Ungenügende Aufklärung vor Corona-Impfungen?
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Mit der mRNA-Schutzimpfung wurde Neuland betreten. Wie viel Wissen über die Risiken müssen Ärzte Patienten mitteilen? Juristen geben eine Antwort.
Der Titel ist diskret und sachlich, der Inhalt setzt Ausrufezeichen. "Ärztliche Aufklärung bei Behandlungen mit bedingt zugelassenen mRNA-Impfarzneien" heißt der beachtenswerte Beitrag von Carlos Gebauer und Katrin Gierhake. Erschienen ist er in der aktuellen Ausgabe der auflagenstärksten juristischen Fachzeitschrift Deutschlands, der "Neuen Juristischen Wochenschrift" (NJW) (Heft 31/2023, Seiten 2231-2236, kostenpflichtig).
Die Ausgangsposition lässt aufmerken: Eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Aufklärung könne in der Quintessenz nur darin bestehen, dass impfende Ärzte ihr Unwissen über mögliche Risiken mit dem Patienten teilen und dieser auf eine weitere Aufklärung verzichtet.
So dürfte jedoch in den wenigsten Impfzentren verfahren worden sein.
Katrin Gierhake ist Professorin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Regensburg. Schon während der Pandemie hatte sie sich wiederholt kritisch geäußert (siehe bspw. FAZ oder ein Gespräch der Reihe "#allesaufdentisch" (Hintergrund: "Google, Youtube und das 'Kalifat Wissenschaft'").
Carlos Gebauer ist Rechtsanwalt für Medizinrecht in Düsseldorf und stellvertretender Vorsitzender des 2. Senats am Anwaltsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen.
Auch er hatte sich während der Pandemie mehrfach zu Wort gemeldet und hatte gemeinsam mit anderen Verfassungsbeschwerde gegen das "Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" ("Bundesnotbremse") eingelegt. Von 2002 bis 2008 spielte Gebauer in der RTL-Serie "Das Strafgericht" einen Verteidiger.
"Neulandmethode"
Gebauer und Gierhake stellen als Erstes fest, dass es sich bei Impfungen mit mRNA um eine "Neulandmethode" handelt, weil sie zunächst nur eine bedingte und befristete Zulassung bekommen haben (zur Debatte um das Zulassungsverfahren siehe Berliner Zeitung).
Langfristige Folgen der Impfung konnten zum Zeitpunkt der bedingten Zulassung naturgemäß noch gar nicht vorliegen.
BGB: Umfängliche Aufklärung
Patienten (oder deren Vertreter) müssen vor einer Behandlung so umfänglich aufgeklärt werden, dass sie eine informierte Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung treffen können. Unter anderem schreibt das BGB vor:
Die Aufklärung muss
Bürgerliches Gesetzbuch, § 630e Abs. 2
1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,
2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
3. für den Patienten verständlich sein.
Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.
Die Aufklärung muss laut Gesetz "insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie" umfassen. Auch mögliche Alternativen sind vorzustellen.
Impfverordnung und Aufklärungspflichten
Die konkret in der damals speziell für Covid-19 neu gefassten Impfverordnung genannten Aufklärungsinhalte träten dabei, so Gebauer und Gierhake, "nicht als reduktionistische Spezialregelung ersetzend an die Stelle der gesetzlichen Aufklärungspflichten, sondern konkretisieren die dort geregelte Impfbehandlung durch Verordnungsrecht".
Schon diese grundsätzliche Aufklärungspflicht dürfte aufgrund der Zeitknappheit bei den großen Impfaktionen in vielen Fällen nicht erfolgt sein.
Für nur bedingt zugelassene Arzneimittel gelten darüber hinaus höhere Anforderungen (VO (EG) Nr. 507/2006).
Schon der Hinweis auf die bedingte Zulassung fehle "in den kursierenden Fragebögen", schreiben Gebauer und Gierhake. Ein besonderes Problem bestand dabei im deutschen Rechtsraum, weil die Impfstoffe abweichend vom Arzneimittelgesetz ausnahmsweise ohne Kennzeichnung und Packungsbeilage in den Verkehr gebracht werden durften (§ 4 MedBVSV).
Folgerungen
Aus alle dem ergebe sich, dass Patienten auf die Möglichkeit noch nicht bekannter Risiken hinzuweisen seien.
Das Wesen, das Ziel, der Nutzen, die Folgen, die Risiken und die Nachteile eines noch in Prüfung befindlichen Arzneimittels müssen demjenigen gegenüber thematisiert werden, der das Mittel zu sich nehmen soll.
RA Carlos A. Gebauer, Prof. Dr. Katrin Gierhake, NJW 31/ 2023
Die beiden Juristen führen dazu aus:
"Den Produktinformationen zum Beispiel des am 21.12.2020 durch die EMA bedingt zugelassenen Impfstoffs 'Comirnaty' von Biontech/ Pfizer lässt sich zum Beispiel entnehmen, dass die Dauer des Impfschutzes, Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder anderen Impfstoffen, ein möglicher Einfluss auf das Erbgut (Genotoxizität), eine mögliche krebsfördernde Wirkung (Karzinogenität), die (Neben)Wirkungen von Vielfachimpfungen (> 2 Injektionen), bei Schwangeren der Plazentatransfer des Impfstoffs oder bei Stillenden die Ausscheidung über die Milch sowie die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs bei immungeschwächten Personen, einschließlich Personen unter einer Therapie mit Immunsuppressiva noch nicht untersucht waren."
(siehe damalige Produkt-Information für Comirnaty und aktuelle Version)
Gebauer und Gierhake folgern:
Bei der Aufklärung zu Art und Umfang der Behandlung ist relevant, dass die Wirkweise der Methode noch nicht gesichert geklärt ist. Das führt denknotwendig zur Unmöglichkeit einer abschließenden Risikobeschreibung und damit zu einem Rechtsproblem eigener Art.
Für die Information über Risiken sei es unbedeutend, ob eine medizinische Behandlung öffentlich empfohlen werde und ob Risiken nur sehr selten zu erwarten seien (siehe BGH-Urteil VI ZR 48/99 vom 15.02.2000).
Sofern das Risikopotential noch unklar sei, bleibe "faktisch nur der Hinweis auf unbekannte Risiken, um der Wahrheitspflicht des Aufklärenden nachzukommen", weshalb sich dieses "mit erhofften Nutzeffekten streng genommen nicht einmal abwägen" lasse.
Gebauer und Gierhake fragen: "Ist also eine Aufklärung über die Unmöglichkeit der Aufklärung wegen Unwissens geschuldet?"