Ungarn und Polen - die ungleichen Neffen
Seite 3: Orbán der Pragmatiker, Kaczyński der Ideologe
- Ungarn und Polen - die ungleichen Neffen
- Rechte in Ost und West
- Orbán der Pragmatiker, Kaczyński der Ideologe
- Ungarisches Szenario für Polen?
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Viktor Orbán wird von seinen Anhängern als Messias, von der breiten Masse zumindest als Beschützer Ungarns vor einer muslimischen Invasion bzw. vor liberalen Einflüssen aus dem Westen wahrgenommen. Er ist ein mitreißender Volkstribun und begabter Redner. Dass die Korruption in Ungarn besorgniserregende Ausmaße erreicht hat, scheint seine Macht nicht zu gefährden.
Es gibt Vorwürfe der Unterschlagung von EU-Subventionen, die bis in die Familie Orbáns reichen. In ihrem jüngsten Bericht bescheinigt Transparency International einen Abstieg Ungarns beim Korruptionswahrnehmungsindex von Rang 55 auf 66. Demnach sei Ungarn nach Bulgarien nunmehr das zweitkorrupteste Land der EU.
Der ungarische Soziologe und ehemalige liberale Politiker Bálint Magyar bezeichnet in einem Interview mit der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza sein Land als einen postkommunistischen Mafiastaat, Polen hingegen als eine konservative Autokratie. Orbán wolle alle Macht an sich reißen, aber gleichzeitig privates Vermögen für die eigene Familie, befreundete Oligarchen und politische Marionetten akkumulieren. Er sei ein rationaler Zyniker, für den die Ideologie eine rein pragmatische Bedeutung hätte, Kaczyński hingegen sei ein Fanatiker.
Beide "Regime" wollen nicht nur die Regierung sondern das System austauschen, beide behaupten, der friedliche Wandel von 1989 hätte "über den Köpfen der Bevölkerung" stattgefunden, wäre deswegen illegitim gewesen, obwohl sie selbst daran aktiv beteiligt waren. Beide Länder würden das Konzept eines Europa der Nationen unterstützen, also einen gemeinsamen freien Markt mit Zugang zu EU-Fonds, würden sich jedoch jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten verbieten. In Ungarn herrsche ein krimineller Klan mit quasi-familiären Verbindungen, welchen der große Schutzherr vorstehe. Der Mafiastaat habe Oligarchen, den Markt und die Wirtschaft unter Kontrolle gebracht, die Korruption monopolisiert. Das unterscheide Polen von Ungarn.
Kaczyńskis Ziel sei, seine Machtbasis um vertrauenswürdige und loyale Personen zu erweitern, um das Land besser zentral verwalten zu können sowie eine breite ideologische Indoktrinierung. Kaczyński ist für Bálint ein Puritaner. Auch in Polen gäbe es Einzelfälle von Korruption, doch in Ungarn sei das ganze System korrupt. Bálint setzt Ungarn auf eine Stufe mit Russland oder Montenegro. Orbán sei allerdings weder Rassist, Antisemit noch homophob. Wenn er aber erkennt, dass etwas politisch von Nutzen ist, dass sich dafür ein "Absatzmarkt" finden ließe, so würde er eine passende Ideologie dafür benutzen. Anders als Kaczyński, der von tiefen Überzeugungen geprägt und ideologisch kohärent sei. Die polnische Rechte hätte ein romantisches Verhältnis zur Politik, einen Glauben an Treue, Ehre, Liebe und Hass.
Auch in der Außenpolitik ortet Bálint Unterschiede. Während Kaczyński eher unbeholfen sein Land zu positionieren versuche und auf mehreren Fronten gegen Deutschland, Russland und die EU kämpfe, denke Orbán ausschließlich an sich selbst. Jede Kritik an Ungarn bringe ihm politische Punkte. Orbán würde Putin seine Nicht-Loyalität gegenüber der EU verkaufen, um von Autokraten besondere Privilegien zu erhalten.
Ungarn nähere sich einem "Point of no return", während Polen noch einen Plan B hätte. Noch gäbe es freie Wahlen und einen freien Markt, Polen könne noch den ungarischen Weg verlassen, so der Ex-Politiker.
Jarosław Kaczyński ist im polnischen Volk unbeliebt. Das ist ihm bewusst, deshalb agiert er als Strippenzieher im Hintergrund. Interviews gibt er nur rechtsgerichteten oder klerikalen Medien. Der klein gewachsene Endsechziger reißt keine Massen mit, er lispelt, muss auf einer kleinen Leiter, die sein Mitarbeiter mitträgt, stehen, wenn er zu seinen Anhängern spricht. Als Junggeselle und Katzenfreund pflegt er einen bescheidenen Lebensstil. Die Politik ist sein Leben. Das imponiert seinem Stammelektorat, den Mindestrentnerinnen oder Wählern in Kleinstädten, die in ihm einen ehrlichen und vertrauenswürdigen Menschen sehen, der sich und seinen Werten treu bleibt und sich vom bisherigen politischen Establishment positiv abhebt.
Seit ihrer Gründung schreibt sich die PiS die Korruptionsbekämpfung und den Kampf gegen "kommunistische Seilschaften" auf ihre Fahnen. Der jakobinische Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro ist geradezu davon besessen, Politiker früherer Regierungen, Staatsbeamte und Geschäftsleute mit Korruptionsvorwürfen vors Staatstribunal zu zerren. Damit konnte die PiS im traditionell elitenskeptischen Wahlvolk bisher punkten.
Kaczyński will politische Machtkonzentration und ideologische Indoktrination, er ist von seiner Vision eines konservativ-katholischen Polens überzeugt, als politische Vorbilder gibt er Marschall Józef Pilsudski, den polnischen Semidiktator der Zwischenkriegszeit und neulich Bismarck an. Um seine Ideen durchzusetzen, benutzt Kaczyński seine Wähler, skrupellos bedient er Ängste und Komplexe seiner Mitbürger. Er polarisiert absichtlich, teilt die Menschen in "echte Polen" oder "Patrioten" und in "Verräter", "schlechtere Sorte", oder "Kanaillen" ein.
Er will die volle Macht, um Polen nach seinen Vorstellungen umbauen zu können. Das nächste Etappenziel dabei ist eine neue Verfassung, die ihm und seiner Partei eine fast uneingeschränkte Macht verleihen würde.
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