Undercover als Praktikant im Propagandakrieg bei RT Deutsch

Seite 2: Aus dem Anfangsverdacht "vom Kreml gelenkt" wurde ein "sehr verschlossenes Medienunternehmen"

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In Ihrem Artikel beschreiben Sie Räumlichkeiten, berichten von einem Witz, erwähnen einen Firmenlauf, entdecken Blöcke mit RT-Logo und erfahren, dass man sich für russische Themen interessiert. Die eigentliche Enthüllung Ihres Praktikums, es gibt keine Vorgaben aus Moskau, scheint Ihre Vorurteile nicht zu bestätigen. Sie zählen bereits bekannte Missstände der russischen Politik auf und bezeichnen RT hartnäckig als russische Propaganda. Weshalb bedarf es dafür einer Undercover-Recherche?

Martin Schlak: Die Begründung für eine Undercover-Recherche kann immer nur im Vorfeld geschehen, und nicht im Rückblick. Es gab für diese Recherche hinreichende Gründe. Es ging um einen Einblick in ein sehr verschlossenes Medienunternehmen. Dieser Einblick, den der Artikel liefert, hat, wie weiter oben geschrieben, eine gesellschaftliche Relevanz. Abgesehen von Chefredakteur Ivan Rodionov gibt es keine mir bekannten Interviews mit aktuellen Mitarbeitern von "RT Deutsch".

Aus dem Anfangsverdacht "vom Kreml gelenkt" wurde also ein "sehr verschlossenes Medienunternehmen". So verschlossen kann das Unternehmen ja nicht sein, schließlich ist es Ihnen gelungen dort ein Praktikum zu absolvieren und man wollte Sie übernehmen oder gab es vorab Widerstände?

Martin Schlak: Nein, es gab keine Widerstände gegen mich als Praktikanten. (Wie es für zukünftige Praktikanten aussieht, weiß ich allerdings nicht.) Es stimmt nicht, dass der Anfangsverdacht sich nicht bestätigt hat. Die Lenkung erfolgt nur indirekter als angenommen, wie etwa durch die Einsetzung eines sehr linientreuen Chefredakteurs.

Was letztlich Ihre Wahrnehmung ist, "Blattlinien" sind ja nichts Neues oder Geheimes. Sie berichten auch von Spielregeln bei RT, ohne diese zu verraten. Welche konkreten Regeln gibt es dort und wie haben Sie von diesen erfahren?

Martin Schlak: Es gibt keine Liste festgelegter Regeln, die mir zu Augen kam. Es gibt stattdessen implizite Spielregeln, die sich im Redaktionsalltag äußern. So gibt es eine Bandbreite erwünschter Meinungen, die sich als kremlfreundlich, USA- und Nato-kritisch und teilweise -feindlich zusammenfassen lassen. Themenvorschläge, die dieser Grundhaltung widersprechen oder sie infrage stellen würden, haben nach meiner Beobachtung keine Chance, in der Konferenz als Thema akzeptiert zu werden.

Es gibt keinen Anreiz vonseiten der vorgesetzten Redakteure, die vorgefestigten Meinungen zu hinterfragen. Die journalistische Grundregel, die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen, ist während meiner Zeit in der Redaktion, aber auch davor, wiederholt nicht beachtet worden, etwa in einem Bericht über vermeintlichen Kinderklau in Deutschland.

Das mag ja richtig sein. Fest steht aber auch, dass deutsche Leitmedien unkritisch und "embedded" die NATO oder US-Außenpolitik begleiten. Es werden keine Sanktionen für die letzten völkerrechtswidrigen Kriege mit weit über einer Million Toten, so IPPNW, gegen die USA oder Briten gefordert. Das US-Imperium wird nicht beim Namen genannt und Drohnenmorde werden umbenannt. Die Reaktion sind alternative Medien. Und was journalistische Grundregeln angeht: Deutsche Medien lassen RT nicht zu Wort kommen. Auch NEON hat sich wegen einer Gegendarstellung, wie RT auf Nachfrage bestätigt, nicht gemeldet. Wird mit zweierlei Maß gemessen?

Martin Schlak: Dass die deutschen Medien "unkritisch" die US-Politik begleiten, ist Ihre Meinung, dass sie "RT" nicht zu Wort kommen lassen, ist falsch. Es gab mehrere Interviews in überregionalen Medien mit Chefredakteur Ivan Rodionov, er wird auch immer wieder in Talkshows eingeladen.

Von geforderten Sanktionen weiß ich jedenfalls nichts. Und Rodionov soll, wie er sagt, ja meist eine bestimmte Rolle einnehmen. Ich bezog mich allerdings auf Berichte über RT. "Der Mensch hat die Neigung, der Mehrheit nicht zu widersprechen", so Psychologe Markus Appel in Ihrem Artikel. Sie suggerieren, dass die Mehrheit bei RT abstruse Meinungen vertritt und ein in sich stimmiges Weltbild vermittelt. Das wäre die Gefahr von RT. Was, wenn dieses Weltbild der Realität näherkommt als das transatlantische Weltbild?

Mit ein wenig Kenntnis in Geschichte muss man Samuel Huntington doch zustimmen, als er sagte: "Der Westen hat die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Werte erobert, sondern durch seine Überlegenheit beim Anwenden von Gewalt. Westler vergessen diese Tatsache oft, Nichtwestler nie." Die Eroberung der Welt ist nicht abgeschlossen. Ist die Mehrheitsmeinung in der NEON-Redaktion oder in Ihrem Verlag in Gefahr? Für wen ist RT konkret eine Bedrohung?

Martin Schlak: Ich sage nicht, dass die Meinungen, die in der "RT"-Redaktion vertreten werden, sämtlich abstrus sind. Ich beschreibe an dieser Stelle des Textes lediglich ein psychologisches Prinzip. Die Texte, die "RT" schreibt, zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie glaubhaft wirken und nicht ohne Weiteres als Lüge entlarvt werden können.

Es wäre übertrieben zu behaupten, "RT" sei derzeit eine Gefahr für die demokratische Stabilität dieses Landes - dafür ist der Sender natürlich viel zu unbedeutend. Aber die Fähigkeit vieler Menschen schwindet, wahre von falschen Nachrichten zu unterscheiden, und das ist eine gefährliche Entwicklung.