Unruhe über das Loch im Sojus-Raumschiff an der Raumstation ISS
Mittlerweile geht man davon aus, dass es von innen gebohrt wurde, aber ist es in Russland auf dem Boden durch einen Arbeiter entstanden oder absichtlich von einem US-Astronauten?
Während Russland mit der Beteiligung von chinesischen Truppen gerade eine der größten Militärübungen mit 300.000 Mann im Osten des Landes abhält und der Konflikt über Idlib hochkocht, wird neben dem Streit über die Verantwortlichen für den Nowitschok-Anschlag auf die Skripals noch ein weiterer Zwist zwischen Russland und den USA ausgehandelt. Nachdem die Astronauten der Internationalen Raumstation ISS am Mittwoch, dem 29. August, einen geringen Abfall des Luftdrucks festgestellt hatten. Nach einer längeren Suche in allen Modulen entdeckten die Astronauten schließlich am nächsten Tag die Ursache: ein Loch mit einem Durchmesser von 2 mm in dem russischen Raumschiff Sojus MS-09, das mit russischen Rassvet-Modul der ISS verbunden ist. Mit dem Raumschiff waren die Astronauten Alexander Gerst, Serena Auñón-Chancellor und Sergey Prokopyev am 6. Juni auf die ISS gekommen.
Es war angeblich kein großes Problem, zunächst wurde vermutet, dass das Loch durch ein Teilchen Weltraummüll oder einen Mikrometeoriten entstanden ist. "Das Loch scheint durch einen Einschlag eines Mikrometeoriten entstanden zu sein", schrieb der frühere amerikanische Astronaut Scott Kelly. "Wir sind einer Menge an Geschossen während der letzten 20 Jahre ausgewichen. Es gibt da draußen eine Menge Müll, ein ernsthaftes Problem, dem man sich zuwenden muss. Großartige Leistung der ISS Crew."
Sojus-Kommandeur Sergey Prokopyev von Roscosmos schloss letztendlich das Loch mit einem Kapton-Klebeband aus Epoxidharzen, wie die Nasa am 30. August berichtete. Das sei erfolgreich gewesen, der Kabinendruck sei wieder stabil. Das Team sei nie in Gefahr gewesen, die Kollegen in den Bodenstationen würden den Druck weiter beobachten. Am Freitag setzten die Astronauten ihre Experimente fort. Allerdings wäre wohl nach 3 Wochen der ISS die Luft ausgegangen, wenn das Loch weiter offen geblieben wäre.
Alexander Gerst schrieb am 30. August: "Gestern hat sich wieder gezeigt, wofür unser Notfalltraining gut ist. Konnten ein kleines Leck in unserer Soyuz finden und verschließen, dank toller Zusammenarbeit zwischen Crew und Bodenstationen auf mehreren Kontinenten." Und er veröffentlichte am 1. September ein Foto, auf dem die Crew zufrieden und einig zu sein scheint: "Ich verbringe meine Zeit am liebsten mit Leuten, die mich die Welt anders sehen lassen."
Aber von russischer Seite wird seitdem der Verdacht geäußert, dass das Loch mutwillig von einem der amerikanischen Astronauten gemacht worden sein könnte, was bedeute würde, dass letztlich entweder Serena M. Auñón-Chancellor, Andrew Feustel oder Richard Arnold der Täter oder die Täterin sein müsste. Neben dem deutschen Astronauten Alexander Gerst befanden sich noch die Russen Oleg Artemyev und Sergei Prokopev an Bord. Sollten sich die Astronauten auch untereinander verdächtigen, dürfte die Stimmung nicht gut sein.
Dmitry Rogozin, der Leiter von Rocosmos, erklärte am 3. September, man sei zunächst allen Theorien nachgegangen. Aber man habe die Hypothese eines Meteoritentreffers zurückgewiesen, weil die Hülle des Raumschiffs offensichtlich von innen beschädigt wurde. Dann tauchte ein Nasa-Foto auf, das dann wieder verschwand, und das vermuten ließ, dass es sich um ein Bohrloch handelt. "Es wurde von einer menschlichen Hand gemacht", so Rogozin. "Es gibt Spuren einer Bohrung an der Oberfläche." Allerdings ließ er offen, ob es sich um eine Panne oder um einen absichtlichen Eingriff handelte. Es stimmten auch andere Beobachter zu.
In russischen Medien wurde spekuliert, ob das Loch nicht schon in Russland auf dem Boden von einem Arbeiter beim Konzern Energia gemacht wurde. Das soll ein anonym bleibender Informant von Energia Ria Novosti erzählt haben. Der Verursacher, der nachlässig gehandelt habe, sei identifiziert worden. Ein anderer Informant brachte die Behauptung auf, das Loch sei unabsichtlich von einem Energia-Mitarbeiter gebohrt worden, der dann seinen Fehler verbergen wollte und das Loch verklebt hatte. Das sei zwei Monate gut gegangen, der Verschluss habe auch die Drucktests überstanden, aber dann sei der Kleber in der Umlaufbahn getrocknet und sei weggedrückt worden.
Rogozin zeigte sich weiter engschlossen, den Schuldigen auszumachen. Jetzt äußerte er seinen Zorn: "Das Gerede und die Gerüchte über den Vorfall auf der ISS behindern die Arbeit der Rocosmos-Experten und sind darauf angelegt, die freundlichen Beziehungen der Crew-Mitglieder der Weltraumstation zu untergraben." Man höre nicht mehr auf anonyme Informaten, bis die Sonderkommission ihre Arbeit abgeschlossen hat. Zuvor war schon der russische Vizeregierungschef Yury Borisov Gerüchten entgegengetreten. Es sei nicht statthaft, amerikanische oder russische Crew-Mitglieder zu verdächtigen, da es ein "vereintes Team ohne irgendwelche politische Differenzen" sei.
Internationale Raumstation (8 Bilder)
Die Reaktionen erfolgten auf einen Bericht der Zeitung Kommersant am Dienstag, der wieder auf anonym bleibende Informanten verwies, nach denen Rocosmos auch der Vermutung nachgehe, dass einer der US-Astronauten das Loch gebohrt haben könnte, um früher nach Hause zu kommen, weil es ihm oder ihr nicht gutgehe. Nach dem Informanten müsste die Nasa alleine bei einer Erkrankung eines Mitarbeiters die Kosten für den Rückflug trage, bei einer Panne sei das anders.
Man habe bereits von der Nasa auch die medizinischen Daten der amerikanischen Astronauten angefordert. Die Kommission gehe nicht davon aus, die Daten wegen des Datenschutzes auch zu erhalten, aber eine Weigerung der Zusammenarbeit würde weitere Fragen entstehen lassen und die russisch-amerikanischen Beziehungen in de Raumfahrt beeinträchtigen. Rogozin wird zitiert, dass die bislang herausgefundenen Ergebnisse "kein objektives Bild" ergeben, der Vorfall sei komplizierter, als man dachte.
Kommandeur Drew Feustel reagierte am Dienstag auf die im Kommersant-Artikel geäußerten Verdächtigungen: "Ich kann eindeutig sagen, dass die Crew damit nichts zu tun hat. Es ist absolut eine Schande und etwas verstörend, dass jemand Zeit damit verschwendet, über etwas zu sprechen, an dem die Crew beteiligt war."
Das würde bedeuten, dass das Loch, wenn es von innen gebohrt wurde, am Boden in Russland entstanden ist. Feustel sagte jedenfalls, dass die Situation sehr ernsthaft gewesen sei, die Implikationen seien für das gesamte Weltraumprogramm enorm. Damit wird den Russen die Schuld in die Schuhe geschoben.
Energia hingegen erkennt an, dass das Loch von einem Menschen verursacht wurde, man habe aber den Täter noch nicht finden können. Alle Sojus- und Progressraumschiffe würden nun überprüft.
Update: Tests von Energia am Boden sollen ergeben haben, dass im Prinzip das Loch hätte an Bord gebohrt werden können. Dazu würde man, weil das Loch sich an einer schwer zugänglichen Stelle befindet, einen 50 cm langen Bohrer benötigen, den es auf der ISS nicht gäbe. Bei der Herstellung jedoch, als sich im Raumschiff noch keine Geräte befanden, wäre nur ein kürzerer Bohrer notwendig gewesen. Seltsam mag erscheinen, dass bislang zumindest noch nicht laut über einen Sabotageakt am Boden nachgedacht wird.