Und wieder kippt das Bankgeheimnis
Beim EU-Gipfel in Brüssel wurden alte Versprechen zur Steuergerechtigkeit neu verpackt - doch Luxemburg und Irland stellen sich quer
Normalerweise finden im Mai keine EU-Gipfel statt. Und eigentlich sollte es beim Brüsseler Spitzentreffen am Mittwoch auch gar nicht um Steuerpolitik gehen. Ratspräsident Herman Van Rompuy wollte über ein ganz anderes Thema sprechen - die Energiepolitik und ihren Beitrag zur "Wettbewerbsfähigkeit" Europas. Der Belgier mag es gern grundsätzlich; das vierstündige verlängerte Mittagessen wollte er zu einer Aussprache über hohe Strom- und Gaspreise und die Segnungen des (immer noch nicht funktionsfähigen) Energiebinnenmarktes nutzen.
Dass es anders kam, lag an Uli Hoeneß, Tim Cook und den Offshore-Leaks. Die nicht abreißende Liste der Skandale und Enthüllungen über Steuerbetrüger und Steuerparadiese zwang die EU, aktiv zu werden. Man wolle ein Zeichen für Steuergerechtigkeit setzen, hieß es vor dem Gipfel in Brüssel. Dass das Thema heiß werden könnte, hatte zuvor schon die Abwicklung des Steuer- und Geldwäscheparadieses Zypern gezeigt. Am Tag vor dem Gipfel kam auch noch die US-Anhörung zum Steuersparmodell des Computerriesen Apple in Irland hinzu. Plötzlich war das Thema groß geworden.
Großartig sind - folgt man der offiziellen Darstellung - auch die Ergebnisse des Treffens. "Das ist beispiellos", sagte Gipfelchef Van Rompuy. Von einem "Durchbruch" und einer "völlig neuen Situation" sprach Kanzlerin Angela Merkel. "Das ist ein schlechter Tag für Steuerbetrüger", triumphierte Österreichs Kanzler Werner Faymann. Die Nachrichten-Agenturen meldeten prompt das "Ende des Bankgeheimnisses" und die "Jagd auf die Steuertricks der großen Konzerne". Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise gebe es kein Pardon für Steuersünder mehr.
Schön wär‘s. Tatsächlich könnten die EU-Staaten die geschätzte Billion Euro, die ihnen jährlich durch Steuerbetrug durch die Lappen gehen, gut gebrauchen. Von dem Geld ließen sich alle EU-Ausgaben von 2014-2020 finanzieren, die Summe entspricht etwa dem neuen EU-Budget. "Würden tatsächlich sämtliche anfallenden Steuern eingetrieben, könnten die Schulden aller europäischen Staaten innerhalb eines Jahrzehnts getilgt werden", sagte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD) - und forderte die EU-Granden auf, bis 2020 wenigstens die Hälfte der fehlenden Steuereinnahmen einzutreiben.
Wirkliche Fortschritte gibt es nicht
Doch daraus wird nichts. Der Gipfel setzte sich weder das Ziel, die Finanzlöcher der Mitgliedstaaten zu stopfen, noch stellte er eine Liste der Steuerparadiese auf, wie dies das Europaparlament gefordert hatte. Streng genommen fasste er überhaupt keine Beschlüsse. In den Schlussfolgerungen wird lediglich das Ziel genannt, bis zum Jahresende die Verschärfung des Zinsbesteuerungsrichtlinie abzuschließen. Im Klartext: Alle 27 EU-Staaten sollen nicht nur Informationen über Zinseinnahmen bei Banken automatisch austauschen, sondern auch über Investment- und Pensionsfonds, andere Finanzinstrumente sowie Zinszahlungen von Stiftungen Rechenschaft ablegen.
Der EU-Gipfel im Dezember soll dann über die erhofften "Fortschritte" befinden. Doch die zeichnen sich bisher nicht ab, ganz im Gegenteil: Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker machte seine Zustimmung davon abhängig, dass auch Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz, Liechtenstein, Andorra, Monaco und San Marino mitziehen. "Wenn diese Ergebnisse vorliegen, dann werden wir schnell zu Entscheidungen kommen. Im Grundsatz sind wir mit der Erweiterung der Bemessungsgrundlage auf weitere Finanzprodukte einverstanden", sagte Juncker in Brüssel.
In der Praxis bedeutet dies aber nichts anderes, als dass die EU nun auf Luxemburg wartet, das wiederum auf die Zustimmung der Schweiz und anderer Steuerparadiese wartet. "Sie lassen sich an der Nase herumführen", kritisierte die grüne Fraktionschefin im Europaparlament, Rebecca Harms. "Es wäre ein Leichtes für Frau Merkel, den Kampf gegen Steuerbetrug in der EU anzuführen und Blockierer wie Luxemburg zu isolieren", schimpfte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. "Stattdessen haben sie in keinem zentralen Punkt echte Verbesserungen durchgesetzt, auch nicht beim automatischen Informationsaustausch. Offenbar schert sich Schwarz-Gelb einen Dreck um Steuergerechtigkeit."
Immerhin hat sich die EU nun eine Deadline bis zum Jahresende gesetzt - dann soll das Bankgeheimnis endgültig fallen. Jedenfalls auf dem Papier, die praktische Umsetzung ist erst ab 2015 geplant. Bei den Unternehmenssteuern hingegen bleibt es bei Lippenbekenntnissen - hier gibt es weder einen Zeitplan noch eine Zielvorgabe. "Wir müssen an dieser extrem komplizierten Sache arbeiten", sagte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Bisher hat er es allerdings versäumt, dazu irgendeine Initiative zu ergreifen.
Wenn es um die Steuern geht, ist sich eben jeder EU-Staat selbst am nächsten
Die EU-Kommission habe die Vorteile, die Apple aus den irischen Steuergesetzen zieht, nie beanstandet, sagte der irische Premier Ende Kenny am Rande des Gipfeltreffens. Das irische Steuerregime sei mit EU-Recht vereinbar und werde deshalb auch nicht geändert. Selbst wenn die EU wollte, könnte sie Irland kaum zum Einlenken bewegen. Denn das Steuerrecht in der EU ist eine nationale Angelegenheit. Jedes Mitglied kann Gesetzesvorlagen mit einem Veto blockieren. Schon beim Bailout 2010 hatte sich Dublin erfolgreich gegen Auflagen gewehrt.
Damals plante Kanzlerin Merkel noch, die extrem niedrigen Unternehmenssteuern in Irland zu erhöhen, um den unfairen Steuerwettbewerb zu Lasten der Geberstaaten zu beenden. Heute denkt sie darüber nicht einmal mehr nach, jedenfalls nicht öffentlich. Eine Harmonisierung der Körperschaftssteuer sei nicht geplant, beim Gipfel sei nicht einmal darüber gesprochen werden, sagte Merkel bei ihrer abschließenden Pressekonferenz. Direkt auf den Fall Apple angesprochen, wich sie aus: Man müsse eine "Verbindung zwischen Steuern und Wertschöpfung" herstellen, sagte die Kanzlerin vage. Der Gipfel habe das leider "noch nicht abschließend" behandeln können.
Das dürfte auch so schnell nicht geschehen. Denn die Konzerne profitieren nicht nur von unterschiedlichen Steuersätzen, sondern auch von verschiedenen Rechtsrahmen. Trotz intensiver Bemühungen haben sich Deutschland und Frankreich bisher noch nicht einmal auf eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer einigen können - wie sollte dies also mit Irland und den übrigen 24 EU-Staaten funktionieren?
Außerdem haben Merkel und die übrigen EU-Chefs in Wahrheit gar nicht die Absicht, den Steuerwettbewerb zu beenden. Schließlich profitieren davon auch deutsche Konzerne wie BASF oder Volkswagen, die Schlupflöcher etwa in Belgien oder in den Niederlanden ausnutzen. Und schließlich sind niedrige Steuersätze in der europäischen Wirtschaftskrise ein beliebtes Lockmittel. Großbritannien hat gerade erst beschlossen, die Unternehmenssteuer auf 21 Prozent zu senken - und damit unter die entsprechenden Sätze in Deutschland und Frankreich.
Wenn es um die Steuern geht, ist sich eben jeder EU-Staat selbst am nächsten. Von einem "Durchbruch" im Kampf gegen Steuerflucht und -vermeidung kann daher keine Rede sein. Ein kleiner Erfolg ist der Gipfel für Merkel dennoch. Denn nun ist sie endlich den lästigen Streit um das gescheiterte Steuerabkommen mit der Schweiz los. Mit den Schweizern soll in den nächsten Monaten nämlich die EU-Kommission verhandeln - die Kanzlerin kann unbeschwert in den Wahlkampf ziehen, die Opposition im Bundestag hingegen ist wieder um einen Trumpf ärmer.