"Und wenn's dann brennt, sollen wir Geld und Waffen liefern..."

Seite 2: Überschätzen sich die USA?

Sie beschreiben die Außenpolitik der USA während der letzten Jahrzehnte vor allem als eine Geschichte der Misserfolge, als ein Scheitern. Liegt das an dem Innenpolitischen, das wir vorher beschrieben haben, oder liegt es an einer falschen Orientierung der US-Außenpolitik?

Klaus von Dohnanyi: Ich glaube, die USA sind innenpolitisch dominiert von dem Gedanken, sie seien etwas Besseres als alle anderen Staaten der Welt. Sie seien "The city on the hill" – das ist gewissermaßen eine Assoziation mit dem alten Jerusalem – und sie seien beauftragt, die ganze Welt zu retten, und auf amerikanische Weise zu beglücken.

Das ist eine Grundstimmung in den USA, die sie immer wieder dazu führt, in der ganzen Welt einzugreifen, mit dem Ziel, den Leuten doch erstmal beizubringen, wie man richtig leben sollte. Das ist das Problem, an dem die USA so oft gescheitert sind.

Denn man kann eben Ägypten nicht regieren wie Wisconsin. Und man kann auch in Ägypten, in Iran oder Vietnam nicht so leben, wie man in den USA leben kann. Ganz andere Bedingungen, ganz andere Voraussetzungen.

Da glaubte George W. Bush, wenn Saddam Hussein weg ist, haben wir Demokratie im Irak. Das beruht auf einem tiefen Missverständnis, wie verschieden die Menschen in der Welt verankert und kulturell geprägt sind. Das galt auch für Syrien und für Afghanistan.

Überschätzen sich die USA? Es gab ja schon vor über 30 Jahren die Theorie des "Imperial Overstretch" von Paul Kennedy. Theoretiker wie er warnen ja davor, jeden Bereich der Welt ordnen und bestimmen zu wollen.

Klaus von Dohnanyi: Wahrscheinlich überschätzen sich die USA. Sie sind eben die einzige Nation, die sich berechtigt fühlt, auch moralisch besser zu sein als der Rest der Welt. Und mit dieser Selbstüberzeugung haben sie auch viel erreicht. Aber aus dieser Quelle stammen eben auch viele ihrer Fehlschläge.

"Die Nato wird heute zu einseitig von den USA bestimmt"

Das führt uns auf das Verhältnis von Europa zu den USA. Was sind aus ihrer Sicht die Chancen und die Gefahren der sogenannten transatlantischen Partnerschaft. Wir Europäer brauchen mehr Eigenständigkeit, dafür plädieren sie ja in ihrem Buch. Wie soll die aussehen?

Klaus von Dohnanyi: In erster Linie müssen wir offen mit den USA über die unterschiedlichen sicherheitspolitischen Gegebenheiten reden. Geografie bedeutet eben auch Sicherheit und die USA leben mehr als 8.000 Kilometer von Kiew entfernt, die Grenzen der EU aber stoßen an die Grenzen der Ukraine.

Es ist folglich ein Unterschied, ob man einen Krieg in Europa aus der Ferne Washingtons beobachtet, oder ob man ihn aus der Nähe von Berlin erlebt. Doch hierüber wird nicht geredet. Es wird so getan, als habe die Nato und damit die Führung der USA ein umfassendes und gleiches Sicherheitsinteresse wie Deutschland oder die EU. Und das ist unlogisch und einfach falsch.

Mein Ansatz ist: Europa muss seine Stimme in der Nato deutlicher erheben. Merkel und Sarkozy haben das ja 2008 in Bukarest gemacht, als sie widersprochen haben, dass die Ukraine in die Nato aufgenommen wird. Und Gerhard Schröder tat das, ebenfalls an der Seite Frankreichs, als die Bush-Regierung uns in den völkerrechtswidrigen Irakkrieg hereinziehen wollte. Ich verstehe nicht, warum gegenwärtig immer nur über angebliche Fehler deutscher Politik lamentiert wird.

Viel öfter hätte doch in der Nato ein Veto von Europa, insbesondere von Deutschland und Frankreich, kommen müssen, wenn wir sahen, dass Entscheidungen nicht in eine für uns sichere und positive Richtung gehen könnten.

Die Nato wird heute zu einseitig von den USA bestimmt, die eben von europäischen Gefahren durch tausende von Kilometern und den Atlantik sicher getrennt sind. Darüber müsste endlich und grundsätzlich in Deutschland offener geredet werden. Es ist doch so offensichtlich!

USA: "faktisch die entscheidende Macht in Osteuropa"

In Ihrem Buch erklären Sie: "Deutschland und Europa sind heute in Fragen der Sicherheit und der Außenpolitik nicht souverän. Es sind die USA, die hier in Europa die Richtung vorgeben."
Welche Möglichkeiten haben wir, um souveräner zu handeln? Tun wir das nur aus einer Selbstbescheidung heraus nicht, oder muss ich mir vorstellen, dass es bestimmte Kommunikationsstrukturen gibt, die vielleicht nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, in denen ein ganz anderer Druck ausgeübt und eine ganz andere Abhängigkeit geschaffen wird?

Klaus von Dohnanyi: Ich glaube, ein ganz entscheidender Punkt ist, dass wir Deutschen immer denken, die Mitgliedstaaten der EU hätten gemeinsame Sicherheitsinteressen. Aber das ist doch offenbar nicht der Fall. Die baltischen Länder sind um ihre Sicherheit zu Recht besorgt, lassen aber keine Gelegenheit aus, um das gefährliche Russland (oder sein verbündetes China!) auch sinnlos zu provozieren; meist, wie Litauen, um damit den USA zu imponieren.

Aber wenn wir in Deutschland die Lage anders beurteilen, wird nicht offen und neugierig mit uns debattiert, sondern man unterstellt uns "Putinverständnis" oder eine Art Weichei-Politik. Und wenn's dann brennt, sollen wir Geld und Waffen liefern. Die Interessen sind eben auch innerhalb Europas unterschiedlich oder werden unterschiedlich verstanden.

Die USA haben erreicht, dass sie faktisch die entscheidende Macht in Osteuropa sind, das heute eindeutig im Sog amerikanischer Interessen regiert wird. Als Deutschland oder Frankreich den Versuch machten, direkt mit dem gefährlichen Nachbarn Russland zu reden, widersprachen diese Länder und von den USA, die doch eigentlich am Frieden in Europa interessiert sein sollten, kam keine öffentlich Ermunterung für das Gespräch. Wie soll Deutschland da Europa zusammenhalten?

Wir müssen eben begreifen: Auch in Europa gibt es unterschiedliche Sicherheitsinteressen. Und da müssen die Länder, die ihre Politik für richtig halten, diese Politik auch selbstbewusst vorantreiben; auch die Bundesrepublik. Litauen und Polen tun das ja auch! Deswegen gab und gibt es weder für Bundespräsident Steinmeier noch für Frau Merkel irgendeinen Grund zur Entschuldigung.

Nur wäre es gut, man würde das auch mal von der jetzigen Bundesregierung hören, schließlich war die größte Ampelpartei ja lange genug dabei!