential für den Menschen ist umstritten - Endokrine Disruptoren, die EU und der Freihandel - Teil 1
Als endokrine Disruptoren (ED) gelten Chemikalien, die die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen beeinflussen - mit schädlichen Folgen. Sie können beispielsweise Wachstum und Entwicklung stören, zu erhöhten chronischen Krankheitsbelastungen wie Fettleibigkeit und Diabetes mellitus beitragen und außerdem zu Beeinträchtigungen der Funktionen der Fortpflanzungsorgane und der Schilddrüse führen.
Die Geschwindigkeit, mit der die Zahl der Krankheitsfälle über die vergangenen Jahrzehnte zunahm, schließt in den Augen der Wissenschaftler genetische Faktoren als einzige plausible Erklärung aus. Experimentelle Beobachtungen deuten darauf hin, dass Chemikalien Hormonsignale stören und so das Timing von Pubertät, Fruchtbarkeit und Menopause beeinflussen können.
Diese und weitere Gesichtspunkte sind zu einer international anerkannten wissenschaftlichen Definition dieser Stoffe zusammengefasst, die mit dem Bericht "Global Assessment of the State-of-the Science of Endocrine Disruptors" von der Weltgesundheitsorganisation WHO und dem International Programme on Chemical Safety (IPCS) im Jahre 2002 publiziert wurde.
Was endokrine Disruptoren hingegen im regulatorischen Sinne sind, ist Gegenstand anhaltender wissenschaftlicher und politischer Debatten. Bisher gibt es keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Die im Umlauf befindlichen Definitionen unterscheiden sich im Wortlaut und in ihren Folgen für regulatorische Prozesse.
In den letzten Jahren wurde eine beträchtliche Menge neuer Erkenntnisse zusammengetragen, mit zum Teil durchaus besorgniserregendem Charakter. Doch die Politik tut sich schwer, dieses Wissen in die Gesetzestexte zur Regulierung von Chemikalien einfließen zu lassen. Im Dezember 2015 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen einer Untätigkeitsklage entschieden, dass die EU-Kommission mit ihren fortgesetzten Stehversuchen gegen einschlägige EU-Rechtsvorschriften verstoßen hat. Denn eigentlich sollten bis Ende 2013 einheitliche Kriterien zur Bestimmung endokrinschädigender Eigenschaften festgelegt worden sein: Gesetze und Verordnungen benötigen eine klare Sprache, um zu umreißen, was wie geregelt werden soll.
ED-Poster Boy: Bisphenol A
Bisphenol A (BPA) ist einer der bekanntesten ED-Vertreter. In den Nachrichten tauchte BPA immer wieder im Zusammenhang mit Gebrauchsgegenständen und der Nahrungszubereitung von Kleinkindern auf, zum Beispiel erst jüngst in einer Meldung des Nachweises von BPA in als BPA-frei deklarierten Beißringen, oft im Verein mit anderen potentiellen ED.
Als erstes Land hatte Kanada 2008 BPA offiziell als gesundheitsschädlich eingestuft und aus Babyflaschen verbannt. Andere Länder folgten. Seit 2011 sind Produktion und Verkauf von Babyflaschen aus BPA-haltigem Polycarbonat in der EU verboten, die USA zogen 2012 nach. Doch der Bann wurde nicht auf andere Behältnisse ausgeweitet, BPA galt für diese Anwendungen weiterhin als sicher.
In ihrer Neubewertung von BPA kam die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) 2015 zum Schluss, dass von der Substanz keine Gesundheitsgefährdung für die Verbraucher ausginge, da die gegenwärtige Exposition zu gering sei, um Schädigungen hervorzurufen - selbst bei der Aufsummierung von Einträgen aus allen möglichen Quellen wie Lebensmittelverpackung, Kosmetika, Staub und Thermopapier würde eine postulierte sichere Obergrenze nicht überschritten.
Ende Dezember 2016 beschloss das Komitee der Mitgliedsstaaten der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), BPA wegen seiner Toxizität auf die Fortpflanzung als besonders besorgniserregenden Stoff (SVHC) auf die REACH-Kandidatenliste zu setzen.
Bei dieser Gelegenheit ebenfalls in die Liste aufgenommen: die ED 4-Heptylphenol, 4-tert-Pentylphenol und 4-tert-Butylphenol. Die gelisteten Substanzen können nun unter Umständen zulassungspflichtig und nach einem Ablaufdatum nur noch nach stattgegebenem Zulassungsantrag verwendet werden - zumindest theoretisch. Denn in der Praxis setzt die EU-Kommission die Empfehlungen zur Zulassungspflicht immer seltener um.