Unter Beobachtung
Von einem, der auszog der Massenüberwachung zu entgehen - und das Fürchten lernte. Ein Erfahrungsbericht
"Und was machen Sie so?"
"Ich bin in der Spionageabwehr tätig."
Zugegeben: Das ist jetzt ein bisschen übertrieben. Aber tatsächlich beschleicht mich hin und wieder das Gefühl, es sei eine Vollzeitbeschäftigung, sich der allgegenwärtigen Bespitzelung zu entziehen, so rapide, wie sich die Techniken und Angriffsvektoren der Gegenseite entwickeln und vermehren.
Bei dieser Gegenseite handelt es sich nicht etwa um Geheimdienste oder Ermittlungsbehörden - abgesehen davon, dass mich dieses Bedrohungsszenario kaum betreffen dürfte, ist gegen solch gezielte Überwachung wenig auszurichten. Was diese angeht, hat Jewgenij Kasperskij ein schlüssiges Statement abgegeben, als er vor ein paar Jahren am Rande einer Konferenz in Dublin gefragt wurde, wie er denn vertrauliche Dokumente auf seinem Computer schützen würde: "Vertrauliche Dokumente? Auf einem Computer? Ich bin doch nicht verrückt." Und ausgebildet als Kryptograph an der Moskauer KGB-Hochschule, hat Kaperskij mir doch einiges voraus.
Was soll's, meine Gegenwehr richtet sich nicht gegen gezielte Bespitzelung, sondern vorrangig gegen die Ausforschung durch kommerzielle Überwacher, die unter dem Buzzword "Big Data" firmieren. Was wollen sie abgreifen? Meine Daten? Klingt harmlos. Informationen über mich? Schon eher. Meine Gedanken, meine Träume, meine Verletzlichkeiten, meine Vorlieben, meine Wut …? Das trifft's.
Und schon sind wir bei Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Die meisten mögen ihre Würde nicht beeinträchtigt sehen, wenn Fremde ihr Innerstes durchwühlen - wenn es denn nur auf eine Weise geschieht, die sich ihrer sinnlichen Wahrnehmung entzieht. Ich schon. Und für diese Bockigkeit in Bezug auf meine Menschenwürde muss ich zahlen: mit Zeit und Mühe, mit wachsenden Einschränkungen im Alltagsleben und auch mit Geld.
Tor verlangt Leidensfähigkeit, Wissen und Disziplin
Kaputte Webseiten, die sich schon mal quälend langsam aufbauen wie damals zu Zeiten der Einwahlmodems in den Neunzigern - so etwas gehört zu den alltäglichen Erfahrungen derer, die mit dem Tor Browser Bundle im Web unterwegs sind. Von dem Zirpen und Quäken der damaligen Netzwerktechnik bleibt man immerhin verschont, und außerdem bietet das Tor Project mit seiner Paketlösung für einen möglichst anonymen Webzugang eine Komfortlösung. Zu konfigurieren bleibt da wenig, in den Einstellungen das Sicherheitslevel auf "hoch" zu stellen reicht eigentlich schon, um möglichst wenige Spuren zu hinterlassen - trotz der permanenten Angriffe von Geheimdiensten oder Ermittlungsbehörden auf das Tor-Netzwerk, von denen manche auch schon erfolgreich waren.
Dieser Komfort ist allerdings nur ein scheinbarer, in der Anwendung wird das Tor Browser Bundle unbequem. Dank deaktiviertem Javascript sehen viele Webseiten aus wie Kriegsschauplätze, wenn sie denn überhaupt dargestellt werden. Vieles funktioniert nicht, und das fängt schon oft mit der Navigation auf der Website an. Natürlich ließe sich solches Ungemach von den Betreibern dieser Webauftritte zum größten Teil vermeiden, doch die kümmern die Belange von Nutzern, denen ihre Privatsphäre wichtig ist, meist herzlich wenig.
Ausnahmen gibt es natürlich immer wieder. Auf der Website von Amazon kann man beispielsweise auch ohne Javascript einen kompletten Einkaufsbummel absolvieren, bis hin zum Warenkorb. Das Problem dabei: Wer sich gegenüber Amazon - oder auch seiner Bank, dem Mail-Provider oder sonst wem - mit Eingabe von Login-Daten identifiziert, hat sich de-anonymisiert. Und auf solche Fauxpas lauern an den Exit-Nodes von Tor Horden von Schnüfflern. Fazit: Für die Benutzung von Tor bei Webbesuchen sind Leidensfähigkeit, ein gewisses Maß an Wissen und ausgeprägte Disziplin vonnöten.