Undercover als Praktikant im Propagandakrieg bei RT Deutsch
Seite 3: "Es werden Halbwahrheiten und Falschinformationen verbreitet"
- Undercover als Praktikant im Propagandakrieg bei RT Deutsch
- Aus dem Anfangsverdacht "vom Kreml gelenkt" wurde ein "sehr verschlossenes Medienunternehmen"
- "Es werden Halbwahrheiten und Falschinformationen verbreitet"
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Verstehe ich richtig: RT lügt, man kann es bloß nicht beweisen? Die Lügenpresse existiert also und es sind, trotz der eingangs erwähnten und bekannten Beispiele, bloß die anderen? Aber nochmals zu Huntington: Wie ist das mit dem vermittelten Weltbild?
Martin Schlak: Versuchen Sie einmal, eine Verschwörungstheorie so weit zu widerlegen, dass deren Anhänger Ihnen glauben. Es wird Ihnen nicht gelingen. Und so ähnlich ist es mit vielen der vermeintlichen Nachrichten von "RT". Wie ich in meinem Artikel schreibe, ist die Redaktion in Berlin kein Ort, an dem täglich Lügen produziert werden. Aber es werden Zweifel gestreut, und es werden Halbwahrheiten und Falschinformationen verbreitet.
Na das dürfte für beide Seiten gelten, aber lassen wir auch das Weltbild oder den Putsch vom Maidan weg. Sie schreiben von einem Einmarsch auf der Krim, der ein Verstoß gegen das Völkerrecht sei. Auf der Krim hat ein Einmarsch stattgefunden? Können Sie das genauer ausführen und Quellen nennen? RT empfiehlt in Erwiderung auf Ihren Artikel Gabriele Krone-Schmalz und den Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel. Liegen Krone-Schmalz und Merkel falsch?
Martin Schlak: Es gibt zu den Vorgängen auf der Krim unterschiedliche Auffassungen. Auch Reinhard Merkel gibt zu, dass auf der Krim die "militärische Präsenz (Russlands) außerhalb seiner Pachtgebiete (…) völkerrechtswidrig" war. In der Folge kam es zu einem Referendum, das de facto unter Kontrolle russischer Truppen stattfand. Ob es sich dadurch um eine Annexion oder eine Sezession gehandelt hat, dazu gibt es unter Rechtswissenschaftlern verschiedene Einschätzungen. Vergleichen Sie dazu z.B. den Text von Anne Peters, Direktorin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht, "Verletzt der Anschluss der Krim an Russland das Völkerrecht".
Ich stimme zu, es gibt unterschiedliche Auffassungen. Warum wird dann nur von Annexion gesprochen, anstatt die unterschiedlichen Auffassungen darzustellen, sodass sich jeder ein eigenes Urteil bilden kann? Ist das nicht der journalistische Auftrag?
Martin Schlak: Mein Beitrag ist als Erfahrungsbericht geschrieben und spiegelt deswegen auch meine persönliche Meinung wieder. Meiner Meinung handelt es sich um eine Annexion. Ich bin nicht der Meinung, die anderen Auffassungen würden in den deutschen Leitmedien unterdrückt - lesen Sie dazu den Beitrag von Reinhard Merkel in der "FAZ".
Leider nur Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Merkel hatte ich ja erwähnt. Sie verteidigen die Rechte "eines souveränen Landes" und werfen RT generellen Antiamerikanismus vor. Den Krieg gegen den Terror finden Sie falsch. Wie sieht es mit den völkerrechtswidrigen Kriegen im Jemen, gegen den Irak oder zum Sturz Gaddafis, aus denen Chaos, IS-Terror und neue Besitzverhältnisse um Erdöl hervorgegangen sind, aus? Sind vielleicht die letzten Dekaden der US-Außenpolitik "generell antiamerikanisch"?
Martin Schlak: Sie können nicht einen Völkerrechtsbruch mit einem tatsächlichen oder vermeintlichen Völkerrechtsbruch der Gegenseite rechtfertigen. Genau dies ist ein häufiger Rechtfertigungsversuch in russlandfreundlichen Medien.
Gilt Völkerrecht nur einseitig? Aber bitte erklären Sie, von welchem Völkerrechtsbruch Sie sprechen und korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege, aber der russische Einsatz in Syrien findet seit 2015 im Einverständnis mit Damaskus, einer, im Gegensatz zu den meisten Diktaturen der arabischen Halbinsel wenigstens noch säkularen Diktatur, statt. Und was meinen Sie mit "russlandfreundlichen Medien"? Geht es nicht um die Sache, ist Russland schon offiziell zum Feind erklärt und russische Sichtweisen für Sie per se Propaganda?
Martin Schlak: Nein, sind sie nicht. Ich finde ja zum Beispiel auch, dass ich die NATO-Osterweiterung zumindest in ihrer Geschwindigkeit für einen Fehler halte. Das Völkerrecht gilt auch in meiner Wahrnehmung für alle. Mit dem Bruch beziehe ich mich wieder auf die Vorgänge auf der Krim.
Was Syrien angeht, muss ich Ihnen widersprechen: Russland kämpft an der Seite eines Diktators, der sein eigenes Volk seit nunmehr sechs Jahren bekämpft und auch vor Giftgas-Einsätzen nicht zurückschreckt. Ich kann dieser Diktatur wahrlich nichts Gutes abgewinnen.
Er kämpft mit und gegen Teile des eigenen Volks, besonders aber gegen ausländische Söldner und Interessen. Trotzdem handelt es sich bei Machthaber Assad, wie bei den anderen Diktaturen der Region, um eine international "anerkannte" Regierung. Und zum Giftgas gibt es ja auch unterschiedliche Meinungen. Aber was unterscheidet RT von anderen staatlichen Auslandsrundfunkanstalten, wie der Deutschen Welle, der vom US-Kongress finanzierten Medienanstalt Radio Freies Europa oder der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt BBC? Die fehlende NATO-Mitgliedschaft dieser Staaten, eine Mitverantwortung am Irakkrieg oder ist RT bloß eine Reaktion auf einseitige Berichterstattung westlicher Medien?
Martin Schlak: Der Unterschied zwischen der "Deutschen Welle" und "RT" liegt im Gebot der Neutralität und umfassender Berichterstattung. Die Berichterstattung der "DW" unterliegt keinen mir bekannten inhaltlichen politischen Vorgaben und darf zum Beispiel laut eigener Aussage "nicht einseitig eine Partei oder sonstige politische Vereinigung, eine Religionsgemeinschaft, einen Berufsstand oder eine Interessengemeinschaft unterstützen". RT dagegen ist ein Kanal, der selektiv die Position der russischen Regierung kommuniziert und diese Grundrichtung durch die Besetzung der Leitungsposten sichert.
Die zweite Frage müssen Sie den Verantwortlichen in Russland stellen. Sicher ist die Gründung von "RT" eine Reaktion auf die gefühlte einseitige Berichterstattung westlicher Medien, und sicher wird auch in deutschen Medien nicht immer ausgewogen berichtet - ein Fakt, auf den ich auch in meinem Artikel eingehe.
Verlorenes Vertrauen in die Leitmedien und den Vorwurf der Lügenpresse erwähnen Sie, jenen der Lückenpresse übergehen Sie und die Tagesthemen bezeichnen Sie als "deutsche Instanz der Seriosität". Plant die NEON-Redaktion in Zukunft auch Undercover-Recherchen bei deutschen Medien, etwa wegen Verflechtungen mit transatlantischen Netzwerken? Anregungen würde die Kabarettsendung "Die Anstalt" vom 24. April 2014 bieten?
Martin Schlak: Zu den Planungen der NEON-Redaktion kann ich keine Auskunft geben.
Dass deutsche Leitmedien von Transatlantikern geführt werden, ist Ihnen aber bekannt? Sehen Sie keinen Anlass auch mal in diese Richtung zu recherchieren, etwa weil Wahrheiten Interessen dort im Weg stehen könnten?
Martin Schlak: Sie wissen ja gar nicht, wo ich mich als nächstes bewerben werde. Vielleicht sollte die Atlantik-Brücke ihre zukünftigen Praktikanten, sofern sie welche hat, etwas genauer begutachten... Im Ernst: Ein Journalist sollte meiner Meinung nach kein Mitglied in einer transatlantischen Lobby-Organisation sein. Dennoch ist es ein Unterschied, ob jemand Mitglied in einer solchen Organisation ist, oder ob er sich direkt von einem Staat zur Verbreitung einer Wahrheit bezahlen lässt.
Schade, die Idee mit dem Praktikum wäre sicher auch interessant. Trotzdem vielen Dank für Ihre Zeit.