Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Der Jahresbericht von amnesty international dokumentiert Menschenrechtsverletzungen in 149 Ländern. Doch die meisten fallen durch das mediale Raster

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Wenn der neueste Jahresbericht von amnesty international in den nächsten Tagen im Buchhandel erhältlich sein wird, ist der mediale Schlagabtausch schon wieder Geschichte. Die Pressekonferenz, auf der die Menschenrechtsorganisation vor allem die Vereinigten Staaten mit schweren Vorwürfen konfrontiert hat (Menschenrechtsverletzungen mit Vorbildcharakter), liegt zwar erst einige Tage, aber doch schon wieder so lange zurück, dass sich die öffentliche Meinung nur noch an Stichworte erinnert. Guantanamo, Irak, Gefangenenmisshandlung, Foltervorwürfe, und dann war da China, von amnesty als "Hinrichtungs-Weltmeister" gebrandmarkt, die humanitäre Katastrophe im Sudan, und – am Rande des Vergessens – vielleicht gerade noch Deutschland, das sich bislang weigert, das Zusatzprotokoll zur UN-Anti-Folter-Konvention zu ratifizieren.

Auf weitere Schreckensmeldungen wartet der in zivilen Regionen lebende Durchschnittsbürger gern bis zur nächsten großen Katastrophe und übersieht dabei leicht, dass Krieg, Gewalt und Unterdrückung in vielen Regionen der Welt zum Alltag gehören und sich vom Desinteresse der Hauptnachrichten nicht irritieren lassen. Im Gegenteil, unter Ausschluss der Öffentlichkeit verstößt man umso bedenkenloser gegen die einfachsten Voraussetzungen menschlichen Zusammenlebens, gegen Bürgerrechte und die Meinung-, Versammlungs- oder Pressefreiheit, gegen Folterverbote und andere internationale Übereinkünfte.

Der amnesty-Bericht, der das gesamte Jahr 2004 dokumentiert, ist aber nicht nur ein 600seitiger Beweis für das selektive Wahrnehmungsvermögen der Weltöffentlichkeit. Er entzieht den Regierungen, die aus politischen, militärischen, wirtschaftlichen oder geostrategischen Gründen mit Terror-Regimen in aller Welt kollaborieren auch das fadenscheinige Argument, dass niemand wusste, wer da auf der anderen Seite des Verhandlungstisches Platz genommen hatte.

Der strategische Partner Usbekistan

Die vor kurzem in die Schlagzeilen geratene Republik Usbekistan liefert dafür ein gutes Beispiel. Seit Jahren schätzt der Westen, und allen voran wie immer die USA, das von Islam Karimow in diktatorischer Manier regierte Land als strategischen Partner im Kampf gegen den Terror. Sogar das berührungsängstliche Reich der Mitte hat Usbekistan als "alten Freund Chinas" wiederentdeckt, und will mit ihm gemeinsam gegen "Separatismus und Extremismus" vorgehen. Dabei lassen die Berichte von amnesty, aber auch die Untersuchungen anderer Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch keinen Zweifel daran, dass sich Karimows Praktiken nicht von denen anderer Gewaltherrscher unterscheiden, die in der Vergangenheit erst aufgerüstet und dann wieder gestürzt wurden.

amnesty international dokumentiert in dem aktuellen Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen und zahlreiche Verstöße gegen internationale Vereinbarungen, unter vielem anderen gegen das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Sie werden unter dem Vorwand des Anti-Terrorkampfes gegen die islamistische Oppositionspartei "Hizb-ut-Tahrir", die bis dato unbekannte Gruppe "Schamoat" oder aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage begangen. Nach Erkenntnissen von amnesty lässt Karimow Oppositionsparteien einschüchtern und Regimekritiker verhaften. Geständnisse werden durch Folter erpresst und dann in Scheinprozessen gegen die Angeklagten verwendet. Nach Karimows eigenen Angaben wurden 2004 zwischen 50 und 60 Todesurteile verhängt, wie viele vollstreckt wurden, lässt sich nicht nachvollziehen, da Hinrichtungs- und Begräbnissorte der Geheimhaltung unterliegen. Die Eskalation der Gewalt in Andidschan, der im Mai nach Regierungsangaben 160, nach den Schätzungen unabhängiger Quellen allerdings bis zu 1.000 Menschen zum Opfer fielen, war in dieser Form vielleicht nicht absehbar, aber auch keine wirkliche Überraschung.

Auch in dem zentralamerikanischen Staat Guatemala hat die Geschichte nichts dem Zufall überlassen. Zwar konnte der Bürgerkrieg, dem im Verlauf von 36 Jahren über 100.000 Menschen zum Opfer fielen, wobei die Massaker an der Maya-Bevölkerung zeitweise Züge eines Völkermordes annahmen, 1996 beendet werden. Doch von einer Bewältigung des oft unfassbaren Geschehens kann auch nach fast zehn Jahren keine Rede sein. In vielen Fällen lässt die Entschädigung der Opfer noch ebenso auf sich warten wie die Bestrafung der Täter. Auch unter Präsident Óscar Berger Perdomo, der seit Januar 2004 amtiert, gibt es Probleme mit der dringend notwendigen Landreform, und die UN-Beobachtermission für Guatemala (MINUGUA) kritisierte in ihrem Abschlussbericht, dass weder der Rassismus noch die gewaltige soziale Schieflage bislang erfolgreich bekämpft werden konnten. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen leben 56% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

amnesty hat 2004 zwei Missionen nach Guatemala entsandt und im aktuellen Jahresbericht darauf hingewiesen, dass Menschenrechtler, Gewerkschafter und Journalisten noch immer "Einschüchterungen, Morddrohungen und Anschlägen" ausgesetzt sind. Außerdem hat vor allem die Gewalt gegen Frauen drastisch zugenommen. Allein 2004 wurden über 500 Frauen ermordet, und zuvor nicht selten Fällen vergewaltigt oder verstümmelt.

Zu den Vorwürfen von amnesty gegenüber der US-Regierung (Menschenrechtsverletzungen mit Vorbildcharakter) und ihrem "Gulag" an Gefangenenlagern sagte US-Präsident Bush während der gestrigen Pressekonferenz:

"I'm aware of the Amnesty International report, and it's absurd. It's an absurd allegation. The United States is a country that is -- promotes freedom around the world. When there's accusations made about certain actions by our people, they're fully investigated in a transparent way. It's just an absurd allegation.

In terms of the detainees, we've had thousands of people detained. We've investigated every single complaint against the detainees. It seemed like to me they based some of their decisions on the word of -- and the allegations -- by people who were held in detention, people who hate America, people that had been trained in some instances to disassemble -- that means not tell the truth. And so it was an absurd report. It just is."

amnesty international startet am 9. Juni 2005 eine Kampagne, in deren Mittelpunkt die Gewalt gegen Frauen in Guatemala stehen wird. Nach der Veröffentlichung eines entsprechenden Berichts wird sich die Kampagne 12 Monate lang intensiv mit diesem Thema beschäftigen. Der "Jahresbericht 2005" von amnesty international erscheint im Fischer Verlag und kostet 13,90 €.