Ungarn und Polen - die ungleichen Neffen
Seite 4: Ungarisches Szenario für Polen?
- Ungarn und Polen - die ungleichen Neffen
- Rechte in Ost und West
- Orbán der Pragmatiker, Kaczyński der Ideologe
- Ungarisches Szenario für Polen?
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Möglich, aber eher unwahrscheinlich. Seit ihrem Wahlsieg im Herbst 2015 dominierte die PiS alle Meinungsumfragen. Die Aushebelung des Verfassungsgerichts, die Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Medien, katastrophale Personalentscheidungen, wie etwa die im Falle des Verteidigungs -oder des Außenministers, das Abholzen der Urwälder Ostpolens, Gewalt gegen protestierende Frauen, all das vermochte nicht, die Erfolge der PiS im sozialen Bereich zu überschatten. Bis jetzt zumindest. In der Sonntagsfrage vom 10. April fiel die PiS im Vergleich zur Februarumfrage um 12 Prozentpunkte auf 29% in der Wählergunst. Erstmals seit Jahren würde die vereinigte Opposition die Partei Kaczyńskis überholen, würden die Wahlen jetzt stattfinden.
Was ist geschehen? Ein Politiker der oppositionellen Bürgerplattform fand heraus, dass Minister, Staats- und Unterstaatssekretäre der PiS von der ehemaligen Ministerpräsidentin Szydło Geldprämien in Höhe von insgesamt 1.5 Millionen Zloty zuerkannt bekamen. Als dies publik wurde, tobte Szydło vom Rednerpult des Parlaments: "In der Tat, die Minister und Vizeminister der PiS-Regierung bekamen Belohnungen. Für ihre schwere und solide Arbeit. Dieses Geld stand ihnen einfach zu!"
Dieser Wutausbruch der "bescheidenen Frau vom Land", wie die Politikerin bisher wahrgenommen wurde, bescherte der PiS den bisher größten Knick in der Wählergunst. Kaczyński beeilte sich, das Feuer zu löschen. Er befahl den Ministern, die Gelder unverzüglich an die katholische "Caritas" zu überweisen. Und er versprach ein Gesetz, das die Abgeordnetengehälter um ein Fünftel senken werde. Daraufhin beschwerten sich manche Minister, sie hätten die Prämien bereits ausgegeben und müssten sich nun verschulden, um der Anweisung des Vorsitzenden Folge leisten zu können. Kaczyńskis Moralstandards halten offenbar der Mentalität seiner Fußsoldaten nicht stand.
Schon 2017 kam Sand ins PiS-Getriebe. Das monatelange Hickhack um die Abberufung der im Volk durchaus beliebten Ministerpräsidentin Beata Szydło und ihr Ersatz durch den Technokraten Mateusz Morawiecki im Herbst 2017 offenbarten ein großes Konfliktpotential innerhalb der PiS. Diese Entscheidung, die von der PiS als Signal zur Dialogbereitschaft mit der EU und als Versuch, die liberalen urbanen Wählerschichten anzusprechen, gedeutet wurde, trat eine Lawine von Problemen und Desastern los.
Das rechtskonservative Elektorat verstand die Abberufung "ihrer Beata" nicht. Aus den rechtsgerichteten privaten Medien, die die Regierungsarbeit bisher unterstützt hatten, hörte man erstmals kritische Töne Richtung PiS. Die liberalere, gemäßigtere Fraktion um den Staatpräsidenten Andrzej Duda schien die Oberhand zu gewinnen. Duda hatte seit geraumer Zeit auf die Entlassung umstrittener Minister, allen voran des Verteidigungsministers und Verschwörungstheoretikers Macierewicz, mit dem er in offenem Konflikt stand, gedrängt. Eine wahre Katastrophe folgte bald darauf. Das sogenannte Holocaust-Gesetz, das die Bezeichnung "Polnische Konzentrationslager" und Beschuldigung der Mittäterschaft von Polen am Holocaust unter Strafe stellen sollte, bescherte Polen einen bisher nie gekannten Imageschaden.
Der Mythos der PiS als Parteimonolith bröckelt, verfeindete Fraktionen, von rechts außen bis zu liberal-konservativ, treten hervor. Es war ein offenes Geheimnis, dass die ehemalige Ministerpräsidentin Szydło ihren Nachfolger Morawiecki nicht mochte, der, ähnlich wie Präsident Duda, mit dem Justizminister Ziobro in Clinch liegt. Und Duda selbst hat in der rechten PiS-Fraktion mittlerweile viele Feinde.
Diese Spaltlinien konnten durch die starke Hand Kaczyńskis bisher gekittet werden. Doch der Vorsitzende zeigt zunehmend Zeichen von Schwäche, sein Gesundheitszustand gilt als angeschlagen. Vorsichtig zieht er einige der umstrittenen Reformvorhaben wieder zurück. Während er sich bei allen bisherigen Wahlversprechen weder von der Opposition noch von der EU beirren ließ, muss er jetzt kleinlaut zugeben, dass nicht alles nach Plan laufe.
Mit der EU wird ein Kompromiss über die Besetzung der obersten Richter ausgearbeitet, das Holocaust-Gesetz wurde vom Präsidenten Duda zur Begutachtung an das von der PiS mittlerweile unter Kontrolle gebrachte Verfassungsgericht zurückgeschickt. Die Öffentlichkeit wird nun in staatlichen und rechten Medien behutsam darauf vorbereitet, dass das umstrittene Gesetz möglicherweise als verfassungswidrig abgelehnt und damit ad acta gelegt werde.
Der Journalist Jakub Majmurek von der linken Zeitschrift "Krytyka Polityczna" sieht eine Führungskrise heranziehen. Die PiS sei quasi Kaczyńskis Eigentum, er stehe über den Parteistrukturen und er herrsche mit eiserner Hand über alle Fraktionen und mögliche Thronfolger. Sollte Kaczyński eines Tages abtreten, wäre es schwer vorstellbar, wie Menschen wie Morawiecki, Macierewicz und Ziobro in einer Partei koexistieren könnten.
Die Führungsschwäche äußert sich auch im Unmut vieler PiS-Politiker. Der Ministerpräsident und die Minister müssen Brände löschen, für die sie nicht verantwortlich zeichnen, stattdessen würden sie lieber eine sachlich-pragmatische Politik betreiben. Wegen der langsamen Entscheidungen des "Über-Premiers" Kaczyński würden sich Probleme stauen und ein rasches Reagieren sei unmöglich, würden viele hinter vorgehaltener Hand beklagen.
Selbst im rechtsnationalen Medienspektrum gibt es divergierende Gruppen. Zwei große Medienhäuser, jenes der Karnowski-Brüder, das der Fraktion des Justizministers Ziobro zugeschrieben wird, und jenes von Tomasz Sakiewicz, der den nationalradikalen Flügel um den ehemaligen Verteidigungsminister Macierewicz unterstützt, befürworteten bis jetzt die Politik der PiS. Seit dem Konflikt innerhalb der Partei kommen von dort kritische Töne mit offenen Anfeindungen vor allem gegen den Staatspräsidenten.
Auch der neue Ministerpräsident Morawiecki wird als ein Fremdkörper innerhalb der PiS gesehen. Dem mondänen Ex-Banker, der mehrere Sprachen spricht, wird vom Stammelektorat der PiS offene Skepsis entgegengebracht: Morawiecki gehörte einst dem Beraterstab des liberalen Regierungschefs Donald Tusk an und war als Chef einer großen polnischen Bank im ausländischen Besitz für den "Ausverkauf des Staatsvermögens" mitverantwortlich.
Jakub Majmureks Analyse zufolge würden sich zwei Narrative und zwei Identitäten rächen, die die Partei für die jeweilige Wählergruppe benutzt. Das eine Narrativ setzt auf eine konservative, solidarische Modernisierung im Einklang mit der Tradition, die aus Polen ein wohlhabendes, gerechtes, wirtschaftlich und technisch modernes, ein "westliches bürgerlich-konservatives" Land machen werde. Die zweite Version ist für die traditionelle polnische Rechte bestimmt: eine vom Ressentiment und Rache an der Dritten Republik geprägte Erzählung von einem Polen, das von entwurzelten, unrechtmäßigen, korrupten Eliten verschandelt wurde, einem Polen, das sich nun von seinen Knien erhebe. Das Symbol dieses Polens auf den Knien ist die mysteriöse Flugzeugkatastrophe von Smolensk von 2010, bei der die "echte patriotische Elite" ums Leben kam und deren "aufrichtige" Aufklärung die Vorgängerregierung verhinderte.
Diese zwei Narrative würden sich, so Majmurek, nicht versöhnen lassen und die PiS müsse nun entscheiden, ob sie für eine modernisierende Christdemokratie oder aber für eine revolutionäre Partei der Vergeltung stehe. Eine dieser zwei Entscheidungen werde die Partei einen Teil ihrer Wählerstimmen und der Loyalität der Fraktionen kosten.
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