Uni Groningen: Dozent muss nach "Unterricht in Verschwörungstheorien" aufhören

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KI-Forscher wollte nach eigenen Angaben "kritisches Denken" unterrichten

Etwas Wichtiges vorab: Es geht hier um einen Dozenten meiner eigenen Universität, den ich allerdings nicht persönlich kenne. Im Folgenden stütze ich mich auf Berichte in den niederländischen Medien und stelle ich ein paar eigene Gedanken zur Diskussionsfreiheit an. Ich spreche hier nur für mich, nicht für meinen Arbeitgeber.

Tjeerd Andringa hat einen Hintergrund in Festkörperphysik (Master, 1991) und promovierte schließlich über Künstliche Intelligenz und Kognition (PhD, 2002). Dabei spezialisierte er sich auf die Erkennung von Sprache und gründete auch das Start-up-Unternehmen "Sound Intelligence".

Zurzeit ist er Assoziierter Professor und Leiter einer Forschungsgruppe für auditorische Kognition sowie Dozent am University College der Universität Groningen. Das University College gilt formal als eigene Fakultät und bietet einer kleinen Auswahl von Studierenden aus aller Welt eine breite interdisziplinäre akademische Ausbildung auf hohem Niveau an. Dafür zahlen die Teilnehmer auch doppelte Studiengebühren.

Folgenreicher Artikel

Am 26. Januar erschien dann aber die wöchentliche Ausgabe unserer (unabhängigen) Universitätszeitung mit einer beunruhigenden Titelstory: Der Dozent würde Fabeln und Verschwörungstheorien unterrichten und sei sonst auch mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen.

In Windeseile verbreitete sich das Thema in den landesweiten Medien. Zuerst wurde nur das strittige Fach eingestellt, das im Februar wieder hätte beginnen sollen. Jetzt wurde dem Dozenten aber vorläufig die Lehrbefugnis entzogen, bis das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchung vorliegt. Was ist da los?

Im Brennpunkt ist ein Kurs mit dem Namen "Systems View on Life" – systemisch auf das Leben schauen. Der Dozent verspricht in der Kursbeschreibung, die Studierenden würden lernen, einen wirklich eigenen Standpunkt zu entwickeln. Nur damit, andere Meinungen nachzuplappern, würde man bei ihm keine Punkte verdienen.

In dem Kurs würde man herausgefordert. Es gehe darum, die Teilnehmenden aus ihrer "Komfortzone" zu holen. Das könne unangenehm sein. Doch zur Belohnung warte nach der Auseinandersetzung mit "hochqualitativem Inhalt" ein Verständnis dessen, was einen echten Akademiker ausmacht.

"Bildung" kommt von "bilden"

Das klingt für mich ein bisschen nach einem Seminar zur Selbstfindung. Das muss nicht schlimm sein – immerhin kommt "Bildung" von "bilden" und geht es dabei auch um Persönlichkeitsbildung.

Man wirft den Universitäten oft genug vor, sich im Abstrakten und Theoretischen zu verlieren. Gerade an so einem University College soll natürlich auch mal außerhalb des Bekannten gedacht werden, "out of the box".

Der Kurs scheint sich von der ursprünglichen Frage, wie Leben entsteht, in jüngerer Vergangenheit zu einem Potpourri gesellschaftspolitischer Fragen entwickelt haben. Der Artikel der Universitätszeitung, deren Redaktion mit insgesamt zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus mehreren Jahren sprach, nennt vor allem Klimawandel und Impfungen.

Demnach habe der Dozent hauptsächlich Quellen verwendet, die den (vom Menschen verursachten) Klimawandel bestreiten. Über Impfungen sei behauptet worden, dass sie Autismus verursachen können. Letzteres ist ein auf den inzwischen mit einem Berufsverbot belegten britischen Arzt Andrew Wakefield zurückgehender Mythos.

Dieser gründet auf einer 1998 in der angesehenen medizinischen Zeitschrift The Lancet veröffentlichten Studie. 2004 publizierten allerdings zehn der zwölf Autoren – ohne Erstautor Wakefield – eine Korrektur. 2010 wurde die Veröffentlichung aufgrund unterschiedlicher Fehler und falscher Angaben dann von der Zeitschrift vollständig zurückgezogen.

Einer Studentin, die den Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus in Zweifel zog, soll Tjeerd Andringa "Respektlosigkeit" vorgeworfen haben. Ein Experte in einem Video habe über das Thema immerhin sehr viel länger nachgedacht und mehr darüber geschrieben als sie. Vielleicht müsse sie erst noch etwas "wachsen". Vom Wissenschaftler in dem Video könne sie noch viel lernen.

Umgekehrt sei ein Student gelobt worden, der darüber schrieb, wie die Eliten die Menschheit beeinflussen. Beispielsweise würden die Rockefeller Familie oder der Amazon-Milliardär Jeff Bezos in Bildung investieren, um die Menschen hinterher besser manipulieren zu können.

Der Artikel in der Universitätszeitung kommt zum deutlichen Fazit, dass der Dozent nur vorgeblich kritisches Denken habe fördern wollen. In Wirklichkeit habe er nur eine Wahrheit gelten lassen – nämlich seine eigene.

Allerdings kommen auch Studierende zu Wort, die Andringa loben. Er sei eloquent und beschäftige sich auch intensiv mit den Ansichten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Einer meint, durch die offenen Diskussionen habe er erst richtig kritisches Denken gelernt.

Außerhalb der Uni

Die Journalisten machten sich auf die Suche danach, wie sich der Wissenschaftler sonst in der Öffentlichkeit äußerte. Dabei stießen sie auf Texte und Interviews, in denen er Gedanken über eine "Kakistokratie" entwickelt habe: Demnach würde die herrschende Elite systematisch Kinder missbrauchen, damit diese zu gefügsamen Dienern heranwüchsen.

Sogar Geheimdienste würden höchstwahrscheinlich Sexpartys mit Kindern organisieren, um diese "Kakistokratie" zu stützen. Und dies würde wiederum von den Regierungen gedeckt. Allerdings gebe es hierfür nur Indizienbeweise.

Mit Blick auf die Anschläge vom 11. September meine er, dass Regierungen häufiger ihre eigene Bevölkerung angreifen, um die Menschen gefügiger zu machen. Der Dozent betone auch immer wieder die herausragende Bedeutung alternativer Medien.

Auf dem Bio-Bauernhof seiner Frau habe Andringa schließlich außeruniversitäre Vorträge organisiert, auf denen die Coronamaßnahmen und die angeblich dominante Position der Juden kritisiert wurden. Ein Student, der daran im Herbst 2020 teilgenommen haben soll, wandte sich dann an eine Vertrauensperson der Universität, die schließlich die Verwaltung einschaltete.

Qualitätskontrolle

In Gesprächen zwischen Verwaltung und Dozent habe dieser sich immer wieder geringschätzend über die Bürokratie geäußert, die Meldung des Studenten als "cancel culture" abgetan und sich mit beinahe kriminellen Äußerungen über das Antisemitismusverbot geäußert. Im Ergebnis erhielt Andringa eine Warnung und der strittige Kurs wurde vorläufig unter Aufsicht gestellt.

Der Direktor des University College meint nun dazu, dass Dozenten auch außerhalb ihres Fachgebiets im engeren Sinn unterrichten könnten – das sei bei ihrer interdisziplinären Ausbildung ausdrücklich Sinn der Sache. Auch sei kritisches Denken wichtig. Dieses müsse aber innerhalb "ethischer Grenzen" geschehen.

Zudem müsse man bestimmte Qualitätsmaßstäbe einhalten. Nach der Untersuchung des Kurses habe man aber festgestellt, dass dieser sich nicht hinreichend verbessern lasse. Daher habe man entschieden, ihn nicht länger anzubieten.

Wie bereits erwähnt, bleibt es dabei nun aber nicht: Landesweite Medien griffen den Artikel der Groninger Universitätszeitung vom 26. Januar sofort auf, beispielsweise die Tageszeitung NRC Handelsblad oder die Nachrichtenseite NOS.

Am 28. Januar veröffentlichte die Universität dann eine kurze Mitteilung, dass der Dozent bis auf Weiteres gar nicht mehr am University College unterrichte. Man beginne nun eine unabhängige Untersuchung und warte deren Ergebnis ab.

Tjeerd Andringa bekam von der Universitätszeitung die Gelegenheit einer Stellungnahme. Meinem Eindruck nach drückt er sich darin sehr kryptisch aus, verweist auf Aristoteles und den Bildungspychologen William Perry.

Beide hätten sich dahingehend geäußert, ein entwickelter Geist müsse "mit Gedanken spielen, ohne diese zu akzeptieren". Auf die Berichte in den landesweiten Medien will er diese Woche reagieren.