Umwelthormone: Nur ein moderner Mythos?

Seite 2: Macht die Dosis noch das Gift? Niedrigdosen und "nicht-monotone" Dosis-Wirkungs-Beziehungen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein weiteres Ergebnis der EFSA-Neubewertung war die Schlussfolgerung, dass die vorliegenden Daten keine Beweise dafür lieferten, dass BPA "nicht-monotonen" Dosis-Wirkungs-Beziehungen bei Gesundheitseffekten folgen würde.

Unregelmäßige Dosis-Wirkungs-Beziehungen bei ED sind seit Jahren umstritten, ebenso wie Hypothesen zu Wirkungen niedriger Dosen und deren biologischer Relevanz. Der Aufklärung der Gültigkeit dieser Hypothesen kommt eine entscheidende Rolle beim Verständnis der Wirkung von ED zu. Denn sollten sie sich beweisen lassen, stünden Umwälzungen bei grundlegenden Konzepten der Toxikologie und der Risikobewertung ins Haus.

Das natürliche Sexualhormon Estradiol (links) und ein strukturell ähnlich gebautes Nonylphenol-Isomer (rechts). Bild: Bernd Schröder

Niedrige Konzentrationen reichen wie bei anderen bekannten ED aus, um hormonell wirksam zu sein. So lassen wenige Mikrogramm pro Liter Nonylphenol in Labortests nur weibliche Nachkommen bei Fischen heranwachsen. Außerdem wurden Änderungen im Verhalten beobachtet.

Nonylphenole kommen in Form ihrer Ethoxylate in Seifenprodukten vor und sind nach dem Abbau zu Nonylphenolen im Klärwerk eine häufig angetroffene Verunreinigung in Wasserläufen. Sie sammeln sich in den Mündungsgebieten der Flüsse an, die typischerweise die Kinderstube schwarmbildender Fische sind. Nonylphenol und verwandte Chemikalien sollen die Kommunikationsfähigkeit der Fische untereinander blockieren und so die Schwärme aufbrechen - schon bei Konzentrationen, wie sie etwa in der Nähe von menschlichen Siedlungen zu erwarten sind. In der EU sind Nonylphenole und verwandte Ethoxylate in zahlreichen Verwendungen mittlerweile verboten, Nonylphenol ist im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie als prioritär gefährlicher Stoff eingestuft. In den USA unterstützt die EPA einen freiwilligen phasenweisen Ausstieg. In Asien und Südamerika ist Nonylphenol in kommerziellen Waschmitteln noch weit verbreitet.

Bei offiziellen Stellen wurden bisher keine Indizien dafür gefunden oder anerkannt. Folglich sieht man auch keine Notwendigkeit, ED anders zu handhaben als andere Substanzen mit Gesundheits- oder Umweltbedenken. Wie ein Le Monde-Artikel vom November 2016 illustriert, wurde dieser Ansatz als Leitmotiv in Stein gehauen: Diese Schlussfolgerung eines Meinungsbeitrags der EFSA aus dem Jahre 2013 soll Brüssel als Grundlage zur Regulierung von ED dienen, die nun im Zuständigkeitsbereich der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der EU-Kommission liegt.

Nicht nur die EU-Mitglieder Frankreich, Dänemark und Schweden sträuben sich dagegen, es gibt außerdem Widerstand von NGOs und Fachwissenschaftlern, wie etwa von der Endocrine Society. Dabei besteht die EU-Kommission darauf, von wissenschaftlichem Rat geleitet zu werden - von dem der EFSA. Bei Le Monde erklärt man diesen Widerspruch nach Sichtung vorliegender Unterlagen damit, dass der Schlüsselsatz, um den sich das geplante Regulierwerk der Kommission rankt, bereits vorher niedergeschrieben war - noch bevor die Arbeit an einer wissenschaftlichen Expertise begonnen hatte.

Fluoxetin, der Wirkstoff von Prozac oder Fluctin. Das Antidepressivum ist das in den USA am dritthäufigsten verschriebene Medikament und wird vermehrt in Wasserläufen nachgewiesen. Mittlerweile ist neben Bioakkumulation und Verhaltensänderungen in aquatischen Lebewesen auch das ED-Potential von Pharmaprodukten wie Fluoxetin Gegenstand der Forschung geworden. Bild: Bernd Schröder

Der 2013 kurze Zeit vor dem Meinungsbeitrag der EFSA erschienene gemeinsame WHO/UNEP-Bericht schätzte eine herkömmliche Risikobewertung im Falle endokriner Disruptoren als ungeeignet ein. Vielmehr sieht der Bericht diese Verbindungen als eine globale Bedrohung, für die eine Lösung gefunden werden müsse.

Seit dem zehn Jahre zurückliegenden WHO/IPCS-Bericht waren neue Gesichtspunkte hinzugekommen, wie etwa über Generationen weitergereichte Effekte, komplexe Wirkungen von ED-Cocktails oder neu entdeckte Wege, über die ED auf den Menschen und seine Umwelt einwirken. Die Studie geht von bis zu 800 bekannten Substanzen mit ED-Potential aus. Die Nonprofit-Organisation TEDX kommt auf fast 1000 Verbindungen. Weitere Listen sind im Umlauf. Bisher wurden nur wenige dieser Substanzen Tests unterzogen, die endokrine Effekte in Organismen belegen können.

Methoxychlor war einst als DDT-Ersatz gedacht, wurde aber mittlerweile wegen seiner akuten Giftigkeit, seiner Anreicherung im Fettgewebe sowie aufgrund seines ED-Potentials als Pestizid in der EU und in den USA verboten. Bild: Bernd Schröder