Ungarn: Führt Nationalismus in die wirtschaftliche Krise?
Aufgrund der strikten Antimigrationspolitik fehlen dem vergreisenden Auswanderungsland zunehmend Arbeitskräfte
Von den Rechten wird Ungarn u.a. gefeiert, weil das Land unter Regierungschef Viktor Orban Vorreiter der radikalen Grenzschließung in der Zeit war, als sich viele Flüchtlinge über den Landkorridor nach Europa aufmachten, und weil Orban zum Anführer der Visegrad-Länder wurde, die gegen die Verteilung von Flüchtlingen und für Nullimmigration waren.
Am vergangenen Donnerstag hatte sich Orban mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini getroffen und die Losung wieder einmal ausgegeben, dass die europäischen Grenzen gegen die "migrantische Invasion" verteidigt werden müssen. Man sieht sich da auch auf der Seite der US-Regierung. Als Mantra wiederholt Orban die angeblich Notwendigkeit, Ungarn und ganz Europa in einer Art des neuen Kreuzzugs verteidigen zu müssen: "Wenn wir nicht unsere christliche Kultur verteidigen, werden wir Europa verlieren und wird Europa nicht länger den Europäern gehören." Jetzt verweigert Orban dem CSU-Politiker Manfred Weber die Unterstützung, weil der nicht mit ungarischen Wählerstimmen EU-Kommissionschef werden will.
Interessant ist nicht nur, dass Ungarn ebenso wie andere europäische Länder Auswanderungsland ist, also darauf angewiesen ist, dass andere Länder ihre Grenzen nicht verschließen. Gleichzeitig findet dadurch eine Abwanderung von Menschen mit hoher Bildung, aber auch von nicht gut ausgebildeten Niedriglöhnern statt, die anderswo hoffen, besser verdienen, mehr erreichen oder überhaupt angenehmer leben zu können. Über 5 Prozent der Ungarn im arbeitsfähigen Alter leben im EU-Ausland.
Der ungarische Außenminister hat sich im Februar verbeten, diese Migranten zu nennen. Die 200.000 Ungarn, die in Großbritannien leben, "tragen zum Erfolg der EU und Großbritanniens bei. Wir können stolz auf sie sein." Man dürfe sie nicht mit illegalen Migranten gleichsetzen, die würden wie im Fall von Ungarn durch ein Land marschieren, die Gesetze und Regeln und die Lebensweise der Einheimischen missachten und die schlimmsten Verhaltensweisen zeigen.
Ähnlich wie in Polen gibt es auch in Ungarn einen Mangel an Arbeitskräften. In Polen füllen die Lücke teilweise Ukrainer, dort leben und arbeiten über eine Million Ukrainer. Dennoch sucht die polnische Regierung nach Arbeitskräften im Pflegebereich aus den Philippinen (Das Auswanderungsland braucht dringend mehr ausländische Arbeitskräfte). Auch das immigrationsunfreundliche Japan hat nun Probleme, weil Roboter die fehlenden Arbeitskräfte nicht ersetzen können. Man arbeitet wie in Polen mit Tricks, um ausländische Arbeitskräfte ins Land zu bringen (Ausländer in Japan: Honne oder Tatemae?).
Sklavengesetz zur Kompensation des Arbeitskraftmangels
Ähnlich geht es nun Ungarn. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist auf 3,6 Prozent gesunken. Die ausgewanderten Arbeitsmigranten wollen aber (noch) nicht zurück, gleichzeitig vergreist auch Ungarn, es gibt weniger Kinder und mehr alte Menschen. Ungarn hat wie Polen eine der niedrigsten Fertilitätsraten. Die EU-Kommission warnte letztes Jahr, dass das Wirtschaftswachstum bei geringer Produktivität zwar zu höheren Löhnen, aber auch zu einem Fachkräftemangel führe, andererseits könnten höhere Löhne auch die Abwanderung reduzieren, aber wiederum den Wirtschaftsstandort gefährden.
Die ungarische Regierung versuchte, die Fertilität durch staatliche Maßnahmen anzuheben, was aber nicht gefruchtet hat. Um den Brain Drain einzudämmen, wurde versucht, Studierende nicht aus dem Land zu lassen, die gehen nun schon zum Studienbeginn ins Ausland, wenn sie können. Schließlich wurde versucht, durch vereinfachte Visa- und Passvergaben Angehörige der ungarischen Minderheiten aus den Nachbarländern anzulocken. Aber auch das brachte nicht viel.
Zuletzt wurde letztes Jahr, um die Festung Ungarn aufrechtzuerhalten und wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden, verzweifelt ein Arbeitsgesetz eingeführt, das als "Sklavengesetz" gilt. Zuvor waren Gewerkschaften schon weitgehend zerschlagen oder geschwächt worden. Für Kritiker profitierten die Konzerne, vor allem die deutschen Autokonzerne BMW, Audi und Mercedes von den niedrigen Löhnen und den kaum vorhandenen Arbeiterrechten.
Mit dem neuen Arbeitsgesetz können die Überstunden von 250 auf 400 steigen, angeblich "freiwillig", um die fehlenden Arbeitskräfte durch Mehrarbeit zu kompensieren. Das sind 10 Arbeitswochen zusätzlich im Jahr, die Überstunden müssen nicht im gleichen Jahr, sondern innerhalb von drei Jahren bezahlt oder durch Urlaub kompensiert werden. Manche warnen, dadurch würde die 6-Tage-Woche wieder eingeführt werden. Die Proteste erlahmten allerdings wieder schnell und gefährdeten weder das Gesetz noch die Regierung.
Wird Orban zum Pionier des Niedergangs des Nationalismus
Orban, der angeblich das christliche Europa schützen will, setzt mit seiner Antimigrationspolitik und der zunehmenden Korruption die wirtschaftliche Zukunft des Landes in Frage. Die Ungarn bleiben unter sich und werden weniger, die Firmen können wegen des Arbeitskräftemangels Aufträge nicht ausführen und weil die Löhne noch immer niedrig und die Arbeitsbedingungen zunehmend unerfreulich sind, wandern bei einer schrumpfenden Bevölkerung gerade die jungen und besser ausgebildeten Menschen in die Nachbarländer aus.
Es könnte also gut sein, dass der Held der Rechtsnationalen bald vorführt, in welche Sackgassen ein Land kommt, wenn ein ideologischer Nationalismus, verbunden mit einer propagierten Paranoia vor Multikulturalismus, Einwanderung von Angehörigen anderer Kulturen, Globalisierung und hochgezogenen Grenzen sowie einer vergreisenden und schrumpfenden Bevölkerung, die Regierungspolitik bestimmt. Möglicherweise leitet Orban damit den Niedergang der Rechtsnationalen und -populisten ein
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