Unipolar, Bipolar, Multipolar? Die (schöne) neue Weltordnung

Seite 2: Eine neue Ära der Konfrontation

Was den unbedarften Beobachter der Transatlantik-Lobby zunächst verwundert haben dürfte: In ihrem Beitrag mit dem Titel "In Search of a New World Order" stellen Hüther und Gabriel die neue Ära der Konfrontation in unmittelbaren Zusammenhang mit einem Niedergang der globalen US-Hegemonie:

Die Vereinigten Staaten sehen sich nicht mehr in der Lage, sowohl die führende Wirtschaftsmacht der Welt als auch eine weltweit unverzichtbare Nation zu sein. Der Abzug der US-Truppen aus dem Nahen Osten, aus Afghanistan und – wäre die Ukraine nicht überfallen worden – auch aus Europa erfolgte, damit sich Amerika auf seine Rivalität mit China konzentrieren kann.

Michael Hüther und Sigmar Gabriel

Hüther und Gabriel diagnostizieren einen Übergang von einer geo-ökonomischen Weltordnung (="Globalisierung") zu einem geopolitischen Kampf, sprich: einem um die systemische Weltherrschaft.

Russland spielt darin keine große Rolle mehr: Die Atommacht werde aus dem Ukraine-Krieg deutlich geschwächt hervorgehen und schließlich durch die "fortschreitende Dekarbonisierung" auch ihren Status als größter Rohstofflieferant verlieren. (siehe: Klimapolitik als geopolitische Waffe).

Im Westen wird der Wettbewerb der Systeme zwischen den USA und China meist als ein Gegensatz zwischen liberalen Demokratien (und Märkten) einerseits und autoritären Staaten andererseits dargestellt. Glaubt man Michael Hudson, handelt es sich dabei nur um eine Fassade – ganz im Sinne des geflügelten Wortes: "Staaten haben keine Freunde, nur Interessen".

In Wirklichkeit, so Hudson, gehe es hier um die Entscheidung zwischen einer

"unipolare{n], auf den Dollar ausgerichtete[n] Wirtschaft in den USA oder eine[r] multipolare[n] Welt mit mehreren Währungen, die sich auf das eurasische Kernland konzentriert und eine gemischte öffentliche/private Wirtschaft hat".

Von "bipolar" liest man bei Hudson nichts mehr. Der Gegensatz scheint ihm fundamentaler:

Im Grunde geht es darum, ob Volkswirtschaften von Bankenzentren geplant werden, um finanziellen Reichtum zu schaffen – durch die Privatisierung grundlegender Infrastrukturen, öffentlicher Versorgungseinrichtungen und sozialer Dienste wie der Gesundheitsversorgung in Monopole – oder ob Lebensstandard und Wohlstand erhöht werden, indem Bankwesen und Geldschöpfung, öffentliche Gesundheit, Bildung, Verkehr und Kommunikation in öffentlicher Hand bleiben.

Michael Hudson

Hudson ist sicher: Hinter Macrons "globaler Weltordnung" verbergen sich letztendlich die Interessen der USA. Das heißt: weniger die der Nation als die des Privatsektors. Die Institutionen des "rules-based-international order" – inklusive derer, die über Bruch und Sanktionierung des Völkerrechts zu befinden haben – sieht er unter der Knute der Amerikaner.

Für Hudson ist der Gegensatz also nicht einer zwischen universeller Weltordnung und partikularistischem Weltchaos, sondern zwischen Hegemonie und Pluralität. So sagte er Anfang Oktober 2022:

Wenn andere Länder nicht zusammenarbeiten, um eine Alternative zum [Internationalen Währungsfonds] IWF, zur Weltbank, zum Internationalen Gerichtshof, zur Welthandelsorganisation und zu den zahlreichen UN-Organisationen zu schaffen, die jetzt von US-Diplomaten und ihren Stellvertretern auf die USA/NATO ausgerichtet sind, wird sich die wirtschaftliche Strategie der finanziellen und militärischen Dominanz der USA in den kommenden Jahrzehnten so entfalten, wie es Washington geplant hat.

Michael Hudson

Michael Hudson ist nicht der einzige, der so klar Stellung gegen eine unipolare Weltordnung bezieht. Es werden immer mehr Stimmen laut – auch innerhalb der USA –, die eine unipolare Weltordnung nach amerikanischem Gusto a) antizipieren und b) zu verhindern hoffen.

...und das, obwohl deren Motive teilweise nicht weiter voneinander entfernt sein könnten – glaubt man zumindest auf den ersten Blick.

Im zweiten Teil dieses Artikels soll noch einmal ganz genau hingeschaut werden.