Ungeziefer züchten und Carnivore begutachten
Programmieren als künstlerische Praxis
Ein Ungeziefer krabbelt plötzlich über den Bildschirm und die Grafik, an der man gerade gearbeitet hat, ist dahin. Das kann passieren, wenn man die Software von Adrian Ward benutzt. Er hat die Programme " Autoillustrator" und "Autoshop" als "persiflierende Software" entwickelt. Seine Programme enthalten Funktionen, die ihre Nutzung beieinträchtigen und den Nutzern das Gefühl vermitteln, sie verlören die Kontrolle, so die Beschreibung des Kunstwerks in der Dortmunder Ausstellung "Kontrollfelder". Sie ist ein erster und noch zaghafter Versuch, sich der gewaltigen Frage zum Verhältnis von Computern und Kontrolle zu nähern.
Wer einen Mac hat, der hat sich an das Kontrollfeld gewöhnt. Es ist ein Ordner, in dem die Software zur Steuerung des Computers enthalten ist. Allerdings ist die Möglichkeit der Kontrolle über die eigenen Computer beschränkt. Denn welche Programme im Inneren der Maschine laufen, das weiß heute kaum noch ein Nutzer, so die Kuratoren der Ausstellung "Kontrollfelder" im Dortmunder Medienkunstverein hartware (noch bis 5. Mai). Sie folgen damit bekannten Überlegungen, die schon in den achtziger Jahren von dem Germanisten Friedrich Kittler vertreten wurden. Durch die Vernetzung der Computer erhält jedoch der Analphabetismus gegenüber den Programmen eine neue Dimension, der sich die Ausstellung leider zu behutsam annähert.
Das Internet ist die Chance für die Computerindustrie und Geheimdienste, den verbreiteten Analphabetismus auszunutzen und verborgen Programme zu installieren, die detailliert die Vorgänge auf den privaten Rechnern protokollieren. Diese Protokolle erlauben es, sich ein Bild von den persönlichen Vorlieben und Vorhaben der Nutzer zu verschaffen. Die Mehrzahl der ausgestellten 10 Kunstwerke setzen hingegen nur auf die Irritation der Computernutzer. Die Lenkung der Blicke auf den Bildschirmen wird zum Beispiel in der Installation des Spaniers Joan Leandre überboten, der Grafikprogramme verschiedener Computerspiele so miteinander verschaltet hat, dass den Betrachtern schwindelig wird. Der Joystick, mit dem man durch die dargebotenen Oberflächen navigiert, steuert kein Fahrzeug, sondern verändert die räumliche Orientierung auf der Projektionsfläche.
Die Arbeit "carnivore" von Radical Software Group wird nüchtern auf einem Tisch mit Bildschirmen präsentiert. Die international agierende Gruppe hat DCS 1000, eine Software des amerikanischen FBI zur Kontrolle von Internetkommunikation, nachgebaut und bietet sie auf ihrer Homepage kostenlos zum Kennenlernen an. Wer sich selbst eine Homepage erstellen lassen möchte, der kann am selben Tisch www.tracenoizer.org im Netz besuchen, seinen Namen eingeben und das Programm für sich suchen lassen. In wenigen Minuten hat trazenoizer aus der Datenflut im Internet Angebote gefischt und auf einer Homepage zusammengefasst. Auf der Seite prangt dann der jeweilig eingegebene Name, so als wäre er ein Firmenzeichen. Man meint, das Internetportal einer new economy-Firma zu betreten und merkt, wie leicht es ist, im Internet den Schein von Geschäftstüchtigkeit zu erwecken.
Neben den "Kontrollfeldern" zeigt hartware eine weitere Ausstellung mit Medienkunst aus Osteuropa. Sie wurde von dem rumänischen Kurator Attila Tordai-S unter dem Titel "Unstable Narratives" zusammengestellt. Bemerkenswert ist Cristian Alexas Video "zehn Sekunden". Eine junge Frau schlendert vergnügt durch eine triste Einkaufspassage und wechselt in kurzen Abständen den Mann an ihrer Hand. Alles scheint möglich: Man muss nur die richtige Verbindung zwischen softer Anmut und der Hartware des eigenen Körpers herstellen, dann kann man seine Partner im Sekundentakt wechseln. Erzähler von Kurzgeschichten treffen im Dortmunder Medienkunstverein auf Hacker, die das programmierte Geschehen auf ihren Computern selbst in die Hand nehmen.